Ramona Erhard hat ein Lächeln parat, als sie dem einzigen Gast im Hotel in Vandans das Zimmer zeigt. „In dieser Saison hat Frau Holle uns im Stich gelassen. Hier im Tal hat es noch gar nicht geschneit.“ Im Montafon ragen die Berge bis in 1000 Meter Höhe kahl und braun in den Himmel. Nur oberhalb sieht man weiß gezuckerte Gipfel und Pisten. An den Hängen haben Schneekanonen hin und wieder kleine weiße Tupfer hinterlassen. Doch der flächendeckende Schnee, der Touristen in die Alpen lockt, fehlt.
Das Montafon, die südlichste Region Vorarlbergs, lebt vom Tourismus. Doch der Klimawandel und die geringere Zahl an Frosttagen hat die Skisaison verkürzt. Nur durch Kunstschnee bleiben Skipisten und Lifte geöffnet. Um sie rentabel auszulasten, müssen die Bewohner immer mehr Kompromisse machen: beim Verkehr, bei der Flächennutzung und beim Naturschutz.
Nadine Kasper, 38, Landtagsabgeordnete der Grünen, sagt: „In Vorarlberg spürt man bei der Bevölkerung die Frage: Wann ist es endlich genug?“ Zusammen mit Armin Wachter von der Initiative „Zukunft Montafon“ sitzt sie beim Italiener in Vandans, wo Kuckucksuhren, Kaffeemühlen und Gugelhupfformen an der Wand hängen. Kasper fordert ein Umdenken in der regionalen Wirtschaft. Der Preis dafür, dass die Region immer mehr Touristen anzieht, ist ihr zu hoch; ihrer Ansicht nach leiden Umwelt und Menschen unter dem Zwang zum Mehr. Die begrenzten Flächen sollten eher für nachhaltige Projekte und Betriebe, die ausreichend Arbeitsplätze schaffen, genutzt werden als für mehr Skilifte, mehr Parkplätze, neue Hotels, Campingplätze und von internationalen Investoren finanzierte Chalet-Dörfer.
Seit 2014 regieren die Grünen in Vorarlberg mit. Die Koalition mit der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), geführt vom Landeshauptmann Markus Wallner, war ein Vorbild für die erste türkis-grüne Regierung in Wien. Landeshauptmann Wallner beriet Bundeskanzler Sebastian Kurz bei den Koalitionsverhandlungen. Der grüne Umweltlandesrat Johannes Rauch saß in den Verhandlungen dabei.
Die Pläne der ersten Regierung mit grüner Beteiligung überhaupt in Österreich sind ambitioniert. Bis spätestens 2040 soll die Alpenrepublik klimaneutral werden und sich bereits 2030 komplett mit Strom aus erneuerbaren Energien versorgen. Fliegen soll teurer und Bahnfahren stattdessen billiger werden.
Ihr Vorbild, die Vorarlberger Koalition, ist ein Erfolgsprojekt, betont Landeshauptmann Markus Wallner. Schließlich legten sowohl ÖVP als auch Grüne bei der Wahl 2019 zu. „Der türkis-grüne Weg wurde von der Bevölkerung mit einem sehr klaren Wählerauftrag versehen. Insofern war das in gewisser Hinsicht auch eine Steilvorlage für Wien.“
Nicht nur in Vorarlberg, sondern auch in Tirol und Salzburg regieren die Grünen mit. Während in Tirol Tourismus ein derart wichtiges Thema ist, dass Landeshauptmann Günther Platter sich selbst darum kümmert, ist das kleine Vorarlberg vor allem ein Industriestandort mit hoher Exportquote und Innovationskraft. Im Rheintal, nahe Dornbirn, haben viele Maschinenbaufirmen ihren Sitz, außerdem Unternehmen der Elektro- und Kunststofftechniksparte. Viele der fast 400 000 Vorarlberger haben hier ihre Arbeit.
Landeshauptmann Wallner will gar nicht kleinreden, dass darin auch ein Spannungsfeld steckt: „Eine wachsende Wirtschaft mit Klimaschutzerfordernissen unter einen Hut zu bringen, ist die Herausforderung, vor der alle stehen. Und die beiden Parteien, die dafür am meisten eintreten, sind ÖVP und Grüne, sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene“, sagt Wallner.
Auch im neuen Wiener Superministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie sitzt mit Magnus Brunner künftig ein Vorarlberger Staatssekretär. Er soll die dortigen Erfahrungen mit Wasserkraft, Photovoltaik und Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel einbringen. Wallner sagt: „Wir müssen die Bevölkerung vom Verkehr entlasten.“
Im Montafon kennen sie das Problem nur zu gut. Nadine Kasper, die Grünen-Landtagsabgeordnete, sagt: „Am Samstag vor Weihnachten reichte der Stau von Vandans bis Schruns.“ Die Bundesstraße ins Tal ist nicht für die Massen von Tagestouristen aus dem Rheintal oder Allgäu ausgelegt. Stoßstange an Stoßstange stehen die Autos am Wochenende und verdammen die Einheimischen zum Daheimbleiben.
Um in Zukunft einen Teil des Straßenverkehrs abzufangen, soll die Montafon-Bahn verlängert werden. Bis Gargellen, dem mit 1400 Metern höchsten Ort im Montafon, wird sie aber nicht reichen. Dort ist in diesem schneearmen Januar die Winterwelt in Ordnung. Schnee knirscht unter den Stiefeln. Skifahrer können hier bis ins Tal abfahren.
Daniel Fritz leitet in vierter Generation das Sport- und Vitalhotel Bachmann in Gargellen. „Im Winter verdienen wir das Geld für das ganze Jahr.“ Er ist überzeugt, dass der Skitourismus im Montafon Zukunft hat. So sehen das auch Studien der österreichischen Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik. Sie prognostizieren, dass sich die negativen Auswirkungen des Klimawandels in Österreich noch in Grenzen halten. Skifahren sei künftig allerdings nur möglich, wenn man sich an die veränderten Wetterbedingungen anpasse und die Pisten künstlich beschneie.
„Ohne Kunstschnee wäre der Skibetrieb, wie wir ihn heute kennen, nicht aufrechtzuerhalten“, sagt Fritz. Daran seien aber auch die Skifahrer und ihre Ansprüche schuld. „Sie wollen nicht nur Kunstschnee, sondern qualitativ hochwertig beschneite Pisten.“ Und ohne die könne man im Wettbewerb mit anderen Skigebieten nicht bestehen.
Im eigenen Hotel präsentiert Fritz die letzte große Investition der Familie: eine Wärmepumpe, die mit Grundwasser das 80-Betten-Haus beheizt und mit Warmwasser versorgt. „Leider waren wir zu früh. Die Fördermittel, die es mit der neuen Regierung für Investitionen in regenerative Energien gibt, haben wir noch nicht bekommen.“
Aber wenn es um den größten ökologischen Streitpunkt im Montafon geht, einen von der Seilbahngesellschaft Silvretta Montafon geplanten Speichersee für künstliche Beschneiung, muss der Naturschutz aus Sicht von Fritz zurückstehen: „Die Seilbahnbetriebe Silvretta-Montafon brauchen den Speichersee für den Kunstschnee.“
Ursprünglich war am Schwarzköpfle ein Speichersee mit 307 000 Kubikmetern Volumen samt neuer Skipiste geplant. Umweltgruppen protestierten. Das Projekt scheiterte an der Umweltverträglichkeitsprüfung. Daraufhin änderten die Betreiber die Planung. Der Speichersee soll nur noch ein Zehntel des Volumens haben, die Pumpstation unter die Erde verlegt und auf eine zusätzliche Skipiste verzichtet werden. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung ist nun nicht mehr nötig.
Die Grünen-Landtagsabgeordnete Nadine Kasper aus Vandans ist nach wie vor gegen den Speichersee. Und sie weiß, dass sie damit die Unterstützung zahlreicher Bürger hat. „Viele Einwohner kommen sich vor wie in der dritten Folge der Piefke-Saga, wo am Ende der Rasen aufgerollt wird und darunter ein Eiskeller mit Schneedepots liegt.“ Landeshauptmann Wallner entgegnet, der Speicherteich habe fürs Montafon eine besondere Bedeutung. Und weil er am Rand der Skipiste liege, erfülle er auch die türkis-grüne Vereinbarung, die keine neuen Skigebiete zulässt.
Auch in Tirol sind sich Türkis und Grün nicht immer einig, gerade wenn es um das Spannungsfeld zwischen Tourismus und Naturschutz geht. Bestes Beispiel: Die von Seilbahnbetreibern geplante „Gipfelehe“, über die Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) und seine Stellvertreterin Ingrid Felipe (Grüne) Schweigen vereinbart haben. Das Thema werde „außer Streit gestellt“, heißt es offiziell.
Konkret geht es um die Tiroler Gletscherskigebiete Pitztal und Sölden, die verbunden werden sollen. 64 Hektar neue Pisten für Skifahrer, mehrere neue Skilifte und einen Speichersee sieht das Projekt vor. Sogar ein 40 Meter hoher Grat soll gesprengt werden. Die „Allianz gegen die Seele der Alpen“ hat gegen das „naturzerstörerische Mammutprojekt“ mobil gemacht. In dieser Woche sollte die Umweltverträglichkeitsprüfung beginnen. Doch die Antragsteller haben um eine Terminverschiebung gebeten. „Meiner Einschätzung nach wird der Antrag nicht genehmigt. Offenbar arbeiten die Betreiber an einer neuen Variante“, prognostiziert Gerhard Estermann, der mit seiner Bürgerinitiative Feldring unter dem Titel „mein.aufstehn.at“ online schon rund 156 000 Unterschriften gegen die Gletscherverbauung Pitztal-Ötztal sammeln konnte.
Wie in Tirol vermeiden die Koalitionspartner auch in Vorarlberg den offenen Streit. Sie suchen nach gemeinsamen Wegen. „Wir wollen im Montafon zu mehr Bettenkapazitäten kommen, es besteht gerade im Sommer noch Potenzial“, sagt Landeshauptmann Wallner. Gehobene Gastronomie soll ganzjährig Gäste mit Geld ins Montafon bringen.
Josef Lechthaler ist Bürgermeister von St. Gallenkirch im Montafon. Er ist ein viel beschäftigter Mann. Nicht nur, weil in seinem Gemeindebereich der geplante Speichersee liegt, sondern auch, weil er am „regionalen räumlichen Entwicklungskonzept“ mitarbeitet. Zehn Bürgermeister haben sich zusammengetan – etwa im Kampf gegen Flächenfraß und die Ansiedlung von Chaletdörfern und Hotelprojekten. „Das Raumordnungsgesetz der Landesregierung hat uns die Möglichkeit genommen, gegen solche Projekte vorzugehen, sobald das Bauland gewidmet ist. Das müsste geändert werden“, sagt Lechthaler.
Einig ist er sich darin mit vielen Landwirten, die über zu wenig Fläche für Bauern, Vieh und deren Futter klagen. Auch die steigende Zahl der Zweitwohnsitze kritisiert er, weil sie zu steigenden Mieten und Grundstückspreisen für die Einheimischen führen.
Die Präsidentin des Naturschutzbundes in Bregenz, Hildegard Breiner, hat schon in den 80er-Jahren gegen die geplante Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf gekämpft. Heute sieht sie „die Möblierung“ der Landschaft als Vorarlbergs größtes Problem. Für sie heißt das, dass immer mehr Skilifte und hässliche Flachbauten anstatt Holzhäuser mit Schnitzerei die Landschaft dominieren.
Seit mehr als 50 Jahren lebt sie im selben Haus in Bregenz. Mit dem Speichersee in St. Gallenkirch hätten sich die Naturschutzorganisationen und der WWF noch nicht abgefunden, sagt die 83-Jährige. „Dagegen kämpfen wir weiter, auch vor Gericht. Der Speichersee ist nicht nur eine Sache des Montafons. Er geht das ganze Land an.“
Breiner hält viel von der türkis-grünen Koalition im Vorarlberg. Landesvater Markus Wallner sei Naturfreund und Bergsteiger. „Doch er steht sehr auf der Seite der Wirtschaft. Er wird unter Druck gesetzt“, sagt sie. „Nur weil es die Umweltschutzorganisationen und Bürgerinitiativen gibt, die gegen bestimmte Projekte protestieren, können die Grünen in der Koalition dagegenhalten. Das gilt in Bregenz ebenso wie in Wien.“
Die neue Regierung in Österreich
Seit 7. Januar ist in Österreich die neue Bundesregierung aus konservativer ÖVP und Grünen offiziell im Amt. Bundeskanzler ist nach wie vor der 33 Jahre alte Sebastian Kurz.
Die ÖVP stellt gemäß dem Wahlergebnis vom September die meisten Minister. Das Kabinett ist mit einer Frauenquote von 53 Prozent so weiblich wie noch nie. Ihm gehört mit der 35-jährigen Justizministerin Alma Zadic (Grüne), einer gebürtigen Bosnierin, erstmals eine Ministerin mit Migrationshintergrund an. Mit Leonore Gewessler, der ehemaligen Geschäftsführerin der Umweltorganisation Global 2000, leitet eine Grüne auch das Umweltressort. ÖVP und Grüne hatten bei der Nationalratswahl Ende September jeweils deutliche Zugewinne erzielt. Die Grünen schafften etwa mit einem Stimmenzuwachs von rund zehn Prozentpunkten den Wiedereinzug in das österreichische Parlament. Zu den wesentlichen Zielen der Koalition zählen der Klimaschutz und der Kampf gegen die illegale Migration. (az)