Philipp Rotmann leitet die friedens- und sicherheitspolitische Arbeit des Berliner Thinktanks Global Public Policy Institute (GPPi). Gemeinsam mit Sarah Brockmeier ist er Autor des Buches „Krieg vor der Haustür. Die Gewalt in Europas Nachbarschaft und was wir dagegen tun können“. So bewertet er die Ergebnisse des Libyen-Gipfels.
Philipp Rotmann: Der Gipfel ist nach Jahren der Blockade und der Verschlimmerung ein erster Hoffnungsschimmer. Nicht mehr – aber auch nicht weniger.
Rotmann: Alle wesentlichen externen Unterstützer, die den Bürgerkriegsparteien in Libyen Waffen und Geld zur Verfügung stellen, haben sich an einen Tisch gesetzt und sich in die Hand versprochen, damit aufzuhören. Ob sie sich auch daran halten, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Denn eines ist klar: Die Akteure werden nicht von heute auf morgen vom Saulus zum Paulus. Sie haben handfeste Interessen. Nun müssen Wege gefunden werden, um einen Ausgleich dieser Interessen zu finden. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies scheitert, ist groß.
Rotmann: Es gibt durchaus eine gewisse Kontrolle durch Experten vor Ort, durch Medienberichte, durch zivilgesellschaftliche Organisationen. Auch ohne militärische Überwachung werden wir also wissen, ob die Waffenlieferungen weitergehen. Wenn wir sehen, dass es über Wochen oder Monate keine Veränderung gibt, sind die Beschlüsse von Berlin nicht mehr als ein Papiertiger. Umgekehrt heißt das aber auch, dass es Hoffnung gibt, wenn jetzt etwas in Bewegung gerät. Der zweite Schritt wird dann sein, dem formellen Beobachtungsmechanismus der Vereinten Nationen wieder Zähne zu geben. Diesen Mechanismus wird es auch brauchen, um das Vertrauen zwischen den Akteuren zu stärken – denn keiner davon will das Gefühl haben, über den Tisch gezogen zu werden und mehr aufzugeben als der jeweils andere.
Rotmann: Natürlich ist die Situation verfahren. Und trotzdem glaube ich, dass der Versuch, einen Weg aus der Krise zu finden, nicht zum Scheitern verurteilt ist. Sie müssen sehen: Die externen Kriegsparteien investieren viel in Libyen: Die Russen etwa schicken sowohl Waffen als auch Söldner. Das hat Auswirkungen auf die Innenpolitik: Wenn Kämpfer nicht zu ihren Familien zurückkommen, stellen diese Fragen an Präsident Wladimir Putin. Das kann der Kreml auch nur zu einem gewissen Grad unterdrücken. Was ich damit sagen will: Die Akteure lassen sich nur auf diesen politischen Kompromiss ein, weil sie selbst keine bessere Option sehen.
Rotmann: Man muss den Gipfel nicht feiern. Aber es ist legitim, dass die Bundeskanzlerin und der Außenminister stolz auf das Erreichte sind: Sie haben die Tür zum Frieden einen Spalt weit aufgestoßen. Und wenn man betrachtet, wie hoch die Kosten dieses Bürgerkrieges sind, was in dem Land geschieht, dann ist so eine kleine Investition in ein paar Flugzeuge und Diplomatie positiv zu werten. Auch wenn die Erfolgschancen sicher unter 50 Prozent liegen.
Rotmann: Zum einen sind wir es gewohnt, dass solche Fragen primär die Amerikaner für uns gelöst haben. Die USA haben fertige Konzepte vorgelegt und uns erst dann gefragt, welchen Beitrag wir leisten wollen. Das ist vorbei, allerdings befinden wir uns immer noch in einem Anpassungsprozess. Das ist ein kultureller Prozess, aber auch ein ganz praktischer. Wenn wir uns anschauen, wie viel Personal Deutschland in seinen Botschaften beschäftigt, dann ist das um ein Vielfaches weniger als die Amerikaner – selbst wenn wir alle europäischen Botschaften zusammennehmen. Die „Weltpolitik-Fähigkeit“, die der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eingefordert hat und die von deutschen Spitzenpolitikern betont wird, muss erst noch entwickelt werden. Zum anderen fehlt es den Europäern an der Bereitschaft, Machtressourcen einzusetzen. So wie die Amerikaner Sanktionen verordnen, hätte auch die EU ihre Möglichkeiten: Viele Konfliktparteien haben Geld in Europa angelegt und sind damit verwundbar. Doch um dieses Instrument zu nutzen, müsste Europa die Friedenspolitik höher gewichten als die wirtschaftlichen Interessen etwa von Banken. Und auch das militärische Engagement darf nicht von vornherein ausgeschlossen werden.
Rotmann: Eine Prognose ist schwierig. Es ist möglich, dass sich die Eskalation der vergangenen Monate einfach fortsetzt. Es gibt viele Gründe, warum ein politischer Prozess scheitern könnte, von den Überlebensängsten der Akteure vor Ort bis zu Machtdemonstrationen der externen Mächte. Aber es gibt eben auch die Chance, dass sich die Situation in Libyen bessert. Doch selbst im besten Fall wird dieser Weg zehn bis zwanzig Jahre dauern, ehe man das politische Gebilde Libyen sich selbst überlassen kann.