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Berlin
Deutlicher Anstieg der Clankriminalität in Berlin
Berlin gilt als ein Hotspot krimineller Clan-Mitglieder. Sie stehlen, handeln illegal mit Drogen und schlagen auch mal zu. Nun liegen neue Daten dazu vor.
Villa in Berlin-Neukölln       -  Immer wieder rückt die Polizei im Zusammenhang mit dem Clan-Milieu aus (Archivbild).
Foto: Jens Kalaene/dpa | Immer wieder rückt die Polizei im Zusammenhang mit dem Clan-Milieu aus (Archivbild).
Stefan Kruse, dpa
 |  aktualisiert: 21.07.2024 02:35 Uhr

Warenkreditbetrug, Diebstahl, Hehlerei, Unterschlagung, Betrug, Drogenhandel, Beleidigung, Bedrohung: Wegen sage und schreibe 65 Straftaten ermittelte die Berliner Polizei gegen ein 24-jähriges Clan-Mitglied. Der Verdächtige sicherte sich damit den unrühmlichen Spitzenplatz im neuen Lagebild Clankriminalität der Berliner Innenverwaltung. 

Dieses zeigt eine alarmierende Entwicklung: Denn die registrierten Fälle sogenannter Clankriminalität nahmen in der Hauptstadt, die als ein bundesweiter Hotspot dieser Form der organisierten Kriminalität gilt, im Jahr 2023 deutlich zu. 1.063 entsprechende Straftaten zählten die Ermittler, die von - oft arabischstämmigen - Großfamilien ausgingen. Das sind fast 200 Fälle mehr als im Jahr zuvor - ein sattes Plus von über 20 Prozent. 

Statistik umfasst auch Tötungsdelikte 

Die Liste ist ebenso lang wie facettenreich. Verkehrsstraftaten (158), Körperverletzung (135), Diebstahl und Unterschlagung (132), Drogendelikte (112) sowie Betrug (103) kommen besonders häufig vor. Es folgen Bedrohung auch mit Waffen (66), Beleidigung (55), Raub (41) oder Geldwäsche (30). Auch fünf Tötungsdelikte sind darunter (2022: 3). 

Wie es weiter hieß, wurden zu den Straftaten 298 Verdächtige ermittelt (2022: 303). Insgesamt 633 Menschen rechneten Ermittler mit Stand 31. Dezember 2023 dem Milieu der Clankriminalität in Berlin zu (2022: 582). Wie es scheint, ist es eine Männerdomäne: Nur 37 Frauen sind darunter. 

Knapp die Hälfte der ermittelten Tatverdächtigen (45,2 Prozent) sind deutsche Staatsbürger. 23,2 Prozent - also fast ein Viertel - werden in der Statistik als libanesisch oder deutsch-libanesisch geführt. Bei gut 17 Prozent ist die Staatsbürgerschaft unklar. Ferner ordnen die Ermittler unter anderem noch türkische oder deutsch-türkische Staatsangehörige (6,2 Prozent), Syrer (2,5 Prozent) und Schweden (1,3 Prozent) der Clankriminalität in Berlin zu.

Die Straftaten von Clanmitgliedern hatten 2023 etwa 0,2 Prozent Anteil an der gesamten Kriminalität in Berlin, bei der Zahl der Tatverdächtigen sind es 0,5 Prozent. Dennoch gehen die Behörden spätestens seit 2018 verstärkt und koordiniert gegen diese Gruppen vor. 

Ein Auslöser dürfte der spektakuläre Raub einer 100 Kilogramm schweren Goldmünze 2017 aus dem Bode-Museum gewesen sein, an dem Mitglieder einer arabischstämmigen Großfamilie nach Überzeugung von Gerichten beteiligt waren.

Behörden zielen auf Vermögenswerte 

Ein wichtiger Punkt des seinerzeit beschlossenen Aktionsplans sind hoher Kontrolldruck und die Abschöpfung von Clan-Vermögenswerten, die mutmaßlich aus Straftaten stammen. Denn das trifft die Gruppen härter als Haftstrafen, die im Milieu häufig sogar als „Auszeichnung” betrachtet werden, wie Ermittler berichten. 

In diesem Zusammenhang rückten Polizei und andere Stellen wie Ordnungsämter, Zoll- und Finanzbehörden 2023 zu insgesamt 126 Kontrolleinsätzen aus, bei denen 486 Geschäfte wie Cafés, Shishabars, Spätkaufläden, Friseurgeschäfte, Wettbüros, Autohändler und -vermietungen oder Bordelle überprüft wurden. 20 dieser Läden wurden dichtgemacht, 324 Strafanzeigen gefertigt und 21 Haftbefehle vollstreckt. 

Zudem beschlagnahmten Ermittler diverse Gegenstände und Bargeld, darunter 20 Autos, 49 Geldspielgeräte, 15 Waffen sowie massenhaft unversteuerte Zigaretten, E-Zigaretten, 62,7 Kilo Wasserpfeifentabak und Hunderte Verkaufseinheiten Drogen. In der Gesamtschau lag das Volumen dieser eingezogenen Dinge laut Statistik aber niedriger als 2022. 

Polizeigewerkschaft forderte neue Ermittlungsinstrumente

„Die Clankriminalität in Berlin untergräbt seit Jahrzehnten unser Recht- und Wertesystem”, erklärte Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) zu dem neuen Lagebild. „Wir werden auch weiterhin den kriminellen Strukturen gezielt den Nährboden entziehen.” Diese Parallelwelten müssten Schritt für Schritt aufgelöst werden. 

„Ein Erfolgsschlüssel zur effektiven Bekämpfung der Clankriminalität bleiben Finanzermittlungen, die wir mit dem Ziel führen, inkriminierte Vermögenswerte abzuschöpfen, welche über den legalen Wirtschaftskreislauf eingeschleust werden”, sagte Polizeipräsidentin Barbara Slowik. „Unser Fokus gilt in Berlin vor allem dem Gebrauchtwagenhandel, dem Bau-, Sicherheits- und Gaststättengewerbe.”

Nach Einschätzung des Landesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Stephan Weh, braucht der Staat hier einen langen Atem. „Wir haben den behördenübergreifenden Druck auf kriminelle Clans in Berlin in den letzten Jahren hochgefahren, aber es wird viel Zeit brauchen, dieser Hydra endgültig das Handwerk zu legen.” 

Weh forderte neue Maßnahmen, etwa eine vollständige Beweislastumkehr bei der Vermögensabschöpfung. Ein Verdächtiger ohne Einkünfte und Vermögen müsste dann selbst nachweisen, woher er Geld für den Kauf einer Villa oder eines Luxus-Autos hat. 

Begriff stigmatisiert und diskriminiert

Die Bezeichnung Clankriminalität ist umstritten, weil er nach Ansicht von Kritikern Menschen mit Migrationshintergrund alleine aufgrund ihrer Familienzugehörigkeit und Herkunft stigmatisiert und diskriminiert. Laut Definition der Polizei ist ein Clan eine informelle soziale Organisation, die durch ein gemeinsames Abstammungsverständnis ihrer Angehörigen bestimmt ist. 

Clankriminalität umfasst demnach „delinquentes Verhalten” von Clan-Angehörigen. „Die Clanzugehörigkeit stellt dabei eine verbindende, die Tatbegehung fördernde oder die Aufklärung der Tat hindernde Komponente dar, wobei die eigenen Normen und Werte über die in Deutschland geltende Rechtsordnung gestellt werden können.” 

Großrazzia gegen Clankriminalität - Drogen- und Waffenhandel       -  Behörden setzen auf hohen Kontrolldruck (Archivbild).
Foto: Christophe Gateau/dpa | Behörden setzen auf hohen Kontrolldruck (Archivbild).
 
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