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BERLIN
„Kleine Anleger zahlen für kleine Rentner“
Börse in Frankfurt/Main       -  Handelssaal der Börse Frankfurt: Eine Finanztransaktionssteuer soll die Grundrente finanzieren.
Foto: Frank Rumpenhorst, dpa | Handelssaal der Börse Frankfurt: Eine Finanztransaktionssteuer soll die Grundrente finanzieren.
Christian Grimm
Christian Grimm
 |  aktualisiert: 25.11.2019 02:10 Uhr

Untoter ist ein Wort, das bei der geplanten Steuer auf den Handel mit Wertpapieren immer wieder fällt. Seit der großen Finanzkrise 2007/2008 geistert sie durch die Debatte. Sie sollte der Finanzindustrie auferlegt werden, um sie zu bändigen. Durch sie sollten sich die Staaten außerdem einen Teil des Geldes wiederholen, das sie für die Rettung von Pleitebanken auf den Tisch legen mussten. Von 30 Milliarden Euro pro Jahr war die Rede.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) will den Untoten jetzt wieder zum Leben erwecken. Übernächstes Jahr soll er aufwachen und Geld für die Grundrente beschaffen. Offiziell trägt er immer noch den Namen Finanztransaktionssteuer. Doch die vergangenen Jahre, in denen er auf vielen Treffen der EU-Finanzminister umhergeisterte, hat er seine Gestalt geändert.

Profis können Steuer umgehen

Wird der Zombie wieder lebendig, wie es Scholz vorgesehen hat, wird er eine Aktiensteuer sein. „Kleine Anleger zahlen für kleine Rentner“, fasst es der Finanzexperte der Grünen, Sven Giegold, zusammen. Die Profis könnten sich ihr entziehen, weil sie an Finanzplätze wie Luxemburg gehen könnte, an denen die Steuer nicht erhoben werden soll, kritisiert der EU-Abgeordnete.

Auf den Handel mit Aktien soll ein Mini-Anteil des Umsatzes an den Staat abgeführt werden. Die in der Diskussion befindliche Größenordnung reicht von 0,1 bis 0,3 Prozent. Bei einem Satz von 0,1 Prozent flösse dem Fiskus beim Kauf oder Verkauf von Aktien im Wert von 1000 Euro also ein Euro zu. Dieser Betrag käme noch zu den von den Banken erhobenen Gebühren hinzu. Erhoben werden soll die Steuer auch auf den Handel mit Fondsanteilen, die viele Sparer zur Altersvorsorge nutzen.

Dass damit die von der Politik immer wieder angemahnte private Altersvorsorge erschwert wird, will Scholz nicht gelten lassen. „Jeder, der eine Currywurst kauft, zahlt Umsatzsteuer – nur bei Aktien soll ein ganz niedriger Satz nicht gelten. Für mich hat das mehr mit Lobbyismus und Macht zu tun als mit Logik“, sagte er im Gespräch mit dieser Redaktion.

Nicht mehr belastet werden hingegen nach den jetzigen Planungen Derivate – also komplizierte Wertpapiere – die meist von Börsenprofis gehandelt werden. Sie gelten als Mit-Auslöser für den großen Krach an den Finanzmärkten vor über zehn Jahren. Durch die Finanztransaktionssteuer sollte das Zocken mit ihnen eingedämmt werden. Doch von dieser Absicht ist nichts mehr übrig. Ob die nun schwer gerupfte Börsensteuer überhaupt kommt, ist noch nicht vollkommen sicher. In Brüssel sind verschiedene Einschätzungen zu hören. „Nun scheint es, dass eine Einigung in Reichweite kommt“, sagte ein Sprecher der EU-Kommission. Eine Gruppe von zehn Ländern habe sich weitgehend auf den Umfang und die Struktur der Abgabe verständigt. Der deutsche Finanzminister gibt sich zuversichtlich. Er hält „eine baldige Einigung mit den europäischen Partnern für möglich“, wie er im Interview erklärte. Der SPD-Politiker rechnet mit Einnahmen in Höhe von rund einer Milliarde Euro pro Jahr. Das ist ziemlich genau die Summe, die die Grundrente kosten wird.

Die zehn Staaten, die Aktiensteuer einführen wollen, machen das auf Basis der verstärkten Zusammenarbeit. Neben Deutschland sind das unter anderem Belgien, Spanien, Frankreich, Italien und Österreich. In einigen Ländern gibt es bereits die Abgabe. Sie würde dann europäisch harmonisiert. Damit überhaupt genügend Länder mitmachen, sollen kleinere Staaten wie Slowenien und die Slowakei einen Teil des Kuchens von den größeren erhalten. Wegen der jüngsten Wahlen in Spanien und Österreich stockt das Projekt aber derzeit.

CDU/CSU für europäische Lösung

Olaf Scholz kann die Steuer nicht ohne die Zustimmung von CDU und CSU einführen. Die Union pocht darauf, dass die Steuer auf europäischer Ebene eingeführt wird. Sonst könne ihr nicht zugestimmt werden. „Es muss zumindest unter zehn Ländern einen gleichen Wettbewerb geben. Für ein rein nationales Vorgehen gibt es keine Grundlage“, sagte der CSU-Finanzpolitiker Hans Michelbach dieser Redaktion. Er ist Obmann der Unionsfraktion im Finanzausschuss des Bundestages. Seinen Berechnungen zufolge wird die Steuer pro Jahr nur rund 500 Millionen Euro bringen und damit halb so viel wie für die Grundrente benötigt. „Das ist ein Abkassiermodell von Kleinsparern“, schimpft Michelbach. Dennoch haben CSU und CSU der Einführung der Steuer im Koalitionsvertrag zähneknirschend zugestimmt.

 
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