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Berlin/Paris/Kaufbeuren
Wie der eigene Kandidat zum Risiko für die AfD wird
Maximilian Krah ist seit Wochen umstritten. Nun darf er nicht mehr auftreten und tritt aus der Parteispitze zurück. Die französische Rechte sorgt zusätzlich für Turbulenzen. Und das zwei Wochen vor der Europawahl.
Wahlkampfauftritt AfD-Europaspitzenkandidat Krah in Holzkirchen.jpeg       -  Gut zwei Wochen vor der Europawahl bricht die AfD mit ihrem Spitzenkandidaten Maximilian Krah.
Foto: Stefan Puchner, dpa | Gut zwei Wochen vor der Europawahl bricht die AfD mit ihrem Spitzenkandidaten Maximilian Krah.
Birgit Holzer, Margit Hufnagel, Sarah Ritschel, Alexander Vucko
 |  aktualisiert: 26.05.2024 02:41 Uhr

Eigentlich liebt Maximilian Krah den schillernden Auftritt. Mal fährt er im Jaguar-Cabriolet zu seinen Auftritten, mal lässt er schöne Frauen die Deutschlandfahne schwenken. Die Anzüge sind maßgeschneidert. Auf Instagram postet er Bilder von einem Ball in St. Petersburg, in der Hand ein Martini-Glas. "Schampus Max" nennen sie den AfD-Politiker längst nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand. Doch an diesem Dienstag ist ihm offenbar eine neue Bescheidenheit verordnet worden. Oder zumindest das, was Krah dafür hält. Im schwarzen VW Touareg, die PS-Zahl immer noch ordentlich, braust er zu seinem Termin in Kaufbeuren im Allgäu. Drehzahl hätte auch sein Wahlkampf für die Europawahl dringend nötig. Der ist nicht nur für den Spitzenkandidaten selbst, sondern für seine gesamte Partei zu einem einzigen Debakel geworden. Skandal reiht sich an Skandälchen. Die politische Implosion scheint kaum mehr aufzuhalten.

Krah versucht, all das an diesem regnerischen Nachmittag noch wegzulächeln, dagegen anzukämpfen. Zurück in den Wahlkampfmodus will er finden. 200 Besucher jubeln ihm bei einer Kundgebung in der historischen Altstadt zu. Kleine Deutschlandfahnen wehen im Wind. AfD-Plakate machen deutlich, worum es geht: "Unser Geld für unsere Leute" ist zu lesen. Einige Gegendemonstranten rufen hinter Absperrgittern: "Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda." Krah nennt sie Schreihälse. Der Ostallgäuer AfD-Kreisvorsitzende Wolfgang Dröse bezeichnet die Vorwürfe gegen Krah als "Dreckwerfen auf unsere Spitzenkandidaten kurz vor der EU-Wahl". 100 Polizeikräfte trennen die politischen Lager. Später fährt Krah weiter nach Weißenhorn, auch dort wirbt er um Stimmen, auch dort gibt es eine Gegendemonstration. Es könnte das übliche politische Schauspiel sein, eingeübt auf beiden Seiten. Doch was zu diesem Zeitpunkt weder der Europaabgeordnete noch seine Anhänger und Gegner wissen: Krahs Wahlkampfauftritt in Schwaben wird sein letzter gewesen sein. 

Liste der Vorwürfe gegen Maximilian Krah ist lang

Gut zwei Wochen vor der Europawahl bricht die AfD mit ihrem Spitzenkandidaten. Razzien in den Brüsseler Büros, der Vorwurf der Bestechlichkeit, ein Mitarbeiter in Untersuchungshaft, seine Nähe sowohl zum Kreml als auch zu China – lange versuchte die AfD, sich und ihren Abgeordneten als Opfer des Systems darzustellen. In Chatgruppen an der Basis habe es Forderungen gegeben, sich hinter dem Spitzenkandidaten zu versammeln und sich nicht von ihm zu distanzieren, war zu hören – die berühmte Wagenburgmentalität. Doch offenbar ist es nun selbst der Parteiführung zu viel geworden. Der Bundesvorstand habe ein Auftrittsverbot für Krah verhängt, bestätigte ein Parteisprecher am Mittwoch. Krah formulierte es auf der Plattform X dramatischer: "Man kann nie tiefer fallen als in Gottes Hand. Ich nehme zur Kenntnis, dass sachliche und differenzierte Aussagen von mir als Vorwand missbraucht werden, um unserer Partei zu schaden." 

Als der Anfang von Ende des AfD-Wahlkämpfers eingeläutet wird, steht Krah noch vor dem historischen Zollhäuschen in der Altstadt von Kaufbeuren und verkündet seine Sicht auf Europa. Doch der Lauf der Dinge ist zu diesem Zeitpunkt kaum mehr aufzuhalten. Die Nachrichtenagenturen verbreiten die Meldung, dass sich ausgerechnet der französische Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen mit der AfD überworfen hat und nach den Europawahlen nicht mehr in einer gemeinsamen Fraktion mit ihr sitzen will. Wenn man so will, ist selbst der französischen Rechten der AfD-Mann zu rechts. 

Interview von Maximilian Krah führt zum Eklat

Geschwelt hatte der Konflikt schon seit Monaten, dass es nun zum offenen Eklat kommt, liegt an einem Interview Krahs mit der italienischen Zeitung La Repubblica. Der 47-Jährige sagte dem Blatt, nicht alle Mitglieder der SS seien kriminell gewesen. "Ich werde nie sagen, dass jeder, der eine SS-Uniform trug, automatisch ein Verbrecher war", sagte Krah der Zeitung. Auf die Frage, ob die SS eine Kriegsverbrecher-Organisation sei, antwortete er: "Es gab sicherlich einen hohen Prozentsatz an Kriminellen, aber nicht alle waren kriminell." Die nationalsozialistische SS bewachte und verwaltete unter anderem die Konzentrationslager und war maßgeblich für Kriegsverbrechen verantwortlich. Bei den Nürnberger Prozessen nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde sie zu einer verbrecherischen Organisation erklärt. 

Überraschend dürfte die Position des promovierten Juristen auch für seine Parteifreunde nicht sein. Immer wieder war er in den vergangenen Jahren mit extremistischen Äußerungen aufgefallen. Er sei halt ein "rechter Teufel" geworden, scherzte er kürzlich in einem Gespräch mit der Wochenzeitung Zeit: "Wer will schon Luke Skywalker sein, wenn er Darth Vader sein kann?" – Darth Vader ist in den "Star Wars"-Filmen der Inbegriff des Bösen. Ein Karriere-Hindernis ist das in der AfD nicht – über die Karrieren von Mitgliedern entscheidet längst das völkische Lager der Partei und das hatte mit Krah nie ein Problem. Im Gegenteil. Auf dem Plakat etwa, das die Auftritte in Schwaben ankündigte, ist auch das Who is who der radikal Rechten aus der bayerischen Landtagsfraktion abgebildet. Allen voran: Fraktionschefin Katrin Ebner-Steiner und der Unterallgäuer Abgeordnete Christoph Maier, die parteiintern mitunter als "Höckes Vollzugsbeamte in Bayern" bezeichnet werden. Als gemäßigt geltende Funktionäre, wie der bayerische Landtagswahl-Stimmenkönig Gerd Mannes oder Ulrich Singer aus Nordschwaben, vermieden im Wahlkampf jede Verbindung zu Krah. 

Viele Gerüchte über das Leben von Maximilian Krah

Die AfD sei gespalten in Bezug auf ihren Spitzenkandidaten, sagt einer, der die AfD im Freistaat von innen kennt. "Es gibt viele, die sich freuen, dass Krah scheitert." Ein "unfassbar arroganter" Mann sei er, hört man aus internen Kreisen. Einer, der über alles und jeden lästere, selbst über seine eigenen Parteichefs Tino Chrupalla und Alice Weidel. Einer, der sich "für den Allergrößten hält". Gerüchte über ein mögliches Drogenproblem des 47-Jährigen machen in der AfD die Runde. Dass der Vater von acht Kindern einen, nun ja, großzügigen Lebensstil pflegt, rundet für viele seiner Kritiker das Bild ab. "Krah ist völlig verbrannt", sagt ein Insider unserer Redaktion und rechnet bei der Europawahl mit einem Schaden für seine Partei: "Ich denke, wir werden nicht so gut abschneiden, wie es unser Potenzial wäre." 

Zumindest auf nationaler Ebene hat die AfD im Laufe dieses Jahres bereits deutlich an Zustimmung eingebüßt, wie eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Forsa verdeutlicht. Aktuell bewegt sie sich bei 15 Prozent – im Dezember vergangenen Jahres freute sie sich noch über Umfragewerte von über 20 Prozent. "Die AfD kann sich aber auf einen unverändert vorhandenen treuen Wählerstamm aus dem rechtsradikalen Milieu verlassen", glaubt Forsa-Chef Manfred Güllner. 

Marine Le Pen distanziert sich von der AfD

Deutlich schmerzhafter dürfte für die AfD der Bruch mit Le Pen und deren Fraktion Identität und Demokratie, kurz ID, auf europäischer Ebene sein. "In der nächsten Legislaturperiode werden wir nicht mehr mit der AfD zusammensitzen", kündigte Alexandre Loubet, Kampagnenleiter des RN-Spitzenkandidaten Jordan Bardella, förmlich an. "Eine Bewegung, die dem Einfluss ihres radikalsten Randbereichs ausgesetzt ist, scheint mir kein vertrauenswürdiger und geeigneter Partner mehr zu sein", zitierte die Zeitung Le Monde eine Aussage der RN-Frontfrau Marine Le Pen von Mitte Mai. 

Sich international gut zu vernetzen, gehört zur Strategie der französischen Rechtsextremen und sollte auch der AfD zu Einfluss auf europäischer Ebene verhelfen. Die Gemeinsamkeiten liegen auf der Hand: Beide Parteien sind als Protest-Bewegung gegen die Eliten entstanden, sie stehen für selbstzentrierten Nationalismus und ein autoritäres Sicherheitskonzept. Allerdings hat der RN längst einen Kurs der "Entdämonisierung" eingeschlagen, der sich seit Jahren in immer besser werdenden Umfragewerten und Wahlergebnissen niederschlägt. Seit Le Pen die Partei 2011 von ihrem Vater, dem Parteigründer Jean-Marie Le Pen, übernommen hat, verbot sie antisemitische oder rassistische Parolen und Symbole, schloss sogar Le Pen senior aus, während das Programm inhaltlich scharf blieb wie eh und je. Sie versicherte, sie habe "kein Problem" mit dem Islam, wenn er friedlich praktiziert werde. Die Radikalität der AfD, die Spionagevorwürfe und Provokationen standen im krassen Widerspruch zu Le Pens Taktik. Angespannt war die Beziehung zwischen beiden Parteien bereits, seit bekannt wurde, dass im November 2023 unter anderem Politiker der AfD und einschlägige Rechtsextreme bei einem Treffen in Potsdam unter dem Stichwort "Remigration" die Massenvertreibung von Menschen mit Einwanderungshintergrund besprachen. 

Wie geht es weiter im Europawahlkampf?

Wie es nun mit dem Europawahlkampf der AfD weitergeht, ist unklar. Die Wahl findet in Deutschland am 9. Juni statt, die Briefwahl läuft längst. Auch die Nummer zwei auf der Europaliste, Petr Bystron, soll wegen staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen nach dem Willen der Parteispitze nicht mehr auftreten. Die eigenen Mitarbeiter werden zum Risiko für die Partei. Allerdings ist es rechtlich nicht möglich, die Kandidatenliste für die Europawahl jetzt noch zu verändern. Ein formaler Posten ist eine Spitzenkandidatur ohnehin nicht, aber er entscheidet über die Karriere. Parteien wählen Listen mit Kandidaten, mit denen sie zu einer Wahl antreten. Je weiter hinten auf der Liste jemand steht, desto schlechter werden – abhängig vom Wahlergebnis – seine Chancen, ins Parlament einzuziehen. 

Aktuell stellt die AfD im Europaparlament neun Abgeordnete. Üblicherweise entspricht bei Europawahlen in Deutschland rund ein Prozentpunkt der Stimmen einem Abgeordnetenmandat. Laut einer Europawahlumfrage der Forschungsgruppe Wahlen vom 17. Mai kommt die AfD voraussichtlich auf 15 Prozent der Stimmen. Krah und Bystron wären als Erst- und Zweitplatzierte auf der AfD-Liste somit Sitze im EU-Parlament sicher. Los ist die AfD ihr Problem also keineswegs.

Vielleicht auch deshalb ist von Zweifel und Selbstkritik nichts zu spüren, als Krah in Kaufbeuren einen seiner letzten Auftritte absolviert. Neben ihm auf der Bühne steht ein kleiner Käfig mit weißen Tauben. Als sich die Tür öffnet, flattern die Vögel als Symbol für den Frieden in den wolkenverhangenen Allgäuer Himmel. Ganz auf schillernde Show-Effekte will der Mann mit der Haartolle auch im Angesicht der wohl größten Krise seiner politischen Karriere nicht verzichten. (mit dpa)

 
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