„Was Du nicht aufhalten kannst, kannst Du auch gleich begrüßen“ – das Lebensmotto von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn klingt nach abgedroschener Ratgeber-Literatur. Und doch scheint das Prinzip zu funktionieren für den 39-jährigen CDU-Politiker, den es nach ganz oben drängt. Über weite Strecken folgt in der Polit-Karriere des Münsterländers Erfolg auf Erfolg. Schon mit 22 zieht er in den Bundestag ein, gilt seither und bis heute als christdemokratisches Ausnahmetalent.
In der Flüchtlingskrise profiliert er sich als schärfster Kritiker der Einwanderungspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel, avanciert zum Liebling der Konservativen. Viele in der Partei trauen ihm zu, Merkel an der Parteispitze und im Kanzleramt abzulösen – früher oder später. Und er selbst macht aus seinen Ambitionen ohnehin keinen Hehl.
Einige Rückschläge
Doch in jüngster Zeit häufen sich die Rückschläge – woran die Kanzlerin nicht unschuldig ist. Als Ursula von der Leyen Chefin der EU-Kommission wird, melden die ersten Medien abends bereits Spahn als ihren Nachfolger im Verteidigungsministerium. Am Ende aber beruft die Kanzlerin ihre Vertraute Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) zur obersten Befehlshaberin der Streitkräfte. Mit säuerlichem Lächeln muss Spahn tags darauf einräumen, dass er nur telefonisch von der Entscheidung erfahren hatte.
AKK stach Spahn bereits im vergangenen Dezember aus, als es um den CDU-Vorsitz geht, den Merkel aufgegeben hat. Spahn wird im Dreikampf um das höchste Parteiamt sogar nur Dritter – hinter Friedrich Merz, der Spahn plötzlich die Rolle des Lieblings der Konservativen in der CDU streitig macht.
Der aufmüpfige Nachwuchsmann
Mag Spahn ein gewiefter Machttaktiker sein, ist ihm die Kanzlerin strategisch meist noch einen Schritt voraus. Das zeigt sich nach der Bundestagswahl 2017, als Spahn für sie immer mehr zur Bedrohung wird. Der Mann aus Nordrhein-Westfalen steht an der Spitze derer, die Merkel und ihre Flüchtlingspolitik für das schwache Unionsergebnis verantwortlich machen und einen Neuanfang fordern. Kaltstellen kann Merkel den populären Spahn, den Stachel in ihrem Fleisch nicht mehr. Dazu hat er zu starke Unterstützer, allen voran Partei-Urgestein Wolfgang Schäuble, der Spahn als Staatssekretär ins Finanzministerium holte.
Merkel denkt ganz ähnlich wie Spahn. Wenn sie den aufmüpfigen Nachwuchsmann schon nicht verhindern kann, begrüßt sie ihn eben. Und zwar als Bundesgesundheitsminister am Kabinettstisch. Eine vergiftete Beförderung, da sind sich die Beobachter einig. Spahn soll das vielleicht undankbarste aller Ressorts erben, eines, bei dem es viel Kritik und wenig Lorbeeren zu ernten gibt. Schon äußerlich macht das Ministerium, das sich auf der Berliner Friedrichstraße das Gebäude mit einer Bankfiliale teilt, nicht viel her. Und die Herausforderungen, die den neuen Hausherren erwarteten, scheinen kaum lösbar: Ärztemangel, Pflegenotstand, jede Menge Probleme rund um die Krankenhäuser.
Ärmere Wählerschichten im Blick
Das Gesundheitsministerium, so hofft Merkel, soll nun Abklingbecken und Abstellgleis zugleich sein. Doch der gelernte Bankkaufmann aus Ahaus an der deutsch-holländischen Grenze denkt gar nicht daran, sich die politische Karriere durch eine durchwachsene Bilanz im ersten Ministeramt versauen zu lassen. Als langjähriger gesundheitspolitischer Sprecher gut im Stoff, präsentiert er seit Monaten eine Gesetzesinitiative nach der anderen. Und versucht damit, sein Profil zu erweitern, für breitere Wählerschichten attraktiv zu werden. Das Bild des konservativen Spahn soll um den sozialen Spahn ergänzt werden. Bei ärmeren Wählerschichten hat Spahn einen schweren Stand, seit er sagte, dass Hartz IV nicht Armut bedeute. Nun setzt er sich für gesetzlich Versicherte ein, die sich oft als Patienten zweiter Klasse fühlen, sorgt für schnellere Facharzttermine. Organspende soll zum Regelfall werden, wenn der Spender oder seine Angehörigen nicht ausdrücklich widersprochen haben. Eine Impfpflicht für Masern, seit Jahren diskutiert, soll schon ab dem kommenden März greifen. Spahn, der zuvor vor allem durch eine kritische Sicht von Zuwanderung aufgefallen war, fährt in den Kosovo, um Pflegekräfte anzuwerben.
Großes Lob von Lauterbach
Noch ist nicht sicher, ob Spahns Gesetze wie versprochen die Missstände im Gesundheitswesen beseitigen. Doch dass er liefert, bescheinigt ihm selbst die SPD. Mit deren Gesundheitsexperten Karl Lauterbach bildet Spahn das dynamischste Duo der Großen Koalition. Wenn der Mann mit der Fliege von der Zusammenarbeit mit dem CDU-Politiker spricht, gerät er regelrecht ins Schwärmen, lobt Spahns Fachkenntnis und Offenheit. Würde es überall in der GroKo so harmonisch und lösungsorientiert laufen, müsste sich niemand um den Bestand dieser Regierung sorgen. Auf den ist Spahn indes nicht unbedingt angewiesen.
„Pizza-Connection“ wiederbelebt
Mit FDP-Chef Christian Lindner kann er gut, für führende Grünen-Politiker ist er der „Jensi“. War es doch Spahn, der zusammen mit dem Grünen Omid Nouripour ab 2013 wieder an die legendäre „Pizza-Connection“ anknüpfte, einen Gesprächskreis von Abgeordneten der Grünen und der CDU. Mit Schwarz-Grün oder Jamaika hätte Spahn kein Problem, umgekehrt Grüne und FDP keines mit ihm. Als konservativer Katholik und bekennender Abtreibungsgegner fühlt sich der CDU-Mann zudem der bayerischen Schwesterpartei CSU eng verbunden, ist sogar offizielles Gastmitglied. Spahn, der mit einem Journalisten verheiratet ist, hat viele Facetten und wenig politische Berührungsängste.
Den weiteren Aufstieg Spahns zu verhindern, könnte schwierig werden. Ob für Angela Merkel, AKK oder wen auch immer. Die Zeit läuft für Spahn: Noch ist er keine 40 Jahre alt, Rückschläge kann er wegstecken, Durststrecken überstehen. Und dass flotte Sprüche in der Politik so schnell aus der Mode kommen, ist nicht zu erwarten.