Die konservative Regierungschefin hat nicht aus den Fehlern ihres Vorgängers gelernt. Wie Ex-Premier David Cameron, der leichtfertig ein EU-Referendum angesetzt und dann krachend verloren hat, rief die Konservative entgegen früherer Beteuerungen ohne Not Neuwahlen aus. Angesichts des überwältigenden Vorsprungs vor der Opposition konnte der Machtmensch May der Versuchung nicht widerstehen.
So wollte sie sich ein eindeutiges Mandat beschaffen, der Labour-Partei, die sich im Umfragetief auf dem Weg der Selbstzerfleischung befand, eine demütigende Niederlage zufügen und einen historischen Sieg einfahren, um die Opposition während der anstehenden Brexit-Verhandlungen praktisch zu entmachten. Nun wurde sie für ihren Hochmut abgestraft. Aber vor allem für ihren entsetzlichen Wahlkampf, der eine einzige Beleidigung für jeden Wähler und Beobachter war. Sie bot kaum mehr als leere Slogans und ließ es als Spitzenkandidatin an Charisma, Empathie und einem guten Programm missen. Die Kampagne war komplett auf ihre Person ausgerichtet, allein das ein Riesenfehler angesichts ihrer mangelnden Fähigkeiten als Wahlkämpferin.
Dann erschütterten zwei Terroranschläge das Königreich und plötzlich geriet die Regierungschefin weiter unter Druck, weil sie in ihrer sechsjährigen Amtszeit als Innenministerin rund 20.000 Polizeistellen gestrichen hatte.
May schien sich nie wohl in ihrer Haut zu fühlen, wirkte verkrampft und patzte ein ums andere Mal. Sobald sie in Kontakt mit echten Menschen kam, wurde es unangenehm – nicht nur für sie selbst, sondern auch für die Zuschauer. Eine direkte TV-Debatte mit ihrem Herausforderer Jeremy Corbyn von der Labour-Partei lehnte sie ab, die Briten nahmen ihr das zurecht übel. Wie sollte sie „stark und stabil“ gegenüber den EU-Mitgliedstaaten auftreten, wenn sie sich sogar einer Konfrontation mit ihrem Kontrahenten entzieht?
Den Briten läuft nun die Zeit davon. Es war ein schierer Wahnsinn von May, im März Artikel 50 des Lissabonner Vertrags auszulösen und damit den auf zwei Jahre befristeten Austrittsprozess in Gang zu setzen, nur um dann überraschend eine Wahl auszurufen, die noch dazu keiner wollte.
Aber ihr Vorsprung betrug mehr als 20 Prozentpunkte. Der angepeilte Erdrutschsieg schien reine Formsache. Auch wenn die Tories noch immer die stärkste Partei im Unterhaus stellen, ist das Ergebnis eine Schlappe für die Konservativen, von der sich vor allem die Premierministerin wohl nie mehr erholen können wird. Auf der Insel übernimmt nun eine alles andere als „starke und stabile“ Regierung die Geschäfte und das ausgerechnet wenige Tage vor dem Start der Brexit-Verhandlungen. Mays Position gegenüber den übrigen 27 Mitgliedstaaten der EU könnte nicht schlechter sein. Statt mit einer überwältigenden Mehrheit im Rücken ihren eingeschlagenen Brexit-Kurs durchziehen zu können, wird sie vor jedem Kompromiss, den sie mit Brüssel eingeht, die Opposition zu Rate ziehen müssen. Ein harter Bruch mit Brüssel ist so in weite Ferne gerückt. Vielmehr muss die Regierung angesichts der marginalen Mehrheit im Parlament einen nationalen Konsens für den EU-Ausstieg finden. Dieser dürfte weit proeuropäischer ausfallen als viele der EU-skeptischen Abgeordneten sich das ausgemalt hatten.
Heute wird Theresa May vor die Nation treten und ihr Debakel erklären müssen. Vielleicht tritt sie zurück. Vielleicht auch nicht. Sie mag fürs Erste Premierministerin bleiben, geht jedoch massiv geschwächt aus dieser Wahl hervor. Der Zorn der Tories wird sich in voller Härte auf ihr entladen. Keine andere Partei geht so schonungslos mit ihren Vorsitzenden um, wenn diese nicht in ihrem Sinne abliefern. Und von May hatten die Konservativen nichts anderes erwartet als einen historischen Erfolg und die endgültige Zerstörung der Labour-Partei. Werden hinter den Mauern von Westminster bereits Pläne geschmiedet, wie und wann Theresa May geschasst wird? Davon kann man ausgehen, nachdem die Regierungschefin in den vergangenen Monaten ihre Minister immer wieder öffentlich gedemütigt oder mit Kehrtwenden bloßgestellt hat.
May hat hoch gepokert und ist krachend gescheitert. Dafür hat der Alt-Linke Jeremy Corbyn gezeigt, dass er entgegen aller Vorhersagen mit authentischem Auftritten, einem Fokus auf Inhalte und einer positiven Kampagne die Menschen für Politik begeistern konnte. Trotzdem, das große Problem im Königreich bleibt bestehen: Jung gegen Alt. Süd gegen Nord. Brexit-Anhänger gegen EU-Freund. Stadt gegen Land – das Land ist gespaltener denn je. Das hat diese Wahl mehr als alles andere gezeigt.