
„Moin Herr Bürgermeister, unsere Pferdewurst, die müssen Sie probieren“, lockt der Mann vom Imbisswagen. Peter Tschentscher, Oberhaupt des Stadtstaats Hamburg, hat entweder schon gefrühstückt oder schlicht keinen Appetit auf die Spezialität aus der Rossmetzgerei. Der schlanke Mann mit der dunklen Drahtbrille lässt den Snack ausfallen.
Ein „Schnack“ aber, ein Plausch, ist natürlich drin beim Rundgang über den kleinen Wochenmarkt von Harburg, einem der ärmsten Teile der Hansestadt. Schließlich kämpft der SPD-Politiker um sein Amt, bis zur Bürgerschaftswahl sind es nur noch wenige Tage. In den Umfragen hat der Nachfolger von Olaf Scholz zwar einen ordentlichen Vorsprung vor seiner Herausforderin Katharina Fegebank von den Grünen. Doch im Wahlkampf-Endspurt droht die Hamburger SPD in den Strudel eines Finanzskandals zu geraten. Die Affäre um krumme Geschäfte einer feinen Privatbank, bei der der Öffentlichkeit ein Verlust von 47 Millionen Euro entstanden ist, könnte auch Tschentscher gefährlich werden.
Harburg mit seinen fast 170 000 Einwohnern gilt als Problembezirk – weit entfernt vom Glanz der Elbphilharmonie. Harburg ist auch kein quirliger Szene-Kiez wie die Sternschanze. Für die Bewohner der anderen, der „richtigen“ Elbseite ist Harburg gar nicht Hamburg. Sondern schon „Nordbayern“.
Doch weil die Hansestadt mit ihren 1,8 Millionen Einwohnern beständig wächst, sind auch in Harburg die Mieten zuletzt massiv gestiegen. Viele Menschen treibt ihre Wohnsituation um, wie kein anderes Thema. Tschentscher kann auf die vielen neuen Gebäude verweisen, die in Harburg in den vergangenen Jahren entstanden sind.
Vom unscheinbaren Arbeiter zur Rampensau
Seine Begleiter von der traditionsreichen Harburger SPD, der politischen Heimat Herbert Wehners, freuen sich, wie gut der Spitzenkandidat bei den Marktbesuchern ankommt. Das sei nicht unbedingt zu erwarten gewesen, als Tschentscher Ende März 2018 „Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg“ wurde. Der Posten war vakant, weil Vorgänger Olaf Scholz als Vizekanzler und Bundesfinanzminister nach Berlin wechselte. Tschentscher galt als stiller, unscheinbarer Arbeiter im Hintergrund der Partei. Inzwischen nennt ihn ein Harburger Genosse eine „Rampensau“.
Tschentscher, der studierte Mediziner, hat etwas Onkel-Doktor-haftes, manche seiner Sätze klingen wie Diagnosen, an denen es nichts zu deuteln gibt, nüchtern und wissenschaftlich. „Es gab da keine Einflussnahme“, ist so ein Satz. An diesem sonnigkalten Morgen sagt er ihn mehrmals. Weil Leute ihn auf den „Cum-Ex-Skandal“ ansprechen. Die Hamburger Steuerbehörden hatten laut Berichten im Jahr 2017 im Zusammenhang mit sogenannten Cum-Ex-Geschäften eine mögliche Steuernachforderung an die Warburg-Bank in Höhe von rund 47 Millionen Euro verjähren lassen. Die Opposition wittert eine Einflussnahme der regierenden SPD, deren Finanzsenator Tschentscher damals war. Doch der Bürgermeister weist jeden Verdacht weit von sich, die SPD sieht in den Vorwürfen ein unfaires Wahlkampfmanöver.
Am Wahlkampfstand der CDU beim Marktplatz ist es ruhig, obwohl sich Spitzenkandidat Marcus Weinberg angesagt hat. In Umfragen dümpeln die Christdemokraten bei rund 14 Prozent.
In der Lüneburger Straße, Harburgs Einkaufsmeile, wirbt ein Laden für den „Handyvertrag ohne Schufa“, „Harem Brautmoden“ hat prächtige orientalische Kleider dekoriert. Türkische Juweliere, Schnellrestaurants und Lebensmittelläden dominieren die kleine Fußgängerzone. AfD-Plakate bleiben in dieser multikulturellen Umgebung nicht lange hängen. Hamburgweit liegt die AfD in den Umfragen um die sechs, sieben Prozent, die Linke nur knapp darüber.
Echte politische Gefahr droht Peter Tschentscher nur von einer Seite – vom Koalitionspartner seiner SPD, den Grünen. Katharina Fegebank, die eigene Stellvertreterin, will ihn stürzen. Und zeitweise sah es so aus, als könnte der 42-jährigen Wissenschaftssenatorin das auch gelingen. Eine Infratest-Umfrage von Anfang Januar sah Grüne und SPD gleichauf bei 29 Prozent Zustimmung. Inzwischen ist die SPD, die im Wahlkampf auf Hilfe aus der Berliner Parteizentrale dankend verzichtet, auf 38 Prozent gestiegen. Dagegen sind die Grünen auf 23 Prozent gefallen. Bei den Harburger Grünen herrscht über die Gründe Rätselraten.
Katharina Fegebank für Hochschulpolitik geschätzt
Die Mutter von einjährigen Zwillingen wird von den standesbewussten hanseatischen Reedern und Kaufleuten gern als Gesprächspartnerin eingeladen, für ihre Hochschulpolitik geschätzt. Im Wahlkampf wird Fegebank massiv von der Grünen-Bundesspitze um Annalena Baerbock und Robert Habeck unterstützt. Denn auf Fegebank ruht die Hoffnung, dass Hamburg nach Winfried Kretschmanns Baden-Württemberg das zweite von einem Grünen regierte Bundesland wird.
Ein Mann mit Kurzhaarschnitt und Funktionsanorak ist skeptisch, was die Klimapolitik der Grünen betrifft: „Autofahren, Heizung, Urlaub, alles soll teurer werden. Das trifft doch am Ende wieder nur die, die ohnehin knapp bei Kasse sind.“ Fegebank widerspricht: „Das sehe ich komplett anders.“ Die CO2-Bepreisung gehe ja mit einer Senkung der Strompreise einher. Und die Grünen würden sich ja auch für niedrigere Preise im öffentlichen Nahverkehr einsetzen, beteuert sie. Überzeugt ist der Mann nicht. Niedrigere Fahrpreise brächten wenig, wenn die S-Bahn-Anbindung so miserabel sei, wie in Harburg, kontert er. Ob sie den Mann überzeugt hat, bleibt offen. Viele Wähler gelten noch als unentschlossen. Fegebank will bis zum Wahltag alles versuchen, um von der Zweiten zur Ersten Bürgermeisterin Hamburgs zu werden, in einer Grün-Roten statt einer Rot-Grünen Koalition.