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Kommentar: Wie es zu dem Schmierentheater kam
Die Wahl in Thüringen zeigt, dass nicht jede Volte machtgeblendeter Politikakteure glückt. Die Demokratie hat sich durchgesetzt.
Die Wahl vom FDP-Mann Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten war ein Lehrstück zu Ignoranz und Machtgeilheit.
Foto: JOHN MACDOUGALL, AFP | Die Wahl vom FDP-Mann Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten war ein Lehrstück zu Ignoranz und Machtgeilheit.
Stefan Lutz
 |  aktualisiert: 11.02.2020 02:10 Uhr

Es kann einem auf die Nerven gehen: Irgendwo auf dieser Welt passiert etwas Ungewöhnliches und die Empörungsindustrie setzt sich in Gang. So geschehen auch diese Woche. Mit einem taktischen Meisterstück hatte die AfD den linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow aus dem Amt gehoben und dafür einen instinktlosen FDP-Mann instrumentalisiert. Was dann geschah, war der deutschlandweite Ausruf: Pfui, von Faschisten lässt man sich nicht ins Amt des Regierungschefs wählen. Ein Sturm der Entrüstung entfesselte sich, Empörung von ganz links bis kurz vor rechts außen, nicht nur im Politik-Betrieb, sondern auch auf der Straße. Im Gegensatz zu vielen anderen Empörungswellen war dieses Aufbegehren allerdings berechtigt. Und man kann fast erleichtert durchatmen, dass nicht jede Volte machtgeblendeter Politakteure glückt. Das Schmierentheater von Erfurt endete unmittelbar nach dem ersten Akt.

Geschichtsvergessenheit und Machtgeilheit

Die gute Nachricht: Aufrechte Demokraten in der Gesellschaft können so viel Wucht entfachen, dass offenkundig fürchterliche Entwicklungen aufgehalten werden. Nein, in Thüringen wird kein Regierungschef mit fauliger AfD-Aura die Geschäfte führen. Nein, es wird keinen Ministerpräsidenten geben, der eine Partei mit lediglich 5 Prozent der Wählerstimmen im Rücken hat. Aber das war’s dann auch schon mit dem ganzen Demokratie-Glück in dieser Angelegenheit. Denn in Wahrheit ist es ein Lehrstück über Geschichtsvergessenheit und Machtgeilheit, mangelnde Disziplin und Ignoranz.

Beginnen wir mit der Ignoranz: Die kann man getrost und ohne unfair sein zu müssen, dem ehemaligen Ministerpräsidenten Ramelow zuschreiben. Er war sich seiner Sache, mit einer Minderheit regieren zu können, so sicher, dass er verschlief, sich frühzeitig Verbündete bei Oppositions-Parteien zu suchen und so zumindest seine Duldung verlässlich abzusichern. Wer so agiert, ist überheblich und ignoriert demokratische Möglichkeiten.

Blicken wir auf das Thema Disziplin: Obwohl CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer und FDP-Chef Christian Lindner den Winkelzug ihrer Landesverbände erahnten, gelang es ihnen nicht, die Parteifreunde in Erfurt zu disziplinieren. Mike Mohring (CDU) und Thomas Kemmerich (FDP) machten ihr eigenes Ding und riskierten, nicht nur den Ruf der Parteien in Thüringen zu ruinieren, sondern den im Bund gleich mit. Das mag menschlich sein, bleibt mit Blick auf die Brisanz der Höcke-AfD aber verantwortungslos. Sich von der Thüringer Rechts-Außen-Truppe unterstützen zu lassen, ist schlicht geschmacklos. Wer ruft „Keinen Platz für die Rechten“, muss diesem Ruf auch gerecht werden. Wer nicht danach handelt, verspielt Glaubwürdigkeit und damit den größten Trumpf im politischen Geschäft. Womit wir bei der Machtgeilheit wären.

Vom Schimmer der Macht verführen lassen

Die Frage, welches Motiv Thomas Kemmerich hatte, sich von der AfD am Nasenring durch die Arena ziehen zu lassen, ist das bisher größte Rätsel. Zunächst inszenierte er sich als Alternative der Mitte, weil ja nur ein ganz linker und ein ganz rechter Kandidat zur Verfügung gestanden hätten. Aber spätestens als er die Frage „Nehmen Sie die Wahl an?“ gestellt bekam, hätte er dem Spuk ein Ende bereiten müssen. Warum er es nicht tat? Vielleicht Überforderung. Vielleicht hatte er sich aber auch vom Schimmer der Macht und der Aufwertung des Egos verführen lassen. Jedenfalls setzte er mit seinem „Ja, ich nehme die Wahl an“ die eigene Politik-Karriere aufs Spiel und erwies der Politik als Ganzen einen Bärendienst.

Das Schlimmste an der Erfurter Schmierentragödie ist aber die Geschichtsvergessenheit. Man kann über manche AfD-Position diskutieren und jeder hat das Recht, manchem Punkt zuzustimmen. Eines geht aber nicht: den Faschisten Björn Höcke und seine radikalen Gedanken salonfähig zu machen. Ein Mann, der das Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“ bezeichnet, gegen Fremde hetzt und eine andere Republik will, darf nicht zum Königsmacher werden. Was CDU und FDP in Thüringen haben vermissen lassen, ist die richtige Haltung gegenüber dem auffallend radikalen Flügel AfD. Der Zweck heiligt nicht die Mittel und Macht kommt nicht vor Anstand.

So bleibt unterm Strich die richtige Entscheidung des Rücktritts von Kemmerich. Ob es Neuwahlen gibt, ist offen, denn es ist zu befürchten, dass sie eher den radikalen Kräften nutzen werden. Sie haben reichlich Futter für die Story: Wer die Altparteien und ihre machtgeilen Leute wählt, der wählt das Chaos. Mancher Beobachter meint, in Thüringen sei Schaden für die Demokratie entstanden. Das kann man so sehen. Man kann es aber auch so sehen: Die Demokratie wehrt sich und sie kann sich durchsetzen. Drehen wir es also ins Positive.

 
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