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Toter Mann in Augsburg: Kaltblütig am Königsplatz
Was geschah in Augsburg? Ein Schlag auf den Kopf hat einen Feuerwehrmann das Leben gekostet – und eine Diskussion weit über die Stadt hinaus ausgelöst. Nun haben die Ermittler erste Details über den Tatablauf und die Täter vorgelegt.

Von Jörg Heinzle, Jan Kandzora

und Stephanie Sartor

 |  aktualisiert: 15.12.2019 02:10 Uhr

Der Schlag kam unvermittelt, von der Seite, mit Wucht. Ein kurzer Moment, eine fatale Entscheidung. Sie kostet einen 49-jährigen Feuerwehrmann in Augsburg das Leben. Der Brandinspektor der Berufsfeuerwehr hatte am Freitag mit seiner Frau und einem befreundeten Ehepaar den Christkindlesmarkt besucht. Beide Ehepaare kamen auf dem Heimweg am Königsplatz vorbei. Ein zentraler Platz in der Stadt und wie viele Verkehrsknotenpunkte ein Ort, an dem sich nicht nur die angenehmen Seiten des Stadtlebens zeigen, an dem man auf Süchtige und Kriminelle treffen kann, auf Pöbler.

Die beiden Ehepaare stießen auf eine Gruppe Jugendlicher und junger Männer, sieben insgesamt, offenbar geriet man aneinander. Der 49-Jährige wurde von der Gruppe umringt, dann der Schlag aus dem Nichts. Gerhard Zintl, der Augsburger Kripo-Chef, wiederholt den Tatablauf am Montag im Polizeipräsidium bei einer Pressekonferenz mehrfach. Zintl zufolge scheint klar zu sein: Es war wohl der Schlag, der zum Tode des Mannes führte, nicht der Aufprall auf dem Boden. Die Jugendlichen wandten sich nach der ersten Attacke den derzeitigen Ermittlungserkenntnissen zufolge dem anderen Mann zu. Er sei attackiert und schwer im Gesicht verletzt worden, so die Polizei.

Online macht schnell alles Mögliche die Runde. Man muss nicht einmal auf einschlägigen Seiten suchen, um zu finden: Flüchtlinge seien die Täter, hieß es vielfach, Mörder, bevor auch nur irgendetwas feststand, gepaart mit Vorwürfen an Presse und Polizei, die angeblich vieles verschwiegen.

Tatsächlich sind sich die Ermittler recht schnell sicher, die Täter fassen zu können. Auch, weil der Königsplatz videoüberwacht wird. Sie halten zunächst manche Informationen zurück, um die Verdächtigen nicht zur Flucht anzutreiben. Ein nicht unübliches Vorgehen, das in diesem Fall online teils zu Hysterie führt. Man habe nichts vertuschen wollen, sagt Polizeipräsident Michael Schwald. Im Vordergrund habe die bestmögliche Ermittlung gestanden.

Am Montag gibt die Polizei bekannt, dass am Wochenende ein weiterer Mann in Augsburg Opfer eines Tötungsdeliktes geworden sei. Er wird in seiner Wohnung tot aufgefunden. Auch in Stuttgart wurde eine 77-jährige Frau getötet, auf offener Straße erstochen. Der Hintergrund ist unklar. Es geht angesichts der überwältigenden Aufmerksamkeit für den getöteten Feuerwehrmann unter.

Ein Hinweis eines jungen Zeugen führt die Kripo in Augsburg schließlich auf die richtige Spur. Am Sonntagnachmittag meldet die Polizei die Festnahme des Hauptverdächtigen sowie eines mutmaßlichen Komplizen. Später gibt sie die Festnahme weiterer Verdächtiger bekannt. Am Montagnachmittag kommen alle sieben Jugendlichen und junge Männer in Untersuchungshaft wegen des Verdachts des Totschlags und der Beihilfe dazu. Alle sind sie in Augsburg geboren und aufgewachsen, es sind Deutsche mit Migrationshintergrund – was in einer Stadt wie Augsburg mit fast 50 Prozent Migrantenanteil nicht unwahrscheinlich ist.

Der mutmaßliche Haupttäter ist 17 Jahre alt, hat neben der deutschen auch die türkische und libanesische Staatsangehörigkeit und lebte bei seinen Eltern im Stadtteil Oberhausen. Die Wohnung liegt in einem Hinterhof. Die Familie lebt in einfachsten Verhältnissen. Eine Schwester kommt nach draußen und sagt, die Familie wolle sich nicht äußern. „Es reicht uns, was wir in den Medien erfahren müssen“, sagt sie. Der 17-Jährige ist der Polizei, aber auch dem Jugendamt und anderen Organisationen, die sich um das Wohl von Jugendlichen bemühen, bekannt. Er ist nicht das, was man bei der Polizei einen Intensivtäter nennt, aber sicher auch alles andere als harmlos.

Bekannte sagen, er habe „ständig mit der Polizei zu tun“. Und Kripo-Chef Zintl sagt, der Jugendliche sei bereits wegen „Körperverletzung in Erscheinung getreten“. Auch Drogendelikte sollen eine Rolle spielen. Angaben vor dem Ermittlungsrichter machte der Jugendliche zunächst nicht. Sein Anwalt Marco Müller erklärt auf Anfrage, er könne zum derzeitigen Stand der Ermittlungen keine Stellungnahme abgeben. Nur so viel: Sein Mandant habe den 49-Jährigen sicher nicht töten wollen.

Im Visier der Ermittler ist auch ein zweiter 17-Jähriger, ebenfalls in Augsburg geboren, mit italienischer Staatsbürgerschaft. Auch er lebt im Stadtteil Oberhausen, in einem in die Jahre gekommenen Reihenhäuschen. An der Haustür hängt ein großer Kranz aus weißen Christbaumkugeln und mit Engelsflügeln. Die Mutter des Jugendlichen steht vor dem Haus und zieht an einer Zigarette. Ein Kamerateam ist aufgetaucht und filmt die Frau ungefragt. „Ich kann ihnen nichts sagen“, sagt die Frau. „Wenden Sie sich an den Anwalt.“ Auch dieser 17-Jährige soll schon zuvor bei der Polizei aufgefallen sein, von Drogendelikten ist die Rede.

Bislang ist unklar, wie der Jugendliche genau an der Tat beteiligt war. Sein Anwalt Felix Dimpfl erklärt, sein Mandant sei an keinerlei körperlicher Auseinandersetzung beteiligt gewesen. Relativ eindeutig äußert sich die Polizei bisher nur zur Rolle des mutmaßlichen Haupttäters. Das genaue Geschehen sei noch immer Gegenstand der Ermittlungen, sagt Kripo-Chef Gerhard Zintl. Er sagt aber auch, dass eine Gruppe junger Männer sich in einer Innenstadt „nicht schleichend und ruhig“ verhalte, das sei überall gleich.

Erwin Schletterer, der in Augsburg den Verein „Brücke“ leitet, sagt, dass Gruppendynamik in solchen Fällen und bei jungen Männern zumeist eine Rolle spiele. Der Verein arbeitet überwiegend mit jungen Straffälligen. In einem Projekt geht es etwa auch darum, wie man reagiert, wenn man beleidigt wird oder sich angegriffen fühlt. Schletterer sagt, bei einer kleinen Gruppe Jugendlicher gebe es eine große Empfindlichkeit gegenüber Missbilligungen, Ansprachen und Kritik; manchmal reiche ein Blick, und es werde mit Gewalt reagiert. Mit verbaler Gewalt oftmals, teils aber auch mit körperlicher.

Mittlerweile gibt es viele Studien, die belegen, dass Männer – vor allem zwischen 18 und 21 Jahren – besonders gewaltbereit sind. Auch Jörg Breitweg, Experte für Gewaltprävention bei der Aktion Jugendschutz Bayern, sagt: „Das ist ein fast rein männliches Problem.“ Etwa 80 Prozent der Gewalttäter seien Männer, wenn Alkohol im Spiel ist, steige die Zahl auf über 90 Prozent.

Immer wieder bekommt Breitweg, der lange als Streetworker gearbeitet hat, auch die Frage gestellt, ob denn die Hemmschwelle bei jungen Menschen generell sinke. Seine Antwort: Nein. „Junge Erwachsene haben zwar am meisten mit Gewalt zu tun – und zwar sowohl als Täter als auch als Opfer. Aber das war schon immer so.“

Richtiges Verhalten in Gefahrensituationen

Wie reagiere ich als Opfer?

Wenn man angepöbelt wird, sei es wichtig, ruhig zu bleiben, sagt Günter Müller von der kriminalpolizeilichen Beratungsstelle der Kripo Augsburg. „Man sollte den anderen nicht provozieren und sich auch nicht provozieren lassen.“

Oft ist es am besten, weiterzugehen, Distanz zwischen sich und den anderen zu bringen. Wenn man reagiert, sollte man höflich bleiben und den anderen nicht duzen. „Etwa: Hören Sie auf, mich zu beleidigen“, sagt Müller.

Wenn man von einer Gruppe angepöbelt wird, sei es besser, die Straßenseite zu wechseln, rät Harald Schmidt, Geschäftsführer der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes. „Sich allein gegen eine Gruppe zu wenden, ist schwierig“, sagt Schmidt.

Ein Pauschalrezept, wie man mit brenzligen Situation umgehen sollte, gibt es nicht. Generell müsse man die Situation aber immer ganz genau abwägen. „Denn schließlich weiß man ja nie, wie kurz die Zündschnur des anderen ist“, so Schmidt.

Wie reagiere ich als Zeuge?

Helfen, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen: Schon ein lautes Wort oder eine kleine Geste können den Täter einschüchtern. „Dabei sollte man ihn aber aus einer gewissen Distanz ansprechen“, sagt Günter Müller. „Es geht nicht darum, den Helden zu spielen.“

Die Polizei rufen: Jede Sekunde zählt. Je schneller die Polizei unter der Notrufnummer 110 alarmiert wird, desto besser kann der Täter ermittelt und dem Opfer geholfen werden.

Andere um Hilfe bitten: Gezielt und direkt andere Menschen ansprechen und um Hilfe bitten. Etwa so: „Sie in der grünen Jacke, helfen Sie mir.“ Auch Harald Schmidt, Geschäftsführer der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes, rät dazu, sich Verbündete zu suchen. „Der Täter merkt dann: Ich habe hier nicht die Oberhand. Was ich hier mache, wird nicht toleriert“, erklärt Schmidt. Um die Situation zu deeskalieren, sollte ein Täter nicht geduzt werden, man müsse ihm mit Respekt begegnen, sagt der Experte.

Genau hinschauen: Wer die Szene aufmerksam beobachtet, kann der Polizei später wichtige Hinweise geben. Details, auf die es ankommt: Wie groß ist der Täter? Welche Haarfarbe hat er? Welche Kleidung trug er? „Besonders wichtig sind herausstechende Merkmale“, sagt Müller.

Opfer versorgen: Oft können nur wenige Sekunden über Leben und Tod entscheiden. Deshalb ist es entscheidend, Erste Hilfe zu leisten. „Die erste Sorge gilt immer dem Opfer, nicht dem Täter“, sagt Müller. Allerdings trauten sich viele Menschen nicht, zu helfen – aus Angst, etwas falsch zu machen. Müller gibt aber zu bedenken: „Wenn man nicht hilft, dann hat das Opfer unter Umständen keine Chance.“

Als Zeuge aussagen: „Die Polizei ist darauf angewiesen“, sagt Müller. Er rät Menschen, die etwas beobachtet haben, auf die Beamten zuzugehen. (az)

 
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