Ein „Himalaya-Tal“ gibt es auch im aus den „Rosamunde-Pilcher“-Filmen bekannten Cornwall. Was auf die meisten genauso überraschend wirken dürfte wie die Teebüsche, die sich den Hügel hinaufziehen und selbst in Englands Grau in sattem Grün strahlen. Am Talgrund sind zwei Teiche angelegt, in deren Wasser sich Hortensien und exotische Pflanzen spiegeln. Daneben ein Pavillon mit Pagodendach.
Ein Besuch im Himalaya-Tal bietet erstaunliche Erkenntnisse – gekrönt wird er von einer „lovely cup of tea“, einer schönen Tasse Tee. Und die schenken sich die Mitarbeiter in Tregothnan ohnehin von morgens bis abends ein. Qualitätskontrolle. Hier auf dem Landgut, das sich in der Nähe von Truro in der Grafschaft Cornwall hinter schmalen Straßen und hohen Böschungen versteckt, will Jonathan Jones die berühmte englische Tradition auch in seiner Heimat buchstäblich verwurzeln. Mit einigem Erfolg.
Früher Landschaftsgärtner auf dem Anwesen, ist er seit einigen Jahren als Geschäftsführer unaufhörlich damit beschäftigt, „den britischsten Tee in der Geschichte“ zu vermarkten. Immerhin, in Tregothnan gab es die erste Teeplantage auf der Insel. Ein paar kleinere folgten.
Tee steht in Sachen „Englishness“ auf einer Stufe mit der Queen und den roten Telefonzellen. Die Teezeit, die „tea time“, stellt für die Briten ein beliebtes Ritual dar; Teetrinken gehört zur Lebensart und Kultur, ist Teil der Identität. 100 Millionen Tassen werden laut britischem Teeverband jeden Tag im Königreich konsumiert. Doch obwohl der Tee eine lange Tradition im Königreich hat, muss er seit Jahrhunderten importiert werden. Und so ist englischer Tee aus England etwas Besonderes – und ein Verkaufsschlager in den exquisiten Londoner Kaufhäusern Fortnum & Mason oder Liberty.
Holländische Händler hatten ihn vor mehr als 350 Jahren aus dem Reich der Mitte nach England gebracht. Zunächst blieb er der feinen Gesellschaft vorbehalten; er war teuer. „Wir haben das chinesische Nationalgetränk eingeführt und es zu unserem Nationalgetränk gemacht“, sagt Jones mit gewissem Stolz. „Die Briten haben Tee verwestlicht.“
1999 kam ihm die Idee, Sträucher auf britischem Boden wachsen zu lassen. Die Natur im Südwesten Englands bietet die erforderlichen Gegebenheiten: Der Boden ist sehr sauer, das Land hügelig, die Luft feucht. Dazu sind die Winter aufgrund des Golfstroms mild. Der mediterrane Einfluss lässt sich leicht an der Flora ablesen.„Wenn Magnolien wachsen, dann sollten wir auch in der Lage sein, Tee anzubauen“, befand der damalige Landschaftsgärtner. Außerdem gedeiht eine der beiden Urpflanzen des Tees, die Camelia sinensis, seit mehr als 200 Jahren in Tregothnan.
Jones also begann einfach mit dem Anbau original chinesischer Teesträucher – und sollte recht behalten. Seit 2005 verkauft er Tee, die Erträge nehmen stetig zu. Im vergangenen Jahr ernteten sie hier elf Tonnen, für 2019 erwartet er rund 15 Tonnen. Angesichts solcher Mengen würden die Gärtner im indischen Distrikt Darjeeling vermutlich schallend lachen, doch nach wie vor wird englischer Tee aus England eben als Sensation empfunden.
Dabei gehe es nicht nur um das Getränk, meint Jones. „Viel dreht sich um die Erfahrung, wie wir Tee trinken.“ Also bieten sie in Tregothnan Kurse an, in denen etwa Julie Symons erklärt, dass die perfekte Temperatur für Tee bei 90 bis 95 Grad Celsius liegt und die Qualität des genutzten Wassers wichtig ist. Besucher können sowohl Teeproben von Darjeeling und Manuka genießen als auch durch den dazugehörigen botanischen Garten streifen, einen der schönsten im Königreich.
Chef-Gärtner Neil Bennett erzählt wie ein Entertainer von Pflanzen mit Namen wie Cupressus guadalupensis. Oder er führt zu einem Baum, der zum Schutz vor Tieren in einem Drahtkäfig wie eingesperrt wirkt. Bei der Wollemia nobilis handelt es sich um den 90 Millionen Jahre alten „Dinosaurier-Baum“, der als ausgestorben galt und erst 1994 wiederentdeckt wurde. Das Exemplar krönt das Anwesen – dessen Eigentümer einst der Erste in Europa war, der sich den Baum hinters Haus pflanzen ließ.
„Bei diesen Gärten geht es ums Angeben“, sagt Bennett trocken und stiefelt weiter über den perfekt gemähten Rasen. Dann verweist der 44-Jährige auf das herrschaftliche Schloss. Das Landgut ist seit mehr als 700 Jahren im Besitz des Honourable Evelyn Arthur Hugh Boscawen, Erbe des Titels Viscount Falmouth und, kein Witz, Nachkomme von Earl Grey – jenem Premierminister, der seinen Tee mit dem Öl der Bergamotte-Orange parfümierte. Boscawen darf sich als größter privater Landbesitzer in Cornwall bezeichnen, was etwas heißen will in einer Region, in der auch Prinz Charles als Eigentümer äußerst umtriebig ist. Der Tee aus Tregothnan, das darf man getrost annehmen, dürfte dem gartenliebenden Thronfolger schmecken.