Eigentlich sollte der Nato-Gipfel in London eine einzige Feierveranstaltung werden. Zwei Tage lang begeht die nordatlantische Verteidigungsgemeinschaft ihren 70. Geburtstag. Zum Auftakt lud Königin Elizabeth II. die 29 Staats- und Regierungschefs am Dienstagabend zu einem Abendessen in den Buckingham-Palast. Doch all der Pomp und Prunk der royalen Kulisse konnte nicht die Schwierigkeiten verbergen, die zwischen den Bündnispartnern herrschen.
Der Zusammenhalt ist herausgefordert wie nie in der Geschichte des Verteidigungsbündnisses und so hatte der Jubiläumsgipfel vor allem ein Ziel: Es sollte keinen öffentlichen Eklat geben, dafür Schadensbegrenzung nach wochenlangen Streitereien. Und so präsentierte sich selbst US-Präsident Donald Trump für seine Verhältnisse untypisch diplomatisch und zurückhaltend.
Er fand lobende Worte für die Nato, was manche Beobachter beinahe überrascht zur Kenntnis nahmen. Immerhin war die Beziehung zwischen dem Republikaner und der Allianz in der Vergangenheit nicht gerade von Harmonie geprägt, er bezeichnete sie etwa einmal als „obsolet“. Gestern klang das ganz anders: Trump sei ein größerer Fan der Nato geworden, weil diese anpassungsfähig sei. „Wenn sie nicht flexibel gewesen wäre, wäre ich wahrscheinlich nicht so glücklich“, sagte er.
Ohne Austeilen wollte der US-Präsident den Tag aber nicht verstreichen lassen. Vor dem Start des Gipfels noch nannte er die Kritik von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an dem Militärbündnis „beleidigend“ und „respektlos“ gegenüber den Partnern. Macron hatte in einem Interview der Nato den „Hirntod“ bescheinigt und mehr europäische Eigenständigkeit in Sicherheitsfragen gefordert.
Trump bezeichnete es im Beisein von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg als ein „sehr, sehr böses Statement“. Niemand brauche die Nato mehr als Frankreich. Am späten Nachmittag wollten die beiden Staatschefs zu einem bilateralen Treffen zusammenkommen.
Auch seine Kritik an Deutschland für die – im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt – zu niedrigen Verteidigungsausgaben erneuerte Trump. Die Lastenteilung sei „nicht fair“, monierte er, nicht zum ersten Mal, aber moderater als sonst. Doch die Zahlen, die der Amerikaner dann anführte, stimmten nicht mit den offiziellen Angaben der Nato überein.
Der Statistik zufolge gab Deutschland in diesem Jahr 1,38 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung aus, die USA 3,42 Prozent. Die Bundesregierung will bis zum Jahr 2024 1,5 Prozent erreichen, was eine deutliche Steigerung darstellt – auch als Reaktion auf Trumps Forderungen. Die Nato hat sich mindestens zwei Prozent jedes einzelnen Mitgliedsstaats zum Ziel gesetzt. Für den US-Präsidenten noch immer zu wenig. „Es sollten eigentlich vier sein.“ Dass die Verteidigungsausgaben der Bündnismitglieder insgesamt gestiegen sind, verbuchte er als Erfolg seiner eigenen Amtszeit.
Neben Macrons Äußerungen und den Diskussionen über den Zustand der Nato sowie mögliche Verbesserungen steht bei dem Gipfel vor allem die Türkei im Fokus. Die Beziehungen zwischen Präsident Recep Tayyip Erdogan und einigen Partnerländern sind massiv gestört, seit türkische Truppen in Nordsyrien ohne Absprache mit den Nato-Partnern einmarschiert sind. Möglich war das geworden durch einen ebenfalls nicht abgesprochenen Rückzug der USA.
Generalsekretär Jens Stoltenberg nahm die Türkei als „ein sehr wichtiges Mitglied der Nato“ in Schutz. Macron dagegen hatte im Vorfeld Ankara aggressives Verhalten bei der Offensive in dem Bürgerkriegsland vorgeworfen. Erdogan verteidigt dagegen den Einmarsch mit Sicherheitsinteressen. Die Türkei sei politisch und militärisch die wichtigste Partnerin der Nato. „Ist die Türkei nicht sicher, ist auch die Sicherheit Europas gefährdet.“ Das dürfe man nicht vergessen. Auf die Hirntod-Diagnose erwiderte der türkische Präsident ebenfalls mit harschen Worten: „Herr Macron, ich sage es aus der Türkei und ich werde bei der Nato wiederholen: Lassen Sie erst mal Ihren Hirntod überprüfen.“ Die Antwort folgte prompt aus dem Elyséepalast: „Das ist keine Aussage, das sind Beleidigungen.“
Für eine Verschärfung der Spannungen sorgte außerdem Erdogans Ankündigung, Nato-Hilfen für baltische Staaten blockieren zu wollen, sollte das Bündnis die kurdische Miliz YPG nicht als Terrororganisation einstufen. Die YPG war ein Hauptverbündeter der USA im Kampf gegen die Terrorgruppe des sogenannten Islamischen Staats, von Ankara aber wird die Kurdenmiliz als Terrororganisation betrachtet.
Ob angesichts der Streitereien und Probleme in der Allianz wirklich Feierstimmung in London aufkommen wird, darf mehr als bezweifelt werden. Da könnte selbst der schöne Schein des Buckingham-Palasts nicht ausreichen.