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WÜRZBURG
"Sorgen über die russischen Pläne in Osteuropa"
US-Generalkonsulin Jennifer Gavito im Gespräch mit der Redaktion
Foto: Patty Varasano | US-Generalkonsulin Jennifer Gavito im Gespräch mit der Redaktion
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:02 Uhr

Das Freihandelsabkommen TTIP und der Ukraine-Konflikt fördern ein Phänomen zutage: deutsche US-Skepsis. Jennifer Gavito glaubt aber an das deutsch-amerikanische Verhältnis – Sorgen macht sie sich dagegen um Osteuropa. Wegen Russland.

Frage: „TTIP ist überflüssig und gefährlich.“ Vor allem, weil es kein Handelsabkommen, sondern ein Versuch sei, amerikanische Regeln in Verbraucher-, Arbeitnehmer- und Umweltschutz auf Europa zu übertragen – das sagt Ökonomie-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz. Ist TTIP ein Trojanisches Pferd?

Jennifer Gavito: Nein. TTIP war ja eine deutsche Idee. Und wir finden, dass das eine gute Idee ist. Deutschland hat etwa 150 Handelsabkommen mit allen möglichen Nationen. Viele Amerikaner glauben übrigens, dass es längst ein Handelsabkommen mit Europa gibt. Es ist kaum zu glauben, dass es so viele andere Abkommen gibt, aber wir noch keines mit unseren Topexportpartnern haben. Amerika ist Deutschlands Exportpartner Nummer eins. TTIP kann den Handel noch einmal erleichtern. Vor allem der bayerische Mittelstand würde profitieren, also Firmen, die es sich nicht leisten können, in Deutschland und den USA einen Standort zu haben. Wenn wir gleiche Standards haben, können in Deutschland hergestellte Produkte viel leichter in die USA exportiert werden. Das ist ein großer Vorteil, der den Menschen in Deutschland zu mehr Geld in der Tasche verhelfen wird.

Die Befürworter zählen die Vorteile von TTIP immer wieder auf. Dennoch gibt es weiter Vorbehalte auf beiden Seiten. Macht es Sinn, ein Abkommen durchzudrücken, hinter dem die Menschen nicht stehen?

Gavito: Das ist aber nicht so. In allen beteiligten Ländern ist eine Mehrheit für TTIP – außer in Deutschland, Luxemburg und Österreich.

CETA, das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada, könnte im Herbst vorläufig in Kraft gesetzt werden. Ist das auch bei TTIP denkbar?

Gavito: Der Plan ist, dass wir bis Ende des Jahres das Abkommen verhandeln und dann werden die Nationalparlamente genug Zeit haben, das Ergebnis zu beurteilen. Im Moment sind die Argumente gegen TTIP Spekulation, weil keiner weiß, was drinsteht . . .

. . . was wiederum ein Kritikpunkt ist: Intransparenz.

Gavito: Die Verhandlungen sind die transparentesten in der Geschichte. Wenn man sich wirklich dafür interessiert und sich nicht nur beklagen will, kann man seit einem Jahr Tausende Seiten aus der EU- und US-Perspektive zu den Verhandlungen im Internet nachlesen. Nach jeder Verhandlungsgrunde haben Interessengruppen die Möglichkeit, mit den Unterhändlern zu sprechen. Und seit November steht der ganze Text des TPP (geplantes Handelsabkommen zwischen den USA und zwölf Pazifik-Anrainern; Anm. d. Red) Wort für Wort im Netz. Man kann also sehen, was einen bei einem Handelsabkommen mit den USA erwartet.

Was würde ein Scheitern von TTIP für das transatlantische Verhältnis bedeuten?

Gavito: Die Sorgen kommen hier vor allem aus Deutschland: Die Deutschen haben Bedenken wegen TTIP, gleichzeitig haben sie die Befürchtung, dass sich die USA ohne TTIP stärker nach Asien orientieren würden. Wenn wir ein Abkommen mit Asien und keines mit Europa haben, haben wir auf dem asiatischen Markt neue Möglichkeiten. Europa und die USA werden immer eine enge Beziehung haben. TTIP bietet uns aber die einmalige Chance, diese auf ein neues Niveau zu heben.

Die diplomatischen Beziehungen haben in den vergangenen Jahren etwas gelitten. Inzwischen herrscht in Teilen der deutschen Bevölkerung eine gewisse Skepsis gegenüber den USA – während mit dem Begriff „Putin-Versteher“ ein neues deutsches Wort erfunden wurde. Haben die USA ein Imageproblem?

Gavito: Ich glaube eher nicht. Unsere Regierungen haben nie eine engere Beziehung gehabt. Wenn man das Klima-Abkommen, das Iran-Abkommen, unsere Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung und die Kooperation unserer Nachrichtendienste anschaut, ist das alles besser als je zuvor. Vielleicht fehlt der alltägliche Kontakt, wie zu der Zeit, als noch mehr US-Soldaten hier stationiert waren.

Abgesehen davon soll Deutschland gute Beziehungen zu Russland haben. Das ist keine „Entweder-oder-Frage“. Auch wir pflegen unsere Beziehungen zu Russland.

Wie sehen Sie die Rolle Russlands in der Ukraine? Ist Moskau der Hauptschuldige an dem Konflikt?

Gavito: Schon. Russland ist in die Ukraine einmarschiert. Es gibt Hausaufgaben auf beiden Seiten. Wir erwarten jetzt, dass die Minsker Abkommen eingehalten werden. Die Ukraine hat hier schon wichtige legislative Reformen auf den Weg gebracht.

Aber in Kiew sitzen auch nicht nur Heilige. Präsident Petro Poroschenko taucht etwa in den „Panama Papers“ auf. Und insgesamt gibt es immer wieder an der ukrainischen Regierung Kritik.

Gavito: Zu den „Panama Papers“ können wir nichts sagen. Festzuhalten ist, dass die Regierung in Kiew erste Schritte in die richtige Richtung unternimmt. Natürlich erwarten wir hier noch mehr. Aber die Hauptverantwortung liegt bei Russland.

Die Niederländer haben nun genau gegen das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine gestimmt, das als Auslöser des Konflikts gilt. Ein Erfolg für Putin?

Gavito: Das müssen Sie Putin fragen. Unser großer Vorteil ist, dass Europäer und Amerikaner beim Thema Sanktionen gegen Russland Seite an Seite stehen. Das ist der effektivste Weg, um Putin zu beeindrucken. Es ist unser Ziel, dass die Ukraine näher an Europa rückt. Das Land hat sich für einen demokratischen Weg entschieden. Dabei werden wir es unterstützen. Und natürlich kann ein Land wie die Ukraine ein gutes Verhältnis zu Russland und dem Westen haben. Wir halten das gerade für die osteuropäischen Länder für wünschenswert. Aber das liegt an Russland.

Derzeit haben die Osteuropäer eher Angst vor Russland. Ab 2017 wollen die USA deswegen zusätzliche Streitkräfte in die östlichen Nato-Staaten verlegen. Moskau droht mit Gegenmaßnahmen. Klingt das nur nach Kaltem Krieg oder ist das Kalter Krieg?

Gavito: Diese Länder sind Nato-Alliierte und denen gegenüber haben wir eine Verantwortung. Deswegen müssen wir noch nicht von einem Kalten Krieg sprechen. Aber wir machen uns Sorgen über die russischen Pläne in Osteuropa.

Jennifer Gavito

Seit September 2015 ist die 40-Jährige US-Generalkonsulin in München. Zuletzt war sie drei Jahre lang als Leiterin der politischen Abteilung am US-Generalkonsulat in Jerusalem tätig. Zuvor war sie unter anderem stellvertretende Generalkonsulin in Dubai und Direktorin für Syrien und den Libanon im Stab des Nationalen Sicherheitsrates im Weißen Haus. Außerdem war sie stellvertretende Direktorin des Amtes für Maghreb-Angelegenheiten im Nahost-Büro des US-Außenministeriums. Von 2003 bis 2005 leitete sie die Wirtschafts- und Handels-Abteilung an der US-Botschaft in Beirut. Vor ihrem Eintritt in die Laufbahn des US-Außenministeriums im Jahr 1998, arbeitete sie als Wirtschaftsanalystin für das US-Finanzministerium. Text: ben/Foto: dpa

 
 
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