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Berlin
So stehen die Chancen für die neuen SPD-Projekte
Die gebeutelte SPD sucht ihr Heil mit neuer Parteispitze und klaren linken Forderungen. Doch wie realistisch sind diese bei Miete, Mindestlohn, Investitionen und Pflege?
Christian Grimm
 und  Stefan Lange
 |  aktualisiert: 14.12.2019 02:10 Uhr

Der kräftige Ausbau des Sozialstaats soll den für die SPD bedrohlichen Abstieg zur Kleinpartei stoppen. Der Parteitag hat ein umfassendes Programm beschlossen. CDU und CSU reagierten gereizt über die lange Liste mit Forderungen. Dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass sich die drei Parteien bei einigen Punkten einig werden. 

Mindestlohn

Die SPD will den Mindestlohn von aktuell 9,19 Euro auf 12 Euro brutto pro Stunde steigern. Die neue Parteichefin Saskia Esken hat die Zahl in ihrer Rede am Wochenende laut ausgerufen, im Kleingedruckten des Beschlusses findet sich dann aber der Passus, dass es Richtung 12 Euro gehen soll. Einem kräftigen Zuwachs steht aber die Mindestlohnkommission aus Vertretern der Wirtschaft und der Gewerkschaften entgegen, die für die Erhöhung der Lohnuntergrenze zuständig ist. „Wir haben bewusst das Verfahren gewählt mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern“, sagte CSU-Chef Markus Söder am Montag.

Die Kommission müsste also zunächst entmachtet und der Mindestlohn politisch festgelegt werden.  „Der Mindestlohn darf nicht zum Spielball werden", warnte CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak.  Gründe gäbe es dennoch dafür, weil zum Beispiel der aktuelle Mindestlohn zu niedrigen Renten und Altersarmut führt. Es ist deshalb denkbar, dass sich die Koalition unter Murren des Wirtschaftsflügels von CDU und CSU auf eine Anhebung verständigt. Solch ein Eingriff hätte aber erhebliche Nebenwirkungen im Tarifgefüge.  „Es würden durch eine außerordentliche Erhöhung zahlreiche vor allem regionale Branchentarifverträge außer Kraft gesetzt“, sagte der Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes BDA, Steffen Kampeter, dieser Redaktion. Der Sinn von Tarifverträgen würde damit völlig entwertet. Hierzulande arbeiten 1,4 Millionen Beschäftigte zum Mindestlohn. Die Zahl stammt allerdings aus dem Jahr 2017. Über aktuellere Zahlen verfügt das Statistische Bundesamt nicht.

Miete

Die Sozialdemokraten streben einen bundesweiten Mietendeckel über fünf Jahre für Städte und Gemeinden mit hohen Mieten an. Die Mieten würden dadurch beinahe eingefroren, dürften in diesem Zeitraum höchstens mit der Inflationsrate steigen. Vorbild ist Berlin, wo ein rot-rot-grüner Senat regiert und mit dem Instrument versucht, dem Wahnsinn auf dem Wohnungsmarkt Einhalt zu gebieten. Der von ihm vorgelegte Gesetzentwurf wurde jedoch kürzlich in einer Einschätzung des Bundesinnenministeriums förmlich zerrissen. Der geplante Mietendeckel verletze die Rechte der Besitzer übermäßig und im Übrigen habe ein Bundesland gar nicht die rechtliche Kompetenz, den Sachverhalt zu regeln. Ob staatlich verordnete Obergrenzen für Mieten kommen dürfen, werden Gerichte entscheiden. Klagen gegen den Berliner Vorstoß sind angekündigt. Für den Fall, dass der Senat recht behält, wird die SPD den Mietendeckel mit der Union allerdings niemals umsetzen können.

Neue Schulden

Die SPD-Forderung nach einem Ende der Schwarzen Null und dem weitgehenden Schuldenverbot aus dem Grundgesetz sorgt bei Markus Söder für einen schnellen Puls. „Die Schuldenbremse aufzugeben ist der Einstieg in eine dramatische öffentliche Schuldenkrise in Europa“, warnte Söder. Seine Schlussfolgerung hat er freilich exklusiv. Prominente Ökonomen und selbst der wirtschaftsliberale Internationale Währungsfonds drängen die Bundesregierung zu höheren Investitionen, die durch Kredite bezahlt werden sollen. Der ausgeglichene Haushalt ist für CDU und CSU aber ein Symbol für ihre Verlässlichkeit.

Ein Hintertürchen gibt es aber: In den Schwesterparteien gibt es mit Peter Altmaier und Alexander Dobrindt einflussreiche Vertreter, die einen Bürgerfonds vorgeschlagen haben. Die Bürger speisen den Fonds mit ihrem Geld, bekommen eine Verzinsung von vielleicht 2 Prozent und der Staat nutzt die Mittel für Straßen, Schulen, schnelles Internet oder den Klimaschutz. Verkauft würde der Schattenhaushalt als Kampf gegen das Elend der Sparer in Zeiten von Niedrigzinsen. Wobei sich Dobrindt am Montag in einer Sitzung des CSU-Parteivorstands nach Angaben von Teilnehmern gegen Veränderungen bei der Schuldenbremse aussprach: „Die Schuldenbremse bleibt, wie sie ist, denn genau wegen Politikern wie Esken und Walter-Borjans und gegen den ständigen Griff in die Schuldenkasse haben wir sie reingeschrieben in unser Grundgesetz.“

Pflege

Die Sorge, sich im Alter keine gute Pflege leisten zu können, ist groß. Weil die Gesellschaft altert, explodieren die Kosten. Die SPD hat sich festgelegt, ein Pflegegeld für Familien einzuführen, die Eigenbeiträge für Heim oder Pflegedienst zu begrenzen sowie die soziale und private Pflegekasse zu vereinheitlichen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will nächstes Jahr das System der Pflege umfassend unter die Lupe nehmen und eine große Reform daraus ableiten. „Dem greifen wir nicht vor“, heißt es aus seinem Haus. Das Thema wird deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht Teil der Nachverhandlungen über die Groko werden. 

Kindergrundsicherung

Jedes fünfte Kind wächst in Deutschland in Armut auf. Alle verschiedenen Sozialleistungen für Kinder sollen nach den Vorstellungen der Genossen in einer Kindergrundsicherung gebündelt werden. Dazu gehören das Kindergeld, der Kinderzuschlag, die Kindersätze der Grundsicherung und die Bildungsgutscheine. Mindestens 250 Euro soll es für jedes Kind geben. Kinder aus armen Familien sollen bis zu 478 Euro erhalten. Die Kosten liegen bei 11 Milliarden Euro. Dennoch hat die Union schon Kompromissbereitschaft signalisiert. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kram-Karrenbauer hat angekündigt, alle Sozialleistungen für Kinder anzuschauen und zu bewerten. Wenn die Koalition hält, ist eine Einigung gut möglich.

 
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