Es ist exakt 18.13 Uhr am Samstagabend, als SPD-Interimsvorsitzende Malu Dreyer im Berliner Willy-Brandt-Haus die Bühne betritt und den Findungsprozess der künftigen Parteispitze als großen Erfolg wertet. Doch der Spannung der Genossen bereitet erst Schatzmeister Dietmar Nietan ein Ende, sieben lange Minuten später. Nietan verkündet, dass das Duo Olaf Scholz und Klara Geywitz beim Mitgliederentscheid um den SPD-Parteivorsitz die meisten Stimmen bekommen hat.
22,68 Prozent der Wähler entschieden sich für den 61-jährigen Bundesfinanzminister und die 43-jährige Landespolitikerin aus Brandenburg. Doch ob das am Ende wirklich reicht zum Sprung an die Spitze der Sozialdemokratie, ist völlig ungewiss. Denn die nötige absolute Mehrheit verfehlte das Duo klar und muss nun ins Stechen mit dem zweitplatzierten Paar. Für Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken entschieden sich 21,04 Prozent der Wähler.
Im Gegensatz zum als eher konservativ geltenden Paar Scholz/Geywitz gelten Walter-Borjans (66), der frühere Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, und die baden-württembergische Abgeordnete Esken (58) als Vertreter des linken Parteiflügels. Juso-Chef Kevin Kühnert hatte eine Empfehlung für das Duo ausgesprochen. Walter-Borjans war durch den Ankauf von Bank-CDs aus der Schweiz bekannt geworden, die zur Überführung zahlreicher Steuersünder geführt hatten.
Die Stichwahl findet nun vom 19. bis 29. November statt. Beim SPD-Bundesparteitag vom 6. Bis 8. Dezember wird die neue Doppelspitze dann formell gewählt. Nachdem Andrea Nahles im Juni als Parteivorsitzende zurückgetreten war, entschied sich die SPD, künftig auf eine Doppelspitze aus einer Frau und einem Mann zu setzen. Vorbild: Die in der Wählergunst längst an den Sozialdemokraten vorbeigezogenen Grünen. Außerdem wollten die Genossen die Zeit der einsamen Personalentscheidungen in kleinen Parteizirkeln hinter sich lassen. Über die künftige Spitze entscheiden sollte die Basis.
Nach 23 Regionalkonferenzen konnten sich die 425 000 SPD-Mitglieder zwischen sechs Kandidatenduos entscheiden. Zwölf Tage lang lief die Mitgliederbefragung, klassisch per Brief oder online. Wie viele Mitglieder jeweils auf welche Art abgestimmt hatten, gab die SPD zunächst nicht bekannt. Abgestimmt haben insgesamt 226 775 Mitglieder, exakt 53,28 Prozent. Das ist kein glänzender Wert, allerdings aber auch nicht so niedrige, wie manche im Vorfeld befürchtet hatten. Bei der Mitgliederbefragung zum Eintritt in die aktuelle Große Koalition lag die Wahlbeteiligung noch bei 78 Prozent. Und rund 66 Prozent sprachen sich im Frühjahr 2018 für das Bündnis aus.
Welche Auswirkungen die Vorentscheidung des Rennens um die SPD-Spitze nun auf die schwarz-rote Bundesregierung hat, ist unklar. Olaf Scholz als Bundesfinanzminister und Vizekanzler steht für eine Fortsetzung, Walter-Borjans und Esken sprechen sich für ein Ende des Bündnisses aus.
Neben den beiden erstplatzierten Paaren waren vier weitere Duos angetreten. Christina Kampmann und Michael Roth, die bei den Regionalkonferenzen oft den meisten Applaus bekommen hatten, holten 16,28 Prozent. Karl Lauterbach und Nina Scheer folgen mit 14,63 Prozent. Boris Pistorius und Petra Köpping landen mit 14,61 Prozent dicht dahinter. Abgeschlagen: Gesine Schwan und Ralf Stegner mit 9,63 Prozent.
Es ist nicht das erste Mal, dass die SPD ihre Basis über den Vorsitzenden abstimmen lässt. 1993 setzte sich Rudolf Scharping gegen Gerhard Schröder und Heidemarie Wieczorek-Zeul durch. Die Wahlbeteiligung lag damals bei 56 Prozent. Allerdings hatte die SPD vor 26 Jahren noch 870 000 Mitglieder. Abgestimmt hatten 490 000 von ihnen. Das sind 60 000 mehr, als die SPD heute noch Mitglieder hat.