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Berlin, Kiew
Im Ukraine-Krieg arbeitet die Zeit für Putin
Für das Frühjahr plant die Ukraine eine Großoffensive. Die Pentagon-Leaks haben die Erwartungen daran spürbar gedämpft. Wie geht es weiter mit dem russischen Angriffskrieg?
Ukraine-Krieg - Bachmut.jpeg       -  Warten auf die Frühjahrsoffensive: Ein ukrainischer Soldat steht an seiner Position an der Frontlinie und raucht.
Foto: Libkos, AP, dpa | Warten auf die Frühjahrsoffensive: Ein ukrainischer Soldat steht an seiner Position an der Frontlinie und raucht.
Ulrich Krökel
 |  aktualisiert: 11.03.2024 12:24 Uhr

Es läuft nicht gut für die Ukraine. Die angekündigte Frühjahrsoffensive scheint gescheitert zu sein, bevor sie begonnen hat. Weil es weiter an Waffen mangelt, an Munition und Soldaten. Dieser Eindruck verstärkte sich zuletzt. Seit im Internet US-Geheimpapiere zum russischen Angriffskrieg aufgetaucht sind. Die sogenannten Pentagon-Leaks schüren die Zweifel an den Fähigkeiten der Verteidiger, das militärische Patt des Winters zu überwinden. Kiew werde seine Ziele vermutlich "weit verfehlen", lautet eine Kernaussage in den durchgestochenen Dokumenten. Demnach gehen die USA und ihre Nato-Verbündeten nicht davon aus, dass die Ukraine in großem Stil russisch besetzte Gebiete zurückerobern kann.

Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass westliche Fachleute selbst die kühnsten Szenarien für realistisch hielten oder wenigstens für denkbar: einen ukrainischen Durchbruch von Saporischschja über Melitopol zum Asowschen Meer, Angriffe auf die Krim, einen erfolgreichen Gegenschlag bei Bachmut. Am Ende werde die russische Armee nach zu vielen Niederlagen womöglich kollabieren. 

Die Auswirkungen durch das US-Datenleck sind überschaubar

Erstaunlich an diesem Umschwung in der westlichen Wahrnehmung ist vor allem, dass sich die faktische Lage durch das US-Datenleck wenig bis gar nicht verändert hat. Die Führung in Kiew wird ihre operativen Pläne im Detail nachbessern müssen, weil der Gegner aus den Dokumenten gewisse Rückschlüsse ziehen kann. Aber sonst? Dass es der Ukraine in ihrem Verteidigungskampf an Menschen und Material mangelt, ist seit dem ersten Kriegstag bekannt. Selenskyjs Ruf nach "Waffen, Waffen, Waffen" ist so wenig verstummt wie die Berichte über fehlende Munition. Hinzu kommen die offensichtlichen Folgen der Abnutzungsschlachten.

"Man muss ja nur mitzählen, sich die Stärke der ukrainischen Armee ansehen und die Schätzungen der Verluste", sagt der Münchner Militärexperte Carlo Masala. Er hegt dennoch auch keinen Zweifel, dass die Frühjahrsoffensive kommen wird – allerdings mit ungewissem Ausgang. Das sieht der Wiener Militärexperte Markus Reisner genauso. Die Ukraine müsse zwingend eine Angriffswelle losbrechen, um den Stellungskrieg zu überwinden. Andernfalls bleibe die russische Artillerie mindestens um den Faktor 6:1 überlegen.

"Die Sorge, dass der Ukraine die Soldaten ausgehen, ist berechtigt", sagt Reisner. Zumal der Kreml gerade erst die Mobilisierung frischer Kräfte erleichtert hat. Einberufungsbescheide sollen künftig per E-Mail zugestellt werden können. Wer das Schreiben erhält, darf das Land nicht mehr verlassen. Die Zeit arbeitet daher für die russische Armee. Je länger die Führung in Kiew mit dem Angriffsbefehl wartet, desto besser kann sich der Gegner vorbereiten. Zuletzt berichtete der britische Geheimdienst, Russland habe den Bau von drei hintereinander gestaffelten Verteidigungslinien im Gebiet Saporischschja abgeschlossen.

Eine Offensive genau in dieser Region gilt als wahrscheinlichste Variante, weil es dort von der Front nur gut 100 Kilometer bis zum Asowschen Meer sind. Gelänge ein Vorstoß bis zur Küste, könnte die ukrainische Armee die Landverbindung der russischen Truppen zur Krim abschneiden und sogar die annektierte Halbinsel ins Visier nehmen. Bleibt die Frage: Warum hat die Offensive dort nicht schon begonnen? Schließlich dürften die ersehnten westlichen Kampfpanzer mittlerweile einsatzbereit sein. Militärexperte Reisner verweist auf das hohe Gewicht der deutschen "Leopard 2" und der britischen "Challenger". Solange an der Front die berüchtigte Schlammperiode mit ihren extrem tiefen Böden anhalte, sei die Gefahr zu groß, dass die Panzer stecken bleiben.

Wenn der ukrainische Angriffsbefehl kommt, muss es schnell gehen

Wenn der Angriffsbefehl komme, müsse alles extrem schnell gehen. Die Ukraine werde mit den hoch beweglichen Verbänden, die sie um die westlichen Kampfpanzer formiert hat, versuchen, an einer oder zwei Stellen der Front entscheidende Durchbrüche zu erzielen. Wo das geschehen soll, will die Führung in Kiew erst sehr kurzfristig entscheiden. Auch deshalb dürften sich die Auswirkungen des Pentagon-Datenlecks auf den Kriegsverlauf in engen Grenzen halten. In einem Punkt aber sind die geleakten Dokumente womöglich doch aufschlussreich. Sie zeigen, dass die US-Geheimdienste faktisch keine Verhandlungsbereitschaft auf russischer Seite erkennen – und zwar unabhängig von Erfolg oder Misserfolg der ukrainischen Offensive. So sieht es auch Oberst Reisner: "Wenn es in Russland keine Revolution gibt, wird Putin weitermachen." Weil er die Zeit auf seiner Seite hat.

 
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