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BERLIN
Wann ist ein Film für Kinder geeignet?
Kinospaß ohne Alpträume: Darauf sollten Eltern achten       -  Die Prüfzeichen der FSK – etwa auf DVD-Hüllen – sind weithin bekannt. Wie ein Film geprüft wird, dagegen nicht.
Foto: Andrea Warnecke, dpa | Die Prüfzeichen der FSK – etwa auf DVD-Hüllen – sind weithin bekannt. Wie ein Film geprüft wird, dagegen nicht.
Von Tilmann P. Gangloff
 |  aktualisiert: 11.12.2019 16:38 Uhr

Wenn sich ältere Erwachsene an verstörende Fernseherlebnisse aus ihrer Kindheit erinnern, geht es meist um einen allzu spannenden „Tatort“, ein beklemmend realistisch geschildertes Verbrechen in „Aktenzeichen XY … ungelöst“ oder einen spätabends heimlich geschauten Horrorfilm. Heutzutage klingt das angesichts von Sex und Gewalt im Internet beinahe rührend. Was fast in Vergessenheit geraten ist: Bis zur Einführung des Videoverleihs in den 1980ern war das Fernsehen die einzige Möglichkeit für Kinder, einen Blick auf „verbotene“ Bewegtbilder zu erhaschen. Das Kino war dagegen schon immer konsequent reguliert: Wer für einen Film offenkundig nicht alt genug ist, hat keinen Zutritt.

Für die Altersfreigaben sorgt seit nunmehr 70 Jahren die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) in Wiesbaden. Bei einer Kinoproduktion schauen sich fünf Prüfer gemeinsam einen Film an. Wenn die Handlung keine jugendschutzrelevanten Themen enthält, ist man sich rasch einig. Bei strittigen Produktionen wird diskutiert. Das dauert im Schnitt etwa 15 Minuten. Kann sich die Runde nicht einigen, ob ein Film etwa die Altersfreigabe ab sechs, zwölf oder 16 Jahren bekommen soll, wird die jeweils strengere Variante gewählt.

Strittige Fälle: „Keinohrhasen“ und „Harry Potter“

Strittige Fälle gab es dabei immer wieder. Die Freigabe von Til Schweigers Beziehungskomödie „Keinohrhasen“ (2007) ab sechs Jahren stieß angesichts der teilweise sexgeprägten Dialoge auf Unverständnis bei vielen Eltern. „Harry Potter und die Kammer des Schreckens“ (2002) sollte dagegen erst ab zwölf Jahren freigegeben werden – was garantiert zu Dramen an der Kinokasse geführt hätte. Der Verleih kürzte daraufhin einige der spannendsten Szenen. Die Debatte darüber hatte zur Folge, dass ein sogenanntes Elternprivileg eingeführt wurde: In Begleitung von Erziehungsberechtigten dürfen auch Sechsjährige Filme mit der Altersfreigabe ab zwölf besuchen.

Im Großen und Ganzen hat sich das Verfahren bewährt. Trotzdem wird die Prüfpraxis im kommenden Jahr radikal geändert: Die FSK entwickelt derzeit laut Geschäftsführer Stefan Linz „ein kriterienbasiertes Klassifizierungs-Tool, das die Prüfverfahren vereinfachen und beschleunigen soll“. Was nichts anderes heißt, als dass künftig statt fünf Prüfern einer ausreichen würde. Dieser schaut einen Film, füllt dabei einen Online-Fragebogen mit Fragen zu allen jugendschutzrelevanten Sachverhalten aus – und dann ist eine Software am Zug. Sie wertet den Fragebogen aus und kommt zu einer Altersbewertung.

Der Fragebogen ist in verschiedene Kategorien eingeteilt. Neben der Darstellung von Gewalt und Sexualität oder der Thematisierung von Drogenkonsum werden auch weniger offenkundige Aspekte des Jugendschutzes berücksichtigt, zum Beispiel selbstverletzendes Verhalten. Der Fragebogen umfasst derzeit knapp 100 Fragen, die aber nicht alle beantwortet werden müssen. Denn spielt eine der Kategorien keine Rolle, fallen die zugehörigen Unterfragen weg.

Das Beispiel der Darstellung von Drogenkonsum

Linz erläutert das am Beispiel Drogenkonsum: Ein Prüfer müsse zunächst angeben, ob der Konsum bildlich dargestellt oder „nur“ thematisiert werde. Es folgen Fragen wie: Handelt es sich um sogenannte harte oder weiche Drogen? Sind Minderjährige involviert? Wird der Drogenkonsum kritisch dargestellt? Bisherige Tests, bei denen Filme herkömmlich sowie mit der neuen Methode geprüft wurden, seien äußerst positiv verlaufen, sagt Linz.

Jugendschützer sind trotzdem skeptisch und vermuten, die Reform habe allein finanzielle Gründe. Der Druck der Branche auf die FSK sei ohnehin enorm, sagt ein Insider: „Im DVD-Bereich gehen die Verkaufszahlen seit Jahren runter, weil es die meisten Mainstream-Filme mittlerweile bei Pay-TV- und Streaming-Angeboten als Video auf Abruf gibt.“ Die Umsätze der DVD-Anbieter seien dementsprechend gesunken – weshalb die Kosten für eine FSK-Prüfung im Vergleich zu den Einnahmen heute einen ganz anderen Stellenwert hätten als noch vor einigen Jahren.

Die Prüfkosten für einen Film richten sich nach dessen Länge. Für die Prüfung eines 90-minütigen Kinofilms muss ein Verleih rund 1000 Euro zahlen.

Zudem gibt es Diskussionen darüber, wie glaubwürdig eine Altersfreigabe überhaupt noch ist. Denn im Online-Bereich dürfen die Anbieter – Streamingdienste wie Netflix oder Amazon Prime – die Alterskennzeichnung selbst vornehmen. Die Verleiher sähen daher nicht ein, „viel Geld für die Prüfungen zu bezahlen, wenn im Netz, überspitzt formuliert, alles erlaubt ist“, sagt der Insider.

Kritik vor allem am neuen „Tool“ der FSK

Vor allem jedoch regt sich Kritik am neuen „Tool“ der FSK – obwohl das noch gar nicht im Einsatz ist. Das niederländische Pendant zur FSK – Nicam – hat ein vergleichbares System zur Altersbewertung bereits vor längerem eingeführt. Dort habe es zehn Jahre gedauert, bis das System tatsächlich praktikabel gewesen sei, sagt ein Jugendschützer. Unabhängige Tests hätten zwar ergeben, dass die Übereinstimmungen mit den Freigabeentscheidungen eines Prüfausschusses bei 85 Prozent lägen. Ähnliche Zahlen erwartet er auch für das neue FSK-Modell, wobei aber die restlichen 15 Prozent der „Knackpunkt“ seien: „Die meisten Entscheidungen der FSK sind einstimmig, doch entscheidend sind die strittigen Fälle.“ Und Freigaben, die auf Algorithmen basierten, fielen erfahrungsgemäß strenger aus.

Der Jugendschützer nennt dieses Beispiel: „Gewalt ist ja nicht immer gleich Gewalt, es gibt Unterschiede in der Intensität und in der Drastik der Darstellung. Beides lässt Rückschlüsse auf die Frage zu, ob die Gewalt befürwortet wird. Aber solche Differenzierungen sind bei Fragebögen nicht vorgesehen.“ Stefan Linz von der FSK hat darauf eine Antwort: In strittigen Fällen werde es wie bisher die Möglichkeit geben, in Berufung zu gehen. Dann befasse sich ein Prüfausschuss mit dem Film. Die FSK wird also nicht völlig auf ihre derzeit rund 230 ehrenamtlichen Prüfer verzichten können. Jugendschützer beruhigt das nicht.

Die Aufgaben der FSK

Im Sommer 1949 hat die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft in Wiesbaden ihre Arbeit aufgenommen. Die FSK ist nach dem Jugendschutzgesetz zuständig für die Alterskennzeichnung von filmischen Inhalten im Kino und auf Video beziehungsweise DVD. Seit ihrer Gründung hat sie fast 250 000 filmische Inhalte geprüft und freigegeben: Spielfilme, Dokus, Kurzfilme, Serien, Trailer, Werbespots, Musik-Clips, Konzertaufnahmen sowie Bonusmaterial auf DVDs. Derzeit werden pro Jahr rund 12 000 Freigaben erteilt.

Über die Altersfreigaben entscheiden (noch) rund 230 ehrenamtliche Prüfer, die aus unterschiedlichen Berufsfeldern und gesellschaftlichen Bereichen stammen. Viele haben Erfahrung in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen oder in der Medienwirkungsforschung. (tpg)

 
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