
Der Fahrplan für den Kohleausstieg ist beschlossen. Strom wird dadurch teurer, für die Haushalte bleiben die Mehrkosten aber im Rahmen. Ein Durchschnittshaushalt mit einem Verbrauch von 3500 Kilowattstunden pro Jahr muss mit einem Anstieg der Stromrechnung zwischen 14 und 50 Euro rechnen – pro Jahr. Der Aufschlag käme auf die rund 1100 Euro zu, die schon heute auf der Stromrechnung für Besitzer von Eigenheimen stehen. Bei Wohnungen in Mehrfamilienhäusern werden aktuell im Jahr etwa 800 Euro fällig.
Die moderate Mehrbelastung ergibt sich aus einer Schätzung des Bundesverbands der Industrie (BDI), wie sich die schrittweise Abschaltung der Kohlekraftwerke auf den Strompreis auswirkt. Demnach klettert er in der Spanne zwischen 0,4 und 1,4 Cent je Kilowattstunde. Für Unternehmen, die viel Strom verbrauchen, kann dieser Anstieg das Geschäft erschweren. Haushalte und Unternehmen zahlen schon heute in Europa am meisten für Strom.
Der Fahrplan über die Abschaltung ist das Ergebnis einer harten Verhandlungsnacht von Mittwoch auf Donnerstag. Der Bund und die vier Kohleländer Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen rangen um Kraftwerksblöcke, Entschädigungen und Milliarden an Fördermitteln für die Zukunft nach der Kohle.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) moderierte zwischen ihren Ministern und den Ministerpräsidenten, die Energieversorger waren per Telefon zugeschaltet. „Es waren schwierige Gespräche“, berichtete Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) bei der Vorstellung der Ergebnisse am Morgen danach.
Damit überhaupt ein Kompromiss zum Schutz des Klimas erreicht werden konnte, musste die Bundesregierung tiefer in die eigene Kasse langen. Der Stromkonzern RWE bekommt insgesamt 2,6 Milliarden Euro für die vorzeitige Abschaltung seiner Braunkohlekraftwerke im Rheinischen Revier. Das sind 600 Millionen Euro mehr als bisher vorgesehen. Dafür werden in einer ersten Runde bis 2022 nur Kraftwerke des Unternehmens aus Essen abgeschaltet.
Der Hambacher Forst an der Abbruchkante des gleichnamigen Tagebaus kann erhalten werden. Mehr Kraftwerksmitarbeiter und Kohlekumpel als bisher geplant verlieren deshalb ihre Stelle. „Wir sind bis an die Grenzen des Machbaren gegangen“, sagte RWE-Chef Rolf Martin Schmitz.
Seine Leute müssen aber keine Angst haben, mittellos auf der Straße zu landen. Die Bundesregierung stellt 5 Milliarden Euro für den Vorruhestand bereit. Mit dem Geld werden auch die Kollegen aus dem Mitteldeutschen und Lausitzer Revier versorgt. Wer 58 Jahre alt ist, muss danach keine schlechter bezahlte Stelle, zum Beispiel bei einem Handwerker, annehmen. Insgesamt arbeiten noch 20.000 Beschäftigte im heimischen Braunkohlebergbau.
Damit die Lausitz und das Mitteldeutsche Revier nahe Leipzig und Halle mehr Zeit bekommen, um neue Arbeitsplätze aufzubauen, werden dort erst später Kraftwerke stillgelegt. Westdeutschland geht voran. "Das ist ein Beitrag zur deutsch-deutschen Freundschaft", meinte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) erleichtert. Denn zuletzt hatte Sachsen-Anhalt mit Blockade gedroht. Der Lausitzer Versorger Leag bekommt 1,75 Milliarden Euro an Entschädigungen, womit die beiden Stromerzeuger zusammen knapp 4,5 Milliarden Euro erhalten. Die Energieexpertin Claudia Kemfert hatte das im Gespräch mit dieser Redaktion als Geldverschwendung kritisiert.
Die Staatskasse wird aber nicht nur mit den zehn Milliarden Euro für Entschädigungen und Vorruhestand für die Kumpel belastet. In den nächsten 20 Jahren fließen außerdem 40 Milliarden Euro an die vier Kohleländer, um dort neue Unternehmen anzusiedeln. Damit sich die Firmen dort niederlassen, wird es neue Straßen, Schienen und schnelles Internet geben.
Für Bayern und Baden-Württemberg bedeutet die Zwangsrente von Kraftwerken im Osten und Westen, dass Gaskraftwerke wieder rentabel werden. Ab 2022 könnte das zum Beispiel für das Kraftwerk Irsching gelten, das die Betreiber am liebsten abschalten würden, weil es kein Geld verdient.
Bayern betrachtet Gaskraftwerke als absolut notwendig für die sichere Energieversorgung. Denn einerseits liegen die geplanten Stromautobahnen von Nord nach Süd Jahre hinter Plan, andererseits verfügt der Freistaat über wenige Windparks. Gleiches gilt für Baden-Württemberg.
Das Abschalten der Kohlekraftwerke steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass in Deutschland weitaus mehr Windräder und Solarfelder gebaut werden. Wegen großen Widerstands von Bürgerinitiativen ist der Zubau von Windrädern aber beinahe zum Erliegen gekommen. Die von CDU und CSU geplanten strengen Abstandsregeln zu Siedlungen könnten es Windmüllern noch schwerer machen. Im Jahr 2038 sollen die letzten deutschen Kohlekraftwerke vom Netz gehen.