Als er die lauten Rufe einer Frau gegen ein Uhr morgens hörte, dachte er zuerst an einen schlimmen Streit, sagt Nicolas am Morgen danach gegenüber französischen Medien. Er wohnt gegenüber jenem Gebäude im schicken 16. Bezirk im Westen von Paris, in dem sich in der Nacht zum Dienstag eine Katastrophe abgespielt hat – weitaus schlimmer als ein Streit. „Sie schrie, sie schrie. Also sahen wir nach. Das Haus brannte bereits total.“ In beißendem Rot schlugen sich die Flammen in die Nacht, wie Videos der Feuerwehr zeigen.
Mehr als fünf Stunden lang sollten die rund 200 Einsatzkräfte damit beschäftigt sein, das heftige Feuer, das vor allem im siebten und achten Stockwerk des Gebäudes wütete, zu löschen. Feuerwehrchef Clément Cognon sprach später von „außergewöhnlich brutalen Szenen“. „Wir mussten zahlreiche Leute retten, darunter etwa zehn Menschen, die auf die Dächer geflohen waren. Insgesamt haben die Feuerwehrleute rund 50 Personen evakuiert.“ Dennoch starben mindestens zehn Menschen bei der Katastrophe, von denen drei in Panik aus ihren Fenstern gesprungen waren. Auch ein Baby ist unter den Todesopfern. Mindestens 37 Personen wurden verletzt, darunter acht Feuerwehrmänner. „Paris ist heute Morgen in Trauer“, schrieb die Bürgermeisterin Anne Hidalgo auf Twitter.
"Eine psychiatrische Vorgeschichte"
Gegen ein Uhr morgens wurde der Brand in dem Haus entdeckt, das aus den 70er Jahren stammt. Die Ermittler gehen von Brandstiftung aus. Noch in der Nacht wurde eine Frau unter Tatverdacht festgenommen, die in der Nähe des Tatorts versuchte, einen Mülleimer und ein Auto in Brand zu stecken. Die 40-jährige Essia B. habe „eine psychiatrische Vorgeschichte“, sagte der Pariser Staatsanwalt Rémy Heitz. Sie wohnte im betroffenen Haus und war kurz zuvor aus einem psychiatrischen Krankenhaus entlassen worden. Zum Zeitpunkt ihrer Festnahme war sie betrunken und habe ihre Handlung durch den Konflikt mit einem Nachbarn gerechtfertigt, heißt es in französischen Medien.
Rauchgeruch im ganzen Viertel
Tatsächlich hatte ein anderer Hausbewohner vor dem Brand die Polizei geholt, da sie in voller Lautstärke Musik gehört hatte und nicht mit sich reden ließ. „Sie muss Feuer bei mir gelegt haben, um sich zu rächen“, sagte der Nachbar gestern gegenüber der Zeitung „Le Parisien“.
Die hohe Opferzahl liegt dem Polizeipräfekten von Paris, Michel Delpuech, zufolge in den „extrem schwierigen Bedingungen“ begründet, unter denen die Rettungskräfte eingriffen: Weil das betroffene Gebäude keinen direkten Zugang zur Straße habe, mussten die Feuerwehrleute mit ihrem Material ein erstes Gebäude zu einem kleinen Hof hin durchqueren, der zu dem brennenden Haus führt. Hier brachten sie ihre Leitern an, um die Fassaden hinaufzuklettern. Am Dienstagmorgen wurden zwei angrenzende Gebäude evakuiert. Mehrere Straßen in der Nähe des Stadtwaldes waren gesperrt; ein Rauchgeruch breitete sich im ganzen Viertel aus.
Viele Menschen in Schockzustand
Insgesamt brauchen rund 50 Menschen vorerst eine neue Unterkunft. „Die Opfer kamen in Hotels unter. Anschließend werden wir uns gemeinsam mit dem Staat, wenn nötig, um dauerhafte Unterkünfte kümmern“, versicherte Ian Brossart, in der Stadt zuständig für Wohnungsbau. Da sich viele Menschen in einem Schockzustand befanden, wurde ein psychologisches Krisenzentrum eingerichtet. Gestern untersuchte die Feuerwehr das Gebäude Stockwerk für Stockwerk in der Sorge, dass sich die Opferbilanz noch erhöhen könnte.