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KABUL/BERLIN
Afghanistan: Warum der Einsatz nicht sinnlos war
Der zwei Jahrzehnte währende westliche Einsatz in Afghanistan ist gescheitert. Nun lautet der Tenor vieler Kommentare: Das Engagement habe nichts gebracht. Entwicklungshelfer wollen das so nicht stehen lassen.
Von Bernhard Junginger
 |  aktualisiert: 22.08.2021 02:40 Uhr

Nach der Machtübernahme der Taliban steht Afghanistan vor einer düsteren Zukunft. Der zwei Jahrzehnte währende westliche Einsatz ist gescheitert. Nun lautet der Tenor vieler Kommentare: Das Engagement habe nichts gebracht. Entwicklungshelfer wollen das so nicht stehen lassen. So hat sich etwa nach Angaben des Entwicklungsministeriums die Zahl der Kinder, die zur Schule gehen können, verzwölffacht – auf mehr als zwölf Millionen Kinder.

Davon profitierten vor allem Mädchen und Frauen. Die Lebenserwartung ist seit 2002 um neun Jahre gestiegen, das Pro-Kopf-Einkommen hat sich vervierfacht. Mädchen und Frauen droht nun wieder brutale Unterdrückung. Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes betrieb in Afghanistan etliche Ausbildungsprojekte. Durch den Siegeszug der radikal-islamistischen Taliban, die ein vormodernes Geschlechterbild vertreten, wird die Arbeit nun schwierig, wenn nicht unmöglich. Jegliche menschenrechtliche Ansätze, die das Land in den vergangenen zwei Jahrzehnten eingeführt habe, würden nun zerstört, sagte eine Sprecherin von Terre des Femmes unserer Redaktion.

Afghanische Aktivistinnen schwebten in Todesgefahr. Sie forderte, dass Frauenrechtlerinnen, die sich für Freiheit und Gleichberechtigung aller Afghaninnen eingesetzt haben, von der Bundesregierung in Sicherheit gebracht werden müssten. Afghanistan gehörte zuletzt zu den Ländern, die am meisten deutsche Entwicklungshilfe erhielten. Für das laufende Jahr waren rund 170 Millionen Euro vorgesehen. Wegen der völlig instabilen Lage aber hat Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) die deutsche Unterstützung am Dienstag eingefroren. Zuvor hatte etwa die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit Trinkwasserbrunnen gebohrt, Schulen gebaut, manche speziell für Mädchen, oder Krankenstationen errichtet.

„Wir können jetzt nicht aufgeben, müssen gerade Mädchen und Frauen weiter eine Perspektive geben.“
Ekin Deligöz, Komitee Unicef Deutschland

Die deutsch-afghanischen Beziehungen haben keineswegs erst mit dem Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch ab 2002 begonnen, sondern reichen weit zurück. Das Kaiserreich Deutschland schickte während des Ersten Weltkriegs Abgesandte ins damalige britische Protektorat. Sie sollten einen Aufstand anzetteln, um den Gegner Großbritannien zu schwächen. Der Plan misslang, doch ein Kontakt war hergestellt, der Macht- und Systemwechsel ebenso wie Unterbrechungen durch Kriege und Konflikte überdauerte. Zahlreiche spätere afghanische Politiker lernten an der 1924 mit deutscher Unterstützung gegründeten Amani-Oberrealschule in Kabul. Polizeioffiziere wurden sowohl von der Bundesrepublik als auch der DDR ausgebildet. Seit die erste Herrschaft der Taliban durch den US-geführten Einsatz, Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001, beendet wurde, engagierte sich die Bundesrepublik nicht nur militärisch. Soldaten traten zunächst eher auf wie Entwicklungshelfer, bauten Brücken und bohrten Brunnen. Im Umfeld der Bundeswehr-Feldlager war von einem wirtschaftlichen Aufschwung die Rede. Speziell im Norden, wo die Taliban verhältnismäßig wenig Rückhalt in der Bevölkerung genossen, florierte der Handel, öffneten Internet-Cafés und Schnellrestaurants, entstanden Handynetze. Soldaten spielten Fußball mit der Dorfjugend, was später wegen der sich stetig verschärfenden Sicherheitslage undenkbar wurde. Während der zu Ende gegangenen Ausbildungsmission für die afghanische Armee, die nun vor den Taliban floh, war die Bundeswehr zunehmend damit beschäftigt, sich selbst vor Anschlägen zu schützen. Auch für die Hilfsorganisationen verschlechterte sich die Lage, viele harrten trotzdem bis zuletzt aus. Ekin Deligöz, Bundestagsabgeordnete der Grünen, ist Mitglied des Komitees bei Unicef Deutschland. Dieser Redaktion sagte sie: „Als Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen sind wir bereits seit 65 Jahren in Afghanistan aktiv, haben Notfall- und Geburtskliniken aufgebaut, die Trinkwasserversorgung verbessert.“

Unicef habe nicht vor, das Land zu verlassen, sondern wolle weiter in allen Regionen für die Kinder da sein. Im Moment aber gehe Sicherheit vor. Einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden die Hilfe vorübergehend vom nahen Kasachstan aus koordinieren. Die einheimischen Unicef-Kräfte dürften nicht im Stich gelassen werden. „Wir können jetzt nicht aufgeben, müssen gerade Mädchen und Frauen weiter eine Perspektive geben.“

 
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