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Dresden/Berlin
Im Osten was Neues
Spannung vor dem Sonntag: Die AfD schickt sich an, bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen stärkste Kraft zu werden.
Stefan Lange
 und  Christian Grimm
 |  aktualisiert: 01.09.2019 02:10 Uhr

Für die Dominanz der AfD im Osten gibt es in Brandenburg an der Havel ein markantes Bild. Die Alternative für Deutschland hat sich in der malerischen Brandenburger Altstadt mit ihrer Geschäftsstelle frech neben dem CDU-Büro eingenistet. Nötig gewesen wäre das nicht, in der 70.000-Einwohner-Stadt stehen genügend andere Büroräume leer. Die AfD demonstriert vielmehr: Mach mal Platz da, jetzt kommen wir.

Umfragen sehen die AfD bei den Wahlen am Sonntag weit vorne

Bei den Landtagswahlen am Sonntag in Brandenburg und Sachsen wird die AfD mächtig kommen. Den Umfragen zufolge liegt sie in Brandenburg bei 21 Prozent und ist damit gleichauf mit der SPD stärkste Partei. In Sachsen ist sie derzeit zweitstärkste Kraft hinter der CDU, die sich in den letzten Tagen etwas nach oben absetzen konnte und mit 29 Prozent Zustimmung etwa vier Punkte Vorsprung vor ihrem ärgsten Konkurrenten hat. Damit hat die AfD in beiden Bundesländern die Chance, stärkste Kraft zu werden. Was eine bemerkenswerte Entwicklung wäre. Denn vor fünf Jahren, bei den letzten Landtagswahlen, lagen die Rechten in Sachsen unter zehn Prozent, in Brandenburg holten sie zwölf Prozent.

Warum ist die AfD jetzt so erfolgreich? Dietlind Tiemann ist CDU-Bundestagsageordnete in Brandenburg, sie war dort viele Jahre lang Oberbürgermeisterin, davor Unternehmerin, und sie kennt ihre Leute sehr genau. Die AfD sei so groß geworden, "weil die Politik der etablierten Parteien es nicht mehr schafft, die Menschen so zu begeistern und vor allem inhaltlich und zielorientiert mitzunehmen", sagt sie. Stattdessen hören die Menschen einer Partei zu, "die ihnen gern nach dem Mund redet", meint Tiemann.

Von den Werken, die Tausenden Arbeit gaben, ist wenig übrig

Beim Gang durch die Havelstadt Brandenburg wird deutlich, was Tiemann meint. Im Standesamt wird fleißig geheiratet, ansonsten ist es ruhig. Arbeit finden die Menschen hier unter anderem in der Stahlindustrie. Wenig ist jedoch von den mächtigen Werken noch übrig, die hier zu DDR-Zeiten tausenden Menschen Arbeit gaben. Früher waren sie ziemliche Dreckschleudern, heute, so wird versichert, sind die Werke sauber, das Wasser in den Flüssen sei wieder rein.

Die Menschen hier verstehen deshalb die ganzen Schuldzuweisungen in der Klimadebatte nicht. Industrie macht Dreck, ja, aber der könne mit den richtigen Filtern aufgefangen und entsorgt werden. Das Ende des Kohleabbaus sehen die Brandenburger mindestens skeptisch, vielen macht es Angst. Sie verbinden mit Stein- und Braunkohle nicht Landschaftszerstörung, sondern Arbeitsplätze. Dass der Abbaustopp mit einigen Milliarden Euro kompensiert werden soll, ficht hier auch kaum jemanden an. Wenn mit dem Geld wie vorgesehen aufgeforstet wird, wenn Baggerseen rekultiviert werden, dann schafft das keinen Mehrwert und vor allem keine Arbeitsplätze für die jungen Menschen.

Die AfD geriert sich als Stimme des Ostens

Hier greift die Alternative für Deutschland ein. Sie geriert sich als "Stimme des Ostens" und kommt damit offenbar an. Das Selbstbewusstsein der Partei zeigt sich an Kleinigkeiten: Sie muss nicht überbordend plakatieren, ihre Botschaften verbreiten sich auch so. Für die Schriftstellerin Jana Hensel, die mit dem Buch Zonenkinder bekannt wurde, ist die Alternative "eine höchst erfolgreiche Emanzipationsbewegung der Ostdeutschen". Wenngleich keine Gute.

Andreas Kalbitz ist Landesvorsitzender der AfD in Brandenburg. 
Foto: Ralf Hirschberger, dpa | Andreas Kalbitz ist Landesvorsitzender der AfD in Brandenburg. 

Vielleicht kommt es auf die Botschaften der AfD gar nicht an, vielleicht reichen Menschen wie Andreas Kalbitz. Der AfD-Spitzenkandidat in Brandenburg ist ein Energiebündel, 46 Jahre alt, kahlköpfig. Und rechtsextrem. Der ehemalige Fallschirmjäger wirkt immer noch durchtrainiert und hat den Kasernenhofton offenbar nie abgelegt. Teilnehmer von AfD-Wahlveranstaltungen berichten, dass Kalbitz gerne das Kommando übernimmt. Alles Fremdartige wird markig abgebügelt, die Klimaaktivistin Greta Thunberg etwa beleidigte Kalbitz als "zopfgesichtiges Mondgesicht-Mädchen".

"Friedliche Revolution mit dem Stimmzettel" steht auf den Wahlplakaten

"Vollende die Wende", lässt die AfD auf ihre Wahlplakate drucken. Oder auch: "Friedliche Revolution mit dem Stimmzettel". Kalbitz ist einer von denen, die die Wende vollenden sollen. Dabei hat der gebürtige Münchner mit dem Ende des SED-Regimes im Herbst 1989 nichts zu tun. Dennoch präsentieren sich Kalbitz und seine Partei als die wahren Erben der Revolution in Ostdeutschland. Die AfD hat Erfolg damit, dabei kommt beinahe das gesamte Spitzenpersonal aus dem Westen.

Die Partei hat es geschafft, dass eine Generation nach dem Mauerfall über den sich daran anschließenden Abstieg des Ostens noch einmal neu diskutiert wird. Dabei geht es um gebrochene Biographien, die Verelendung ganzer Landstriche, weil die Jungen sie verließen, und das aufgepfropfte System der alten Bundesländer, das selbst den positiven Errungenschaften der DDR keine Chance ließ. Vom "Anschluss statt Wiedervereinigung" ist nicht nur an den Stammtischen die Rede. Der Blick zurück im Zorn ist ein ganz wichtiger Erfolgsfaktor für die Partei. Sie hat damit der Linken ihre Paraderolle als Stimme des Ostens abgenommen.

Fremdenfeindlichkeit ist im Osten stärker verbreitet als im Westen

Der zweite wichtige Faktor ist die Flüchtlingskrise von 2015. Zwischen Ostsee und Erzgebirge ist die Ablehnung von Fremden stärker ausgeprägt als im Rest der Republik. Die DDR war eine homogene Gesellschaft, in der es nur wenige Gastarbeiter aus den sozialistischen Bruderstaaten gab. Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung kam vor kurzem zu dem Ergebnis, dass bei 23 Prozent der Ostdeutschen Fremdenfeindlichkeit verbreitet ist. Bei den Westdeutschen sind es nur 18 Prozent.

Verlustängste wirken in den neuen Ländern wegen des Wende-Traumas viel schärfer. Angst vor dem Verlust der eigenen Identität, Angst vor Konkurrenz um Arbeitsplätze und Sozialleistungen. Die AfD versteht es, die Angst-Karte zu spielen. Die Kombination aus Furcht und persönlichen Erschütterungen aus den dramatischen Jahren nach dem Mauerfall bildet eine feste Legierung aus starken Gefühlen, die von den anderen Parteien nur schwer gelöst werden kann. "Es ist sehr schwer, das aufzubrechen. Das gelingt nur durch ganz viele persönliche Gespräche", sagt Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Er hat sich deshalb entschieden, als Therapeut durch sein Land zu reisen. Zuhör-Tour ist sein Wahlkampfkonzept. Vier, fünf Termine am Tag, in denen die Menschen ihre Sorgen bei ihm abladen können.

Treu zu einer Partei stehen hier weniger Menschen 

Der momentane Höhenflug der AfD wird außerdem dadurch begünstigt, dass die Treue der Wähler zu Parteien im Osten schwächer ausgeprägt ist als im Westen. Sie wechseln häufiger die Farbe, wenn sie in der Wahlkabine ihr Kreuz machen. Politikwissenschaftler sprechen vom "Phänomen der instabilen Parteibindung".

Wie sehr dieses Phänomen im Osten genau verbreitet ist, wird sich am Sonntag zeigen.

 
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