
Am Ende zeigten sich alle doch zufrieden. Zwar waren die Nato-Bündnispartner beim Gipfel zum 70. Geburtstag der Allianz von Jubelstimmung weit entfernt. Doch sie schafften es in Watford nahe London zumindest, das Familienporzellan wieder mühsam zusammenzukleben, das vor allem Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron zuvor zerschmettert hatte. Und immerhin, es gab keine Eklats. Jeder bemühte sich vielmehr darum, Harmonie zu demonstrieren.
„Das war ein sehr erfolgreiches Treffen“, sagte Kanzlerin Angela Merkel. Trump meinte, es habe „einen sehr guten Geist“ gegeben. Zum Abschluss des Gipfels einigten sich die 29 Verbündeten trotz aller Differenzen auf eine Erklärung, in der sie ihre gegenseitige Beistandsverpflichtung erneuerten und die Bedeutung der „transatlantischen Bindung zwischen Europa und Nordamerika“ betonten. Das darf angesichts der Spannungen zwischen den Mitgliedstaaten als Erfolg verbucht werden.
Um Schadensbegrenzung bemüht
Macron hatte der Nato kürzlich den „Hirntod“ bescheinigt und eine stärkere eigene Verteidigung Europas gefordert. Trump bezeichnete die Äußerung zum Zustand der Allianz am Dienstag als „beleidigend“ und „respektlos“. Die übrigen Mitglieder bemühten sich um Schadensbegrenzung. „Es gibt weitaus mehr, das uns eint, als das uns trennt“, sagte der Gastgeber, der britische Premierminister Boris Johnson.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nannte das Bündnis das beste aller Zeiten. Differenzen wären nicht neu, aber die Nato sei so erfolgreich durch ihre Anpassungsfähigkeit. „Was wir bewiesen haben und auch heute zeigen, ist, dass die Nato in der Lage ist, diese Differenzen zu überwinden.“ So weit würden Beobachter vermutlich nicht gehen, denn die von Macron angesprochenen Probleme sind auch nach diesen zwei Tagen keineswegs gelöst, sondern alles deutet auf die bekannte Weiter-so-Taktik hin.
Für Erleichterung dürfte derweil gesorgt haben, dass die Türkei die angestrengte Einigkeit nicht gesprengt hat, sondern sich am Ende versöhnlich präsentierte. Staatschef Recep Tayyip Erdogan hatte im Vorfeld des Gipfels angekündigt, Nato-Hilfen für baltische Staaten blockieren zu wollen, sollte das Bündnis die kurdische Miliz YPG nicht als Terrororganisation einzustufen. Am Ende gab die Türkei die Blockade gegen die Weiterentwicklung von Verteidigungsplänen für Osteuropa auf.
Streit um Einstufung der Kurden
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zufolge zeige das Einlenken der Türkei aber, dass man in der Lage sei, voranzukommen. Gleichzeitig betonte er, dass es unter den Bündnispartnern weiterhin unterschiedliche Ansichten darüber gebe, ob die Kurdengruppen PYD und YPG als Terrororganisationen einzustufen seien.
In der Abschlusserklärung wurde erstmals die aufstrebende Militärmacht China erwähnt. Die Partner erkannten die Herausforderungen durch die stärker werdende Volksrepublik an. Als ein mögliches Problem wird der Mobilfunkstandard 5G genannt, bei dem das chinesische Unternehmen Huawei als Technologieführer gilt.
In der Erklärung heißt es, die Allianz sei „mit unterschiedlichen Bedrohungen und Herausforderungen konfrontiert“, während explizit „die aggressiven Aktionen Russlands“ und „der Terrorismus in all seinen Formen“ genannt werden.
Als Trudeau, Macron und Johnson über Trump lästerten
Es waren aber nicht die Sitzungen oder Arbeitstreffen, die in diesen zwei Tagen die größte Aufmerksamkeit auf sich zogen, sondern ein Clip, der millionenfach in den Sozialen Medien geteilt wurde. Darin sind Gesprächsfetzen zu hören zwischen dem britischen Premier Boris Johnson, dem kanadischen Regierungschef Justin Trudeau und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron. Sie stehen während des abendlichen Empfangs im Buckingham-Palast zusammen – und lästern offenbar über Trump. „Ist das der Grund, warum du zu spät gekommen bist“, fragt Johnson scherzhaft Macron. Daraufhin wirft ein gut gelaunter Trudeau ein: „Er war zu spät dran, weil er eine 40-minütige Extra-Pressekonferenz eingelegt hat.“ In dem Video folgt ein Schnitt, dann sagt der Kanadier: „Ich habe gesehen, wie seinem Team die Kinnlade auf den Boden gefallen ist.“
Der Name Donald Trump fällt zwar nicht in der Unterhaltung, der auch Prinzessin Anne, Tochter von Königin Elizabeth II., und der niederländische Regierungschef Mark Rutte beiwohnten. Doch die Bemerkungen wurden als Anspielung auf die lange Pressekonferenz verstanden, die Macron und Trump zuvor abhielten und die den Streit zwischen den beiden verdeutlichte.
Trudeau zahlt keine zwei Prozent
Bei einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte Trump, angesprochen auf die Episode vom Abend zuvor, seinen kanadischen Amtskollegen gestern „doppelzüngig“. Trudeau sei „ein netter Kerl“. „Aber die Wahrheit ist, dass ich ihn darauf hingewiesen habe, dass er keine zwei Prozent zahlt – und ich denke, darüber war er vermutlich nicht sehr glücklich.“
Trump kritisiert im Dauerstreit um die Verteidigungsausgaben regelmäßig jene Mitgliedstaaten, die seiner Meinung nach finanziell zu wenig beitragen, vor allem Deutschland erinnert er stets an dessen Verpflichtungen. Die Nato hat sich mindestens zwei Prozent jedes einzelnen Mitgliedstaats – im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt – zum Ziel gesetzt.