zurück
Berlin
Wie sollen die Parteien mit der AfD umgehen?
Die AfD wird immer erfolgreicher. Nun hat CDU-Chef Merz eine hart geführte Debatte über sie ausgelöst. Wie die rechte Partei das wurde, was sie heute ist.
Vandalismus an Wahlplakaten in Niedersachsen.jpeg       -  Bislang versuchen die etablierten Parteien auf Bundes- und Länderebene, die AfD zu isolieren – aus gutem Grund. Eine Strategie, die allerdings nicht wirklich aufgeht.
Foto: Julian Stratenschulte, dpa (Symbolbild) | Bislang versuchen die etablierten Parteien auf Bundes- und Länderebene, die AfD zu isolieren – aus gutem Grund. Eine Strategie, die allerdings nicht wirklich aufgeht.
Stefan Lange, Uli Bachmeier
 |  aktualisiert: 11.03.2024 11:02 Uhr

Es ist ein Sommertag im Juli 2014. Die AfD lädt ins Haus der Bundespressekonferenz. Die Partei hat bei der Bundestagswahl im Herbst davor den Einzug ins Parlament mit 4,7 Prozent der Stimmen knapp verpasst. In den großen Saal traut sie sich noch nicht so recht, sie hat einen der kleinen Tagungsräume mit Blick auf die Spree gebucht. Das Medieninteresse ist überschaubar. Einen Ausweg und Perspektiven wolle die AfD bieten, sagt ihr damaliger Chef Bernd Lucke. Die etablierten Parteien stünden nicht mehr für Inhalte, sondern nur noch für eine Beliebigkeit politischer Beziehungen, „die ein wenig erinnert an die Beliebigkeit von Beziehungen in einem Swingerclub“. Es ist der Auftakt für einen Siegeszug der Alternative für Deutschland, der bis heute anhält. 

In den Umfragen hat die AfD ihr Ergebnis der letzten Bundestagswahl 2021 fast verdoppelt, sie ist zweitstärkste Kraft noch vor der SPD und steht mit 22 Prozent lediglich vier Punkte hinter der Union. Bei den Christdemokraten löst das offenbar Panik aus. CDU-Chef Friedrich Merz hat gerade für eine Zusammenarbeit mit der AfD geworben, erst der öffentliche Druck zwingt ihn zu einem späten Dementi. Die unbedingte Haltung, auf keinen Fall mit den Rechten zu kooperieren, ist jedoch dahin. 

Die AfD könnte bei einer Bundestagswahl noch besser abschneiden als in den aktuellen Umfragen

Diese Entwicklung ist so auch beim Wahlvolk zu beobachten. Der Anteil derer, die niemals AfD wählen wollen, ist laut dem Meinungsforschungsinstitut Insa über die Jahre deutlich zurückgegangen. Lag er Ende 2020 noch bei 75 Prozent, so scheut aktuell nur noch jeder und jede Zweite davor zurück. Das Ergebnis dieser „negativen Sonntagsfrage“ lässt den Schluss zu, dass die AfD mit weiteren fünf bis acht Prozentpunkten rechnen könnte, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre. Wer sich die politischen Inhalte der AfD und ihr Auftreten anschaut, kommt ins Grübeln über diese Entwicklung. 

In jenem Juli vor neun Jahren liefert der damalige Parteivorsitzende Bernd Lucke den Vorgeschmack auf das, was an Zumutungen für die folgenden Jahre zu erwarten ist. Für den Bundestag hat es zwar noch nicht gereicht, die Rechtspopulisten sind aber ins Europaparlament eingezogen. Sie wollen bei den bevorstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg punkten. Der Plan geht auf, inzwischen ist die AfD in nahezu allen Landesparlamenten vertreten. Björn Höcke, damals Spitzenkandidat für Thüringen, hat keine Scheu, nationalsozialistisches Gedankengut fortzuschreiben. „Inklusion kann nicht funktionieren“, grenzt er Kinder mit Behinderung gegen andere Kinder ab. Homosexualität geht nach AfD-Lesart gar nicht. Man dürfe die „natürliche Polarität der Menschen“ nicht auflösen, meint Höcke. 

Frauke Petry, sie ist 2014 AfD-Spitzenkandidatin für Sachsen, ruft zu einer „aktiven Bevölkerungspolitik“ auf und wirbt für die Drei-Kind-Familie als Standard in Deutschland. Alexander Gauland, zu der Zeit Spitzenkandidat für Brandenburg, widerspricht einer bekannten Einschätzung von Altbundespräsident Christian Wulff. „Ich persönlich bin nicht der Meinung, dass der Islam in Deutschland dazu gehört“, sagt er. Diese Haltung zementiert die AfD zwei Jahre später auf einem Bundesparteitag. Sie verabschiedet ein Grundsatzprogramm, wonach der Islam eingedämmt gehöre und die Zuwanderung begrenzt werden müsse. 

Der Rechtsextremist Höcke ist bei der AfD übrig geblieben

Petry und Lucke sind inzwischen AfD-Geschichte, Gauland ist Ehrenvorsitzender. Der Rechtsextremist Höcke ist übrig geblieben. Der 51-jährige Gymnasiallehrer wird dem völkisch-nationalistischen „Flügel“ der Partei zugerechnet, der sich inzwischen formell aufgelöst hat. Aus seiner Abneigung gegen Migrantinnen und Migranten macht Höcke keinen Hehl. Bei einem „Trauermarsch“ in Chemnitz im vergangenen September demonstrieren er und der damalige brandenburgische Landesvorsitzende Andreas Kalbitz etwa mit anderen Rechtsextremisten, um der „Opfer ausländischer Gewalttäter“ zu gedenken. 

Warum Friedrich Merzüber eine Zusammenarbeit mit der AfDüberhaupt nur nachdenkt? Er müsste es eigentlich besser wissen. Der Sauerländer ist nicht nur CDU-Vorsitzender, sondern auch Chef der Unions-Bundestagsfraktion. Die AfD pöbelt im Parlament, verstößt bewusst gegen Regeln. Während der Corona-Pandemie beispielsweise müssen die Abgeordneten immer wieder ermahnt werden, der Maskenpflicht zu folgen und den Mund-Nasen-Schutz richtig zu tragen. „Mund-Nasen-Bedeckung heißt übrigens, dass man die Bedeckung nicht unterhalb der Nase, sondern über der Nase trägt. Ich habe einige Kollegen gesehen, die dies heute Morgen ein bisschen übersehen haben“, teilt der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) süffisant aus. Die AfD klagt gegen die Masken-Regel – ohne Erfolg.

Was nicht in althergebrachten Kategorien einzuordnen ist, bereitet der AfD offenbar Schwierigkeiten. Schon früh wendet sie sich gegen das Gendern. Das tun andere auch. Die rechte Partei sieht darin jedoch einen „Widerspruch zu den Ergebnissen der Naturwissenschaft und Entwicklungspsychologie als auch zur Lebenserfahrung“, wie es in einem frühen Wahlprogramm der AfDThüringen heißt. Noch immer gilt „Gender-Mainstreaming“ der Partei als Pseudowissenschaft und „Kennzeichen totalitärer Regimes“. 

Als Alice Weidel von „Messermännern“ und „sonstigen Taugenichtsen“ spricht

Die AfDüberschüttet die Bundesregierung zudem mit Anfragen. Das ist einerseits ihr gutes Recht als Opposition, anderseits ist die Zielrichtung oft eindeutig. So will die AfD am Beispiel ausgewählter Delikte wie „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ oder „Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung“ wissen, welche Staatsangehörigkeit die betroffenen Personen jeweils besitzen. Die Bundespartei hat auf ihrer Internetseite einen „Einzelfallticker“ installiert, die Schlagzeilen sind eindeutig: „Wittener von zwei Südländern ausgeraubt“, heißt es dort, oder auch „23-jähriger Afghane begrabscht Mädchen“. Dass auch Deutsche Straftäter sind, verschweigt die Seite. 

In seiner Menschenverachtung wohl unerreicht ist der Wortbeitrag von Co-Fraktionschefin Alice Weidel. Bei der Aussprache zum Etatentwurf 2018 des Bundeskanzleramtes sagt Weidel: „Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern.“ Im Saal unter der Reichstagskuppel kommt es daraufhin zu tumultartigen Szenen, Bundestagspräsident Schäuble erteilt einen Ordnungsruf, er wirft Weidel– sichtlich um Haltung bemüht – eine „Diskriminierung aller Kopftuch tragenden Frauen“ vor.

Das Verhalten der AfD-Abgeordneten hat Folgen, im Parlamentsbetrieb werden sie geschnitten. Seit Jahren versucht die Partei beispielsweise, den ihr zustehenden Posten des Bundestagsvizepräsidenten zu besetzen, die Kandidaten fallen beim Wahlgang jedoch regelmäßig durch. Eine bewusste Zusammenarbeit mit der am rechten Rand des Sitzungssaales platzierten Fraktion gibt es nicht. 

Auch im Bayerischen Landtag gibt es praktisch keine Zusammenarbeit mit der AfD

Das ist im Bayerischen Landtag nicht anders. Auch hier verhindern die anderen fünf Fraktionen, dass die AfD einen Landtagsvizepräsidenten stellen kann. Nach der Geschäftsordnung steht der Fraktion zwar einer dieser Posten zu, aber der Abgeordnete, den die AfD für das Amt nominiert, muss auch gewählt werden. Und niemand kann die Abgeordneten der anderen Fraktionen zwingen, das auch zu tun. Sie verweigern mehreren AfD-Kandidaten mit großer Mehrheit die Stimme. So verhalten sie sich auch, als es um einen Sitz der AfD im Parlamentarischen Kontrollgremium geht, das in streng geheimen Sitzungen die Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz kontrolliert. Dass ein Vertreter einer Partei, die beim Verfassungsschutz als Verdachtsfall geführt wird, den Verfassungsschutz kontrollieren soll, erscheint den Abgeordneten aller anderen Fraktionen als undenkbar. Die AfD muss draußen bleiben.

Toleriert werden AfD-Abgeordnete aber in anderen parlamentarischen Funktionen. Der schwäbische AfD-Abgeordnete Christoph Maier wird 2018 – gegen die Stimmen von SPD und Grünen – zum Vizevorsitzenden des Rechts- und Verfassungsausschusses gewählt. Der mittlerweile aus der AfD ausgetretene Augsburger Abgeordnete Markus Bayerbach kann den Vorsitz des Bildungsausschusses übernehmen, nachdem er sich in geheimer Abstimmung mit acht zu sieben Stimmen durchgesetzt hat. Anfang 2022 aber wird er abgewählt, nachdem er sich über seine Beteiligung an einem dubiosen AfD-Chat in Widersprüche verwickelt hat. Ein Nachfolger, der laut Geschäftsordnung nur von der AfD hätte kommen können, wird nicht mehr gewählt. 

Nicht völlig ausgeschlossen wird die AfD im Landtag zudem bei den sogenannten Berichtsanträgen. Mit diesen wird die Staatsregierung aufgefordert, zu konkreten Sachfragen Stellung zu nehmen. Sie werden nach parlamentarischer Gepflogenheit in aller Regel einstimmig beschlossen. 19 solcher AfD-Anträge gehen nach Auskunft des Landtagsamtes seit 2018 mit den Stimmen von CSU und Freien Wählern durch. Die FDP stimmt in neun, die SPD in drei Fällen zu, die Grünen nie. Die Regierungsparteien rechtfertigen ihre Zustimmung „in Ausnahmefällen“ mit dem Argument der Transparenz. Man wolle nicht den Eindruck vermitteln, dass sich die Staatsregierung um sachliche Antworten drücke oder etwas zu verbergen habe. Diesen 19 Anträgen stehen allerdings hunderte AfD-Anträge gegenüber, die von allen anderen Fraktionen abgelehnt werden. 

Im Internet erschafft die AfD eine eigene Medienwelt

Auf kommunaler Ebene sind in Bayern bislang nur wenige Fälle bekannt, in denen etablierte Parteien abseits von die Geschäftsordnung betreffenden Vorgängen mit der AfD paktieren. Einer der bekanntesten: Im mittelfränkischen Höchstadt an der Aisch wird ein Sozialdemokrat nur dank einer AfD-Stimme stellvertretender Bürgermeister. Er sieht darin kein großes Problem, seine Partei allerdings schon; entnervt gibt der Kommunalpolitiker 2020 sein Parteibuch ab. 

Angesichts der sonst üblichen Isolation hat es sich die AfD zur Aufgabe gemacht, für Youtube und andere Kanäle im Internet eigene Beiträge zu entwerfen. Sie tragen Überschriften wie „Auch die Heuchler von der CDU halten am Heizungsgesetz fest“ oder „Heimat erhalten – Habeck entlassen“ und sind so geschnitten, dass sie die Fraktion stets in einem guten Licht erscheinen lassen – während die anderen Parteien entweder gar nicht zu Wort kommen oder als Dummköpfe dargestellt werden. Die AfD schafft sich damit ein eigenes Publikum und ist zur Verbreitung ihrer Parolen auf die etablierten Medien nicht mehr angewiesen. Der Deutsche Journalisten-Verband hat Gerüchte aufgegriffen, wonach ein frei empfangbarer „AfD-freundlicher TV-Sender“ aufgebaut werden soll, der vor der Bundestagswahl auf Sendung geht. Ohne Rundfunklizenz, so der DJV, wäre das gesetzeswidrig. Es sei unwahrscheinlich, dass die AfD eine solche Erlaubnis bekomme.

Der Beschluss dazu soll beim eintägigen Bundesparteitag gefasst werden, der an diesem Freitag in Magdeburg stattfindet. Vorstandswahlen stehen nicht an, die Partei wird die Zeit nutzen, sich selbst zu feiern. „Die Ampel führt uns mit ihrer Politik gegen deutsche Interessen neue Protestwähler zu, aus diesen werden bald Überzeugungswähler“, sagt Co-Chef Tino Chrupalla. Bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen im Oktober wird sich die Partei den Umfragen zufolge entweder im Ergebnis halten oder weiter verbessern. Ähnliches ist bei der Europawahl 2024 zu erwarten. Im Herbst des kommenden Jahres stehen dann Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen an. Im thüringischen Kreis Sonneberg wurde Robert Sesselmann gerade zum ersten AfD-Landrat gewählt. Die Partei könnte den Umfragen zufolge in allen drei Bundesländern stärkste Kraft werden. 

So sieht der Verfassungsschutz derzeit die Alternative für Deutschland

Dass die AfD ein Fall für den Verfassungsschutz ist, schadet ihrer Popularität offenbar nicht. „Der Kurs dort steht nach rechts außen“, fasste unlängst Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang den Stand der Beobachtungen durch seine Behörde zusammen und deutete an, dass sich der Status der Partei ändern könnte. Derzeit gilt sie als „Verdachtsfall“, die nächste Stufe wäre „gesichert rechtsextremistisch“. Für die AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ (JA) gilt das bereits. Der Verfassungsschutz nennt sie „Brandstifter und Stichwortgeber von Hass, Hetze und Extremismus“. 

Mit solchen Menschen, mit den Höckes, Kalbitz‘ und anderen Rechtsextremisten hätten es Friedrich Merz und seine CDU zu tun, würden sie mit der AfD zusammenarbeiten. 

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Alexander Gauland
Alice Weidel
Alternative für Deutschland
Andreas Kalbitz
Bayerischer Landtag
Bernd Lucke
Björn Höcke
CDU
CDU-Vorsitzende
CSU
Christian Wulff
Christoph Maier
Deutscher Bundestag
Europäisches Parlament
FDP
Frauke Petry
Freie Wähler
Friedrich Merz
Landesämter für Verfassungsschutz
Landtagswahlen in Bayern
Landtagswahlen in Sachsen
Mädchen
Parlamentarisches Kontrollgremium
SPD
Thomas Haldenwang
Wolfgang Schäuble
YouTube
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen