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Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Ich werde mich nicht entschuldigen“
Altkanzlerin Merkel zu Gespräch im Berliner Ensemble       -  Polit-Rentnerin Angela Merkel bei ihrem ersten großen öffentlichen Auftritt.
Foto: Sommer, dpa | Polit-Rentnerin Angela Merkel bei ihrem ersten großen öffentlichen Auftritt.
Von Margit Hufnagel
 |  aktualisiert: 14.02.2024 13:58 Uhr

Als sie in dem schlichten schwarzen Sessel auf der Bühne des Berliner Ensembles Platz nimmt an diesem Abend, schüttelt er gerade die Hände von Bundeswehrsoldaten in Litauen. Die Männer und Frauen im Tarnfleck sind Teil einer Nato-Einsatztruppe, die an der Ostflanke des Verteidigungsbündnisses stationiert ist. Näher als an diesem Tag war Kanzler Olaf Scholz dem Krieg nie. Hier, im Baltikum, haben sie schon lange geahnt, wozu Wladimir Putin fähig ist, welche Gefahren seine revanchistischen Philosophien für Europa bergen. Gehört wurden sie nur selten, ihre Sorgen mit Beschwichtigungen beiseite gewischt.

Doch seit dem 24. Februar ist vieles anders. Der russische Präsident Wladimir Putin ist in die Ukraine einmarschiert und Deutschlands Ostpolitik liegt in Trümmern. Eine Politik, die Angela Merkel zu verantworten hat. 16 lange Jahre war ihr Platz im Kanzleramt. Seit sie es verlassen hat, war wenig von ihr zu hören. Keine Antwort auf die Frage, ob sie im Rückblick zu naiv war, ob sie Fehler einsieht, was sie anders machen würde. Sie wolle die Dinge nicht von der Seitenlinie kommentieren, lautete die Begründung für ihr dröhnendes Schweigen. Nun also spricht sie.

Aufgeräumt wirkt Angela Merkel, im Reinen mit sich und ihrer Politik. Es ist ihr erster großer öffentlicher Auftritt, am Mittwoch sind es auf den Tag genau sechs Monate, dass sie ihr Amt an Scholz übergeben hat. Die Polit-Rentnerin trägt ihren typischen Merkel-Blazer, blau ist er diesmal, um den Hals eine Kette aus braunen Steinen, wie man sie schon häufig an ihr gesehen hat.

Kleine Einblicke in ihr Seelenleben

Merkel gegenüber sitzt Alexander Osang, Schriftsteller und Journalist und Autor mehrerer Kanzlerinnen-Porträts. Ihm gewährt sie an diesem Abend kleine Einblicke in ihr Seelenleben, unterhält mit Anekdoten, gibt sich mal nachdenklich, mal amüsiert. Nur einen Gefallen tut sie der Öffentlichkeit nicht: Reue. Ihren Politik-Ansatz oder gar sich selbst infrage zu stellen, das macht sie noch nicht einmal aus der Rückschau. „Also ich sehe nicht, dass ich da jetzt sagen müsste: Das war falsch, und ich werde mich deshalb auch nicht entschuldigen“, sagt die 67-Jährige. Sie sei „nicht blauäugig oder so“ gewesen, sondern habe stets vor Putin gewarnt. Und so nimmt sie für sich in Anspruch, aus dem Wissen ihrer Zeit heraus gehandelt zu haben, betont, dass die Lehre aus den vergangenen Jahren nicht allein mit Blick auf den 24. Februar 2022 gezogen werden könne.

Sie habe immer daran geglaubt, dass Deutschland und Russland miteinander leben und arbeiten müssten. „Es ist eine große Tragik, dass es nicht gelungen ist“, sagt Merkel. „Aber ich mache mir keine Vorwürfe, es nicht genug versucht zu haben.“ Sie habe sich in ihrer gesamten Amtszeit mit den Folgen des Verfalls der Sowjetunion beschäftigt. Doch zumindest eines muss die Altkanzlerin an diesem Punkt eingestehen: Putins selbst empfundene Feindschaft gegenüber dem Westen war lange bekannt. Natürlich stelle sie sich die Frage, ob sie etwas versäumt habe, ob sie den Krieg hätte verhindern können. „Dieser Überfall auf die Ukraine findet keine Rechtfertigung“, sagt sie.

Allerdings war aus Sicht der Polit-Rentnerin vieles, was heute so klar wirkt und sich als gerade Linie der Geschichte abzuzeichnen scheint, eben zum Zeitpunkt der politischen Entscheidungen weitaus weniger eindeutig. Darunter fällt etwa die Debatte über einen Nato-Beitritt der Ukraine. „Die Ukraine war damals nicht die, die wir heute kennen“, sagt sie. Die Ukraine sei kein demokratisch gefestigtes Land gewesen, sondern von Oligarchen beherrscht. Hinzu sei gekommen, dass die Welt schon damals befürchten musste, dass Putin diesen Schritt als Kriegserklärung sehen würde. „Ich wusste, wie er dachte“, sagt Merkel.

Tatsächlich hatte die Altkanzlerin stets ein besonderes, aber auch ambivalentes Verhältnis zum russischen Präsidenten. Sie war es, die mit ihren Regierungen die deutsche Abhängigkeit von russischen Energielieferungen vorantrieb, die ihre Hoffnung in die wirtschaftliche Zusammenarbeit setzte und Putin diplomatische Türen öffnete. Es war eine der Grundannahmen deutscher Politik in den vergangenen Jahrzehnten, zu glauben, das autoritäre Russland würde sich in ein demokratisches verwandeln, wenn nur die politischen und wirtschaftlichen Bande eng genug gewebt würden. Die Gas-Pipeline Nord Stream 2 wurde noch weitergebaut, als sich Putin längst die Krim einverleibt hatte. Zugleich heißt es, Merkel habe in Putin immer einen eiskalten Taktiker der Macht gesehen, der vor Lügen nicht zurückschrecke.

Diesen Aspekt herauszustellen, ist ihr heute besonders wichtig. Putin, so erzählt sie, habe ihr einmal gesagt, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion für ihn das schlimmste Ereignis des 20. Jahrhunderts sei. Für sie selbst hingegen sei dies ein Glücksfall gewesen. Der Krieg in der Ukraine habe ihr deshalb auch noch einmal vor Augen geführt, wie wenig selbstverständlich der friedliche Umsturz in der DDR gewesen sei. „Wir haben einen sehr guten Moment der Geschichte abgepasst“, sagt sie. „Danach hat sich die Weltlage verdüstert.“ Es sei nicht gelungen, eine Sicherheitsarchitektur zu schaffen, die den Krieg verhindert hätte, sagte Merkel. Es sei nicht gelungen, den Kalten Krieg zu beenden. Einen Rat hat sie dann doch noch parat für ihren Nachfolger Olaf Scholz. Deutschland solle auf militärische Abschreckung gegenüber Russland setzen. „Das ist die einzige Sprache, die Putin versteht“, sagt die Altkanzlerin.

Rentner-Dasein hat sie entspannter gemacht

Formate wie das im Berliner Ensemble sind eigentlich gar nicht Merkels Fall. Fragen auf offener Bühne, die sie womöglich in die Bredouille bringen können, kontert sie normalerweise mit sperrigen Schachtelsätzen, die am Ende ohne inhaltliche Aussage ins grammatikalische Nirwana abgleiten. Schon während ihrer Amtszeit waren Interviews mit Merkel ein Ereignis – weil sie so selten waren. Die disziplinierte Politikerin ließ in solchen Momenten meist ohnehin nur sparsam tiefere Einblicke in ihr Denken und Fühlen zu – lieber behielt sie die Situation eng unter Kontrolle. Doch ihr Rentner-Dasein hat sie entspannter gemacht. Hinzu kommt, dass ihr mit Osang ein Interviewer gegenübersitzt, der ihr erkennbar gewogen ist, der gar nicht erst versucht, sie mit kritischen Fragen in die Enge zu treiben.

„Mir persönlich geht es gut“, erzählt sie ihm. Sie bewege sich mehr, lese längere Bücher, sei nach ihrem Auszug aus dem Kanzleramt für fünf Wochen allein an die Ostsee gefahren. „Ich habe mir das Feld des Hörbuchs erarbeitet“, sagt sie einen ihrer typischen Merkel-Sätze. Lange Spaziergänge am Meer habe sie unternommen, Kapuze über den Kopf, dann sei sie auch nicht von anderen Urlaubern angesprochen worden.

„Ich komme mit diesem neuen Lebensabschnitt sehr gut zurecht“, sagt sie. Ob dem Auftritt weitere folgen werden? Merkel wird ihre Einwürfe von der Seitenlinie wohl auch künftig wohldosieren. Nichts widerstrebt ihr mehr als die Rolle der Besserwisserin von der bequemen Warte des Rentnerinnen-Sessels aus. An einem Buch will sie schreiben, das Tagesgeschehen kommentieren wird sie kaum. „Ich bin Bundeskanzlerin a. D.“, sagt sie. Sie sei keine „ganz normale Bürgerin“. Sie müsse noch vorsichtiger sein, zu aktuellen Dingen etwas zu sagen. Das müsse die aktuelle Bundesregierung übernehmen, zu der sie großes Vertrauen habe.

 
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