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AUGSBURG
Kommentar: Nur die AfD weiß, was sie will – leider
Ist der Spuk in Thüringen mit dem Rücktritt des FDP-Ministerpräsidenten vorbei? Von wegen!
Ministerpräsidentenwahl Thüringen       -  Björn Höcke, AfD Thüringen (rechts) gratuliert dem neuen Ministerpräsidenten Thomas L. Kemmerich (FDP).
Foto: Bodo Schackow (dpa-Zentralbild) | Björn Höcke, AfD Thüringen (rechts) gratuliert dem neuen Ministerpräsidenten Thomas L. Kemmerich (FDP).
Gregor Peter Schmitz
 |  aktualisiert: 14.02.2020 02:10 Uhr

Thüringen ist das elftgrößte Bundesland Deutschlands, mit einer Fläche von gerade einmal 16 171 Quadratkilometern etwa so groß wie Swasiland. Es weist ein politisches Führungspersonal auf, das Friseurketten betreibt oder als Gewerkschaftssekretär werkelte, es geht dort so bodenständig zu, dass gar ein Ministerpräsident in erster Linie Rostbratwurst verzehrt. Warum Thüringen trotzdem mit seiner Ministerpräsidentenwahl die Bundespolitik und die Bundesrepublik aus den Angeln gehoben hat? Das hat weniger mit der regionalen Situation zu tun – ob in Erfurt eine Minderheitsregierung regiert oder nicht, ist vielen Bundesbürgern gleichgültig. Die aktuelle Aufregung ergibt sich vielmehr aus dem Umstand, dass das unwürdige Geschachere im thüringischen Landtag gleich mehrere Stimmungen spiegelt, die die Bundesrepublik prägen.

Das Vorgehen war offenbar von langer Hand geplant

Wir erleben: Eine AfD, die taktisch klug ihre Macht auszubauen versucht. Im Bundestag tut sie das durch gezielte Provokationen und Anträge. Auch das Vorgehen in Erfurt war offenbar von langer Hand geplant, AfD-Funktionäre resümierten nach der Wahl zufrieden, man habe den FDP-Kandidaten ja in die Falle locken wollen. Also drängt sich der Eindruck auf, dass den Rechten das Vorführen und Verführen der anderen Parteien leicht gelingt. Im Handschlag von FDP-Mann Thomas Kemmerich mit dem örtlichen AfD-Chef Björn Höcke zeigte sich das: Wenn er schon nominell kein AfD-Ministerpräsident ist, dann doch einer von AfD-Gnaden. Dass dies mit einem Fünf-Prozent-Mann geschah, der danach vom Willen des Volkes schwadronierte, verstärkt diesen bitteren Eindruck – ebenso wie der Umstand, dass FDP-Chef Christian Lindner dieses Schauspiel nicht verhindern konnte. Das führt zu der anderen großen Schwäche, welche die allgemeine politische Verunsicherung so stark werden lässt. Die FDP, einst stolzer Stabilitätsanker vieler Bundesregierungen, ist mittlerweile komplett auf ihren Vorsitzenden zugeschnitten. Aber wofür dieser wirklich steht, wo für ihn Taktik aufhört und Prinzipien anfangen, wirkt völlig offen.

AKK hat offensichtlich ihren Laden nicht im Griff

Ebenso schwach präsentierte sich die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK). Sie hat offensichtlich ihren Laden nicht im Griff. Thüringer Christdemokraten war es erst herzlich gleichgültig, dass die Parteispitze jede Kooperation mit der AfD untersagt hatte. Als AKK nach dem Debakel dann rasche Neuwahlen anmahnte, schienen sie davon weiter unbeeindruckt. Deutlicher lässt sich der Autoritätsverlust einer Parteivorsitzenden kaum illustrieren. Auch daher brachte sich Dauerrivale Friedrich Merz wieder ins Spiel mit dem Hinweis, wie sehr der Aufstieg der AfD Angela Merkels Vermächtnis sei (die prompt aus dem fernen Afrika ein Donnerwetter erließ). Das macht Herrn Merz nicht zu einem starken Kandidaten – und Frau Merkel nicht wieder zu einer starken Kanzlerin. Aber beides schwächt AKK weiter, genau wie die unverhohlene Empörung der Schwesterpartei CSU. SPD und die Grünen waren sich zwar einig in ihrer lautstarken Ablehnung. Doch wer bei den Sozialdemokraten was vertritt, ist unter dem neuen Partei-Führungsduo noch unklarer: Will man wegen Thüringen die Große Koalition platzen lassen? Auch die Grünen, sonst so siegessicher, müssen nachdenken: Wollen sie mit einer Union koalieren, die das Trauerspiel von Thüringen mit ermöglichte? So wirken fast alle etablierten Parteien, als wüssten sie nicht, was sie wollen. Die AfD hingegen weiß genau, was sie will – die „bürgerliche Mitte“ erobern. Das ist die gefährliche Botschaft aus Thüringen – und für Deutschland.

 
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