Von seinem Vorgänger Hans-Dietrich Genscher hieß es immer, er werde sich ob seiner emsigen Reisetätigkeit irgendwann einmal selbst in der Luft begegnen. Aber Klaus Kinkel reiste als Außenminister nicht weniger häufig. Sechseinhalb Jahre war der FDP-Politiker für das Auswärtige in der Bundesregierung zuständig, von Mai 1992 bis Oktober 1998 unternahm er 445 Reisen in 93 Länder, wie er einmal vorrechnete. Am Montag starb der frühere FDP-Vorsitzende im Alter von 82 Jahren. Er war, nach dem frühen Tod von Guido Westerwelle, der letzte noch lebende Außenminister der Liberalen.
Kinkel war Genschers politisches Ziehkind. Als damaliger Bundesinnenminister machte Genscher ihn zu seinem persönlichen Referenten, er nahm den am 17. Dezember 1936 geborenen Kinkel später mit ins Außenministerium. Der gebürtige Schwabe leitete dort unter anderem den Planungsstab und bekam ersten Kontakt mit der Welt der Diplomaten, die so eine ganz eigene ist und Regeln folgt, die Uneingeweihten ein Rätsel sein können.
Großes Organisationstalent
Bevor Kinkel die großen Linien der auswärtigen deutschen Politik bestimmen konnte, machte er sich aber erst noch im Geheimen zu schaffen. 1979 wurde er Chef des Bundesnachrichtendienstes und zog Aufmerksamkeit auf sich, weil er den damals ziemlich skandalträchtigen Auslandsgeheimdienst schnell auf Vordermann brachte.
Kinkels Organisationstalent und seine ruhige, überlegene, manchmal knorrige Art brachten ihm das Ticket für höhere bundespolitische Weihen ein. Kinkel wechselte 1982 ins Justizministerium, wurde dort sogar Chef und im Mai schließlich betrat er die Bühne der weltweiten Politik: Nach Genschers überraschendem Rücktritt wurde er im Mai 1992 als Außenminister vereidigt.
Er konnte die Massen für sich gewinnen
Die FDP meinte damals, in Kinkel ihren neuen Star gefunden zu haben. Kinkel war populär, sportlich, sah gut aus. Er galt als zuverlässig und verantwortungsbewusst, und das waren Tugenden, die beim Wahlvolk gut ankamen. Tugenden, die ihm sein Vater, ein aus Westfalen stammende Internist, vorgelebt hatte, wie er später verriet. Kinkel konnte darüber hinaus „auch Bierzelt“, wie es im Politiker-Jargon heißt, er konnte also auch die Massen für sich gewinnen, vermutlich ein Erbe seiner schwäbischen Mutter, die er als lebhaft und lebenstüchtig beschrieb.
Im Juni 1993 machte die FDP Kinkel zu ihrem Parteivorsitzenden. Das war folgerichtig, aber auch ein Riesenfehler, wie Kinkel selber später einräumte. Denn der Ehemann und Vater war fürs harte parteipolitische Geschäft nicht geboren. Als „arme Sau“ bezeichnete er sich einmal, als einer, der in den ganzen Winkelzügen seiner Parteifreunde und seiner Gegner die Orientierung verlor. Zwei Jahre hielt Kinkel als Parteichef durch, dann hatte er keine Lust mehr und warf den Job hin.
Eine schwere Abstimmungsniederlage
Danach hatte Kinkel wieder alle Zeit, sich seinen Jobs als Außenminister und Vizekanzler zu widmen. An Arbeit mangelt es nicht. Der Zerfall des Ostblocks und der Sowjetunion wirkten nach. Kinkel stattete einen seiner ersten offiziellen Besuche der Volksrepublik China ab, deren Staatsführung damals noch umstrittener war als heute.
Damals wie heute ebenfalls im Fokus stand der Iran, das Thema bereitete Kinkel eine der schweren Abstimmungsniederlagen seiner Karriere. Rund 50 Koalitionsabgeordnete schlossen sich im November 1995 einem Antrag der Opposition an, den damaligen iranischen Außenminister Ali Akbar Velayati von der Islam-Konferenz auszuladen. Kinkel verschob die Konferenz daraufhin, gleichzeitig rumorte es heftig in der Regierung. Rücktrittsgerüchte kursierten, der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl berief eine Krisensitzung ein.
Gefragt als weiser Ratgeber
Kinkel allerdings sah nicht nur keinen Grund zum Rücktritt, er überstand diese innenpolitische Krise schadlos. Wäre die Bundestagswahl 1998 anders ausgegangen – damals übernahmen SPD und Grüne das Ruder –, wäre Kinkel wohl weiterhin Außenminister geblieben. So wurde er stattdessen Fraktionsvize und Mitglied im Sportausschuss des Bundestages, dem er bis 2002 angehörte.
Der studierte Rechtswissenschaftler arbeitete danach als Anwalt und war natürlich mit seinen Kontakten und seinem Wissen gefragt in seiner Partei. "Er war uns bis in diese Tage ein weiser und bisweilen leidenschaftlicher Ratgeber“, würdigte FDP-Chef Christian Lindner, der in einer ersten Reaktion wohl vielen Deutschen aus dem Herzen sprach: „Wir werden ihn sehr vermissen".