Es ist Ende September in New York. Der Klimagipfel der Vereinten Nationen läuft auf Hochtouren. US-Präsident Donald Trump ist da, Greta Thunberg, Kanzlerin Angela Merkel. Es ist viel los, und da plätschert bei den Deutschen plötzlich Wasser die Wände runter. Im sogenannten Deutschen Haus, dem Sitz der ständigen Vertretung bei den Vereinten Nationen, unweit des UN-Gebäudes nobel gelegen in der First Avenue am East River, werden Bilder abgehängt und Eimer geholt. „Ist der Chef schon informiert“, fragt ein Mitarbeiter, und in der Tat hat man ihn bereits angerufen. Der Chef ist Christoph Heusgen, der den Schaden natürlich nicht selber repariert. Aber wie durch Zauberhand sind auf einmal alle Spuren beseitigt. Schnell, effektiv und unauffällig, wie es auch Heusgens Art ist. Zurzeit hat der Botschafter allerdings ein Problem, das sich nicht ganz so schnell beseitigen lässt wie ein Wasserschaden.
Der Vorwurf: Heusgen habe gegen Israel agiert
Die jüdische Menschenrechtsorganisation Simon Wiesenthal Center mit Sitz in Los Angeles wirft Heusgen laut einem Bericht der „Jerusalem Post“ vor, ein Antisemit zu sein. Sie hat den 64-Jährigen auf eine Liste gesetzt, die die angeblich zehn schlimmsten antisemitischen Vorfälle des Jahres dokumentiert. Das Center wirft Heusgen vor, bei den Vereinten Nationen gegen Israel agiert zu haben. „Wir glauben, dass das internationale Recht am besten geeignet ist, Zivilisten zu schützen, damit sie in Frieden und Sicherheit leben können, damit sie ohne Angst vor israelischen Bulldozern oder Hamas-Raketen leben können“, sagte Heusgen im März unter anderem. Daraus eine antisemitische Haltung abzuleiten, ist hanebüchen, da sind sich Beobachter in Deutschland einig. Das Auswärtige Amt protestierte, der israelische Botschafter in Deutschland, Jeremy Issacharoff, nahm Heusgen in Schutz. Er sagte der Nachrichtenagentur dpa, nur weil jemand eine andere Meinung habe, sei er noch längst kein Antisemit. „Ich glaube, man sollte sehr vorsichtig damit sein, Menschen bestimmte Etiketten aufzudrücken, vor allem wenn es um den Vorwurf des Antisemitismus geht“, erklärte Issacharoff. Hintergrund der Vorwürfe gegen Heusgen ist offenbar die deutsche Haltung zum Nahostkonflikt, die bei Juden nicht nur Freunde hat.
Deutschlands Ziel ist, wie das vieler anderer EU-Staaten, eine Zweistaatenlösung mit dem Staat Israel auf der einen und einem unabhängigen, demokratischen, zusammenhängenden und lebensfähigen Staat Palästina auf der anderen Seite. Darüber hinaus ist die Sicherheit Israels nicht erst seit Merkels Rede vor dem israelischen Parlament im März 2008 Teil der deutschen Staatsräson. „Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar“, erklärte Merkel damals und setzte die Linie fort, die „jede Bundesregierung und jeder Bundeskanzler vor mir“ vertreten hatte, wie sie später betonte. Und natürlich vertritt auch Heusgen diese deutsche Haltung. Im nächsten Jahr wird der studierte Wirtschaftswissenschaftler 40 Jahre in Diensten des Auswärtigen Amtes stehen. Zwölf davon hat er als außen- und sicherheitspolitischer Berater von Kanzlerin Merkel gearbeitet, sie auf ihre Auslandsreisen vorbereitet, bei Krisengipfeln an ihrer Seite gesessen und bis zum Umfallen für politische Lösungen gearbeitet. Wer so einen Job macht, arbeitet oft 16 Stunden und mehr. Irgendwann ist die Freizeit so knapp, dass sie so gerade noch für die eigene Familie – Heusgen hat vier Kinder –, nicht aber mehr für Freunde und Bekannte reicht.
Die Versetzung war auch eine Belohnung für die geleisteten Dienste
Heusgens Versetzung nach New York im Sommer 2017 war dann auch eine Art Belohnung für geleistete Dienste. Und Merkel weiß, dass sie einen absolut integren und mit allen diplomatischen Wassern gewaschenen Mann an einer der international wichtigsten politischen Schaltzentralen sitzen hat. Bei einer Rede vor dem UN-Sicherheitsrat betonte Heusgen denn auch, Deutschland werde „nicht schweigen, wenn das Existenzrecht Israels infrage gestellt oder gefährdet wird“ und verurteilte im Namen der Bundesregierung „alle Angriffe auf Israel auf das Schärfste, einschließlich des jüngsten Abschusses von Raketen aus dem Gazastreifen, die die Sicherheit Israels und das Leben der Zivilbevölkerung gefährden“. Diese Rede hielt Heusgen im Mai, also zwei Monate nach seinen Äußerungen, die das Wiesenthal-Zentrum gerade kritisiert. Offenbar wurde sie von der Menschenrechtsorganisation nicht bemerkt.