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BERLIN/KABUL
Hauptmann der Bundeswehr: Ortskräfte sitzen in der „Todesfalle“
Die Bundesregierung hat große Schwierigkeiten, die Helfer zu retten – In der Zwischenzeit gibt es heftige Kritik am Chaos bei den Rettungsversuchen in Afghanistan.
Rund 640 Afghanen in einem einzigen Evakuierungsflug       -  Die USA haben am Sonntag über 640 Menschen in einer Transportmaschine ausgeflogen. Das Bild zeigt den Innenraum der Maschine. Mit dem ersten Evakuierungsflug der Deutschen wurden nur sieben Menschen ausgeflogen.
Foto: dpa | Die USA haben am Sonntag über 640 Menschen in einer Transportmaschine ausgeflogen. Das Bild zeigt den Innenraum der Maschine. Mit dem ersten Evakuierungsflug der Deutschen wurden nur sieben Menschen ausgeflogen.
Von Simon Kaminski
 |  aktualisiert: 08.02.2024 13:00 Uhr

Es dürfte fast ohne Beispiel sein, dass ein Hauptmann der Bundeswehr öffentlich derartig vernichtend über die deutsche Politik urteilt. Viele afghanische Ortskräfte würden in der „Todesfalle“ sitzen und das sei ein „Ergebnis politischer Entscheidungen“ sagte Marcus Gotian im „heute-journal“ des ZDF am Montagabend.

Der Hauptmann, bei der Bundeswehr zuständig für das Patenschaftswerk für afghanische Ortskräfte, beklagte fehlende Unterstützung bei den Bemühungen, Menschen zu retten. Immer wieder habe man gegenüber Berlin Befürchtungen geäußert, Lösungen oder Probleme angesprochen – kaum etwas sei passiert. Seines Wissens habe es auch keine regulären Visa-Verfahren für einheimische Mitarbeiter der Streitkräfte gegeben. Jetzt bestehe die Gefahr, dass 80 Prozent der Ortskräfte in die Hände der Taliban fallen.

Zuletzt hat sich die chaotische Situation auf und um den Flughafen in Kabul stabilisiert. Berichtet wird, dass am Dienstag mehrere Transportflugzeuge starteten und landeten. Auch die Evakuierungsaktion der Bundeswehr soll intensiviert werden. Zunächst konnten nur sieben Menschen in Sicherheit gebracht werden – eine zweite Maschine mit bis zu 150 Menschen an Bord war unterwegs. Kanzlerin Angela Merkel geht von rund 10 000 Personen aus, die in Sicherheit gebracht werden sollen. Dabei geht es um Ortskräfte und deren Familien, aber auch um Mitarbeiter von deutschen Hilfsorganisationen. Etwa 1900 Ortskräfte der Bundeswehr sollen bereits aus Afghanistan gebracht worden sein.

Ohne Plan ins Chaos

Noch komplizierter ist die Situation bei EU-Missionen. Beispiel Eupol, eine vom Auswärtigen Dienst der EU 2007 gegründete multinationale zivile Mission, die helfen sollte, die afghanische Polizei zu reformieren und modernisieren. Lena Kilee wurde von 2010 bis 2011 als Beamtin des Innenministeriums zu Eupol an den Hindukusch beordert. Heute arbeitet sie in der Privatwirtschaft.

Doch das Schicksal der afghanischen Mitarbeiter der Eupol-Mission, die 2016 beendet wurde, ließ ihr keine Ruhe. „Ich dachte, es würde in Brüssel oder den Mitgliedstaaten einen vorbereiteten Ablaufprozess für die Rettung der Ortskräfte für den Fall geben, dass die Regierung die Macht an die Taliban verliert“, sagt Kilee im Gespräch mit dieser Redaktion. Aber genau das war nicht der Fall. „Die Mitgliedstaaten sagen, dass Brüssel für die Leute zuständig sei, während man dort darauf verweist, dass nur die Staaten Visa vergeben könnten.“ Jetzt werde unter dem Eindruck der Notsituation gehandelt – entsprechend chaotisch gehe es zu.

Lena Kilee sprach mit dem deutschen Innenministerium, das sie an das Auswärtige Amt verwies. Später auch mit dem Europäischen Auswärtigen Dienst der EU. „Ich glaube die Leute in den Behörden haben den Ernst der Lage erkannt, aber jetzt muss es schnell gehen. Brüssel sollte Listen der Ortskräfte aufstellen und die Rettung koordinieren, die EU-Staaten müssen schnell und unbürokratisch für Visa sorgen.“ Die Frage sei, ob es nicht zu spät ist. „Bleibt zu hoffen, dass es den Betroffenen trotz der Taliban-Kontrollpunkte möglich sein wird, den Flughafen auch zu erreichen.“ Wichtig ist Lena Kilee, dass die fatalen Fehler bei anderen Auslandsmissionen – wie in Mali – in Zukunft vermieden werden.

 
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