Die amerikanischen Kampfflugzeuge am Golf waren schon in der Luft, und die Kriegsschiffe hatten ihre Position eingenommen. Der Vergeltungsschlag für den iranischen Abschuss eines unbemannten US-Überwachungsflugzeugs sollte in der Nacht zum Freitag drei iranische Raketenstellungen und Radarstationen treffen. Doch dann kam plötzlich der Befehl zum Abbruch der Aktion. „Zehn Minuten vor dem Militärschlag habe ich ihn gestoppt“, twitterte US-Präsident Donald Trump am Freitagmorgen und bestätigte damit amerikanische Medienberichte.
Die von Trump zunächst genehmigte und dann abrupt abgebrochene Attacke illustriert nicht nur die hochexplosive Lage im Nahen Osten. Sie verdeutlicht auch die dramatische Kopflosigkeit der von Richtungskämpfen aufgewühlten amerikanischen Regierung. Ein General habe ihn informiert, dass es 150 Tote geben könnte, erklärte Trump am Freitag. Das sei unangemessen: „Ich bin nicht in Eile. Unser Militär ist neu aufgebaut und bereit zum Einsatz.“ Schon vor der plötzlichen Kehrtwende hatte Trump widersprüchliche Signale ausgesandt: „Iran hat einen sehr großen Fehler gemacht“, drohte er am Donnerstagmorgen zunächst bei Twitter. Stunden später erklärte er: „Ich kann nicht glauben, dass das absichtlich geschah.“ Möglicherweise, so Trump, habe ein General „etwas gemacht hat, was er nicht hätte tun sollen“.
Zwischen den beiden Äußerungen lagen stundenlange Beratungen im Situation Room des Weißen Hauses, an denen auch Außenminister Mike Pompeo, Sicherheitsberater John Bolton, CIA-Chefin Gina Haspel sowie der scheidende geschäftsführende Verteidigungsminister Patrick Shanahan und sein designierter kommissarischer Nachfolger Mark Espen teilnahmen. Pompeo und Bolton gelten als Hardliner in der Iran-Krise. Bolton hat mehrfach die Bombardierung des Landes und einen Regimewechsel in Teheran gefordert. Trump hingegen hat sich im Wahlkampf als Isolationist präsentiert, der die USA aus internationalen Konflikten heraushalten und die Truppen im Nahen Osten reduzieren will. Das Pentagon ist angesichts seiner Personalturbulenzen nach amerikanischen Medienberichten derzeit politisch an den Rand gedrückt.
Er glaube, dass Trump „keinen Krieg wolle“, berichtete Chuck Schumer, der Fraktionschef der Demokraten im US-Senat, am Donnerstag nach einer Unterrichtung der Kongressführer im Weißen Haus: „Aber wir sind besorgt, dass die Regierung in einen Krieg hineinstolpert.“ Die Demokraten verlangen, dass jede militärische Aktion zunächst vom Kongress gebilligt werden muss. Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsentantenhauses, warnte: „Das ist eine gefährliche, höchst angespannte Lage, die keinen draufgängerischen, sondern einen starken, klugen und strategischen Ansatz erfordert.“ Die Regierung, forderte sie, müsse „alles tun, um die Lage zu deeskalieren“.
Doch an einer Strategie scheint es im Weißen Haus zu mangeln. Trump hat über Monate gehofft, den Iran mit maximalem Druck zur Abkehr von seinen Atomplänen und der Destabilisierung der Region zu bewegen. Das Gegenteil ist eingetreten. „Unsere Regierung hat weder einen Plan A noch einen Plan B“, kritisiert der demokratische Senator Gary Peters: „Das ist unverantwortlich.“ Während Trump von seinem Sicherheitsberater Bolton zu einem Iran-Krieg gedrängt wird, rät ihm sein Vertrauter Tucker Carlson, ein glühender Propagandist der „America-First“-Ideologie, davon eindringlich ab. „Das wäre Wahnsinn“, mahnte der Moderator von Trumps rechtem Lieblingssender Fox.
Zudem wirkt die amerikanische Führung in dem Konflikt schlecht organisiert. Während der Iran behauptet, er habe die 130 Millionen Dollar teure amerikanische Riesen-Drohne nach einer Warnung über dem eigenen Hoheitsgebiet abgeschossen, hat sich der Vorfall nach Darstellung Washingtons über internationalen Gewässern ereignet. Doch während Teheran innerhalb weniger Stunden eine Karte mit dem angeblichen Abschussort verbreitete, brauchte das Pentagon für die öffentliche Lokalisierung einen ganzen Tag. „Die Iraner gewinnen gerade den Propagandakrieg“, warnte Generalleutnant Mark Hertling, der ehemalige Kommandeur der US-Army in Europa, im Sender CNN.