Seit Samstag steht Carola Rackete, die Kapitänin der „Sea-Watch 3“, unter Hausarrest auf Lampedusa, weil sie in der Nacht von Freitag auf Samstag unerlaubterweise in den Hafen der italienischen Insel eingelaufen war. Rakete hatte nach mehr als zwei Wochen auf See den Hafen angesteuert, um dort 40 Migranten an Land zu lassen, die seit dem 12. Juni auf dem Rettungsschiff der deutschen Hilfsorganisation Sea Watch ausharren mussten.
Rackete wurde am Samstagmorgen von Beamten der italienischen Finanzpolizei von Bord der Sea-Watch 3 begleitet und in Gewahrsam genommen. In einem Interview, das am Sonntag im „Corriere della Sera“ erschien, sagte Racketes Vater Ekkehart: „Letzten Endes ist Italien eine Demokratie, deshalb habe ich volles Vertrauen in eure Behörden. Übrigens hat mir auch Carola erzählt, dass es einigen, die sie festgenommen haben, leid tat.“
Die Reaktionen auf den Fall Rackete sind gemischt. Die Szenen, die sich bei ihrer Festnahme auf Lampedusa abspielten, beschäftigten auch am Sonntag die italienischen Medien. In einem Video, das Davide Faraone, Parlamentarier des Partito Democratico (PD) auf Twitter veröffentlichte, ist zu hören, wie Schaulustige Rackete bei ihrer Festnahme im Hafen beschimpfen. „Ich hoffe, diese Neger vergewaltigen dich“, rief ein Mann. Andere bezeichnete die 32-jährige Deutsche als „Zigeunerin“. Eine Gruppe von Männern skandierte dann den Sprechchor „Italiener zuerst!“.
Mehrere Spendenaufrufe
Rackete bekam allerdings auch Zuspruch. In Verona hängten Unbekannte im Zentrum ein Spruchband mit der Schrift „#free Carola“ auf, etwa 100 Menschen demonstrierten am Samstagabend für Rackete. In Italien erklärten Aktivisten, Journalisten und Schriftsteller wie Roberto Saviano („Gomorrha“) ihre Solidarität mit der Kapitänin. In mehreren Spendenaufrufen, darunter auch von den deutschen Fernsehmoderatoren Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf, wurde für Sea Watch und Rackete gesammelt.
In einem Interview, das die Anwälte Racketes im Namen ihrer Mandantin dem „Corriere della Sera“ gaben, begründete die Kapitänin ihre Entscheidung, trotz des Verbots von Innenminister Matteo Salvini in den Hafen von Lampedusa einzufahren. Es habe an Bord unter den Migranten bereits „Akte der Selbstverstümmelung“ gegeben. „Ich befürchtete, dass es zu Selbstmorden gekommen wäre“, sagte Rackete, einige Migranten haben sich ins Wasser stürzen wollen, konnten aber nicht schwimmen.
Ihr Ziel sei nur gewesen, „völlig erschöpfte und verzweifelte Personen an Land zu bringen“. Sie habe Angst gehabt. Sie sei sich aber auch der Tatsache bewusst gewesen, dass sie mit dem Manöver ihre Freiheit aufs Spiel setzte. Die „Sea-Watch 3“ war aufgefordert worden, die am 12. Juni vor Libyen an Bord genommenen Migranten wieder in den nordafrikanischen Staat zurückzubringen. Rackete weigerte sich dagegen und wies auf die katastrophalen humanitären Bedingungen in dem Land hin.
Bei dem Anlegemanöver in der Nacht von Freitag auf Samstag in Lampedusa hatte die „Sea-Watch 3“ offenbar ein Patroullienboot der italienischen Finanzpolizei gerammt, das das Anlegen des Rettungsschiffes im Hafenbecken verhindern wollte. Innenminister Salvini bezeichnete dies als „kriegerische Handlung“. Rackete gab diesen Zwischenfall zu, entschuldigte sich für ihren „Fehler“ und sagte, sie hätte nicht die Absicht gehabt, „irgendjemanden in Gefahr zu bringen“. Die Staatsanwaltschaft Agrigent hatte das waghalsige Manöver der Kapitänin zum Anlass für ihre Festnahme genommen und nicht etwa einen bisher ins Spiel gebrachten Straftatbestand wie „Beihilfe zur illegalen Immigration“. Stattdessen muss sich Rackete nun wegen „Widerstand und Gewalt gegen ein Kriegsschiff“ verantworten, ihr drohen zwischen drei und zehn Jahren Haft.
Geldstrafe verhängt
Gegen die Organisation Sea Watch verhängten die italienischen Behörden eine Geldstrafe in Höhe von rund 16 000 Euro, Innenminister Salvini kündigte die Beschlagnahme der „Sea-Watch 3“ an. Die 40 bis zum Schluss an Bord verbliebenen Migranten sollen auf die fünf EU-Länder Frankreich, Deutschland, Portugal, Finnland und Luxemburg verteilt werden. Deutschlands Außenminister Heiko Maas schrieb am Samstag auf Twitter: „Seenotrettung darf nicht kriminalisiert werden. Es ist an der italienischen Justiz, die Vorwürfe schnell zu klären.“ Menschenleben zu retten sei eine humanitäre Verpflichtung. „Der eigentliche Skandal ist das Ertrinken im Mittelmeer, sind die fehlenden legalen Fluchtwege und ein fehlender Verteilmechanismus in Europa“, sagte Grünen-Chef Robert Habeck.
- "Sea-Watch 3"-Kapitänin verteidigt sich: "Ich hatte Angst"