Die Wangen sind rot von all der hitzigen Wut. Die Stimme brüchig, die Augen füllen sich mit Tränen. „Wie konntet Ihr es wagen, meine Träume und meine Kindheit zu stehlen mit euren leeren Worten?“, spricht Greta Thunberg ins Mikrofon. Der Auftritt der 16-jährigen Klima-Aktivisten vor den Mächtigen dieser Welt beim UN-Klimagipfel war wie ein Donnerhall. Eine emotionale Standpauke, wie sie im Saal der Vereinten Nationen nur selten zuvor gehalten wurde. Gewaltig und beängstigend für die einen, ein beeindruckendes Naturschauspiel für die anderen. Geht Greta Thunberg zu weit?
Nicht mehr nur Klimaleugner, sondern auch die Mitte der Gesellschaft reagiert irritiert
Ihre Worte klingen zumindest selbst bei jenen nach, die sonst nicht für ungezügelte Kritik bekannt sind. „Nur Wutreden halten, wie Greta vor den Vereinten Nationen, das wird uns nicht weiterhelfen“, sagt Entwicklungshilfeminister Gerd Müller mit unverhohlenem Ärger. „Der Klimaschutz beginnt nicht mit Greta Thunberg.“ Deutlicher wird der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter: „Wer da rational argumentieren will, ist von vornherein schon diskreditiert. Das ist die neue 'Qualität? mangelnden Willens zur Sachlichkeit. Bitter“, schreibt er auf Twitter. Dort spottet auch US-Präsident Donald Trump: „Sie scheint ein sehr glückliches junges Mädchen zu sein, das sich auf eine glänzende und wundervolle Zukunft freut.“ Frankreichs Präsident Emmanuel Macron rät den jungen Aktivisten, sich auf diejenigen zu konzentrieren und Druck ausüben, die versuchten, Dinge zu blockieren – er habe nicht das Gefühl, dass das die französische oder die deutsche Regierung sei.
Polarisiert hat die Schülerin aus Schweden von Anfang an. Doch kippt nun die Stimmung endgültig? Nicht mehr nur Klimaleugner, sondern zunehmend die Mitte der Gesellschaft reagiert irritiert.
„Der Auftritt Gretas in New York war nicht zufällig ein Bruch mit Stil und Ritualen der Vereinten Nationen, wo Diplomatie, Höflichkeit und staatsmännisches Auftreten ja sinnbildlich für den vermeintlichen Stillstand und die unterstellte Untätigkeit der Erwachsenen stehen“, sagt der Politikwissenschaftler Alexander Straßner von der Uni Regensburg. „Die revolutionäre Ungeduld, die Radikalität, die hier gesprochen hat, ist das Stilmittel, mit dem es neben den symbolischen Auftritten bisher versucht wird.“ Doch die Emotionalität und Wut, die es erst vermocht hatten, so viele Menschen zu mobilisieren, bekämen nun eine gefährliche Kehrseite. Denn einerseits werde Greta für ihre Anhänger durch ihre Zornesrede nur noch ikonischer. Andererseits führe genau das zu einer Verhärtung bei den Gegnern, die ohnehin das Gefühl hätten, dass Kritik an den Kritikern der Politik nicht erlaubt sei. Greta begeistert und befremdet zugleich.
Straßner warnt sogar vor einer Radikalisierung der Bewegung. An den Rändern der „Fridays for Future“-Bewegung könne der Hang zur Militanz wachsen. „Es ist nun ein gefährlicher Punkt erreicht“, sagt der Politikwissenschaftler. „Es gibt Massenproteste, die Maßnahmen der Bundesregierung werden als nicht ausreichend angesehen, da ist der Schritt zur Gewalt nur noch ein kleiner.“ Demokratien und die daraus geborenen Kompromisse würden von vielen Anhängern als zu schwach empfunden, um den Klimawandel wirklich aufzuhalten – ein Punkt, den Straßner massiv kritisiert. Die Fokussierung der Aktivisten auf die Wissenschaft sei ehrenwert, bedeute letztendlich aber die Errichtung einer Technokratie. „Wieso braucht es überhaupt noch zivile Eliten, wenn die Wissenschaft alles weiß“, fragt er. „Das klingt fast nach platonischer Philosophenherrschaft, in einer Demokratie, aber geht es um Mehrheiten, die erlangt werden müssen.“ Dass ausgerechnet Greta Thunberg zugleich mit Begriffen wie Angst und Panik argumentiert, halte er für fragwürdig.
„Greta Thunberg hat uns jungen Menschen wirklich aus der Seele gesprochen“
Doch genau diese ungefilterte Gefühlswallung, die sture Auflistung von Beweisen für den Klimawandel ist es eben auch, die Gretas Anhänger faszinieren. „Greta Thunberg hat uns jungen Menschen wirklich aus der Seele gesprochen“, betont Rebecca Freitag, die als Jugenddelegierte beim UN-Klimagipfel die Rede der Schwedin verfolgt hat. „Ich glaube, dass wir bei der ganzen Diskussion oft die Emotionen außen vor lassen“, sagt sie. Doch genau die wolle sie nutzen. „Weil es am Ende genau das ist, warum wir jungen Menschen auf die Straße gehen. Weil wir einfach verdammte Angst haben um unsere Zukunft.“
Zumindest für Wolfgang Kraushaar ist dieses Entwicklung nicht überraschend. Kraushaar ist einer der profiliertesten Kenner deutscher Protestbewegungen. Er sagt: „Diese Klimaschutzbewegung ist ja unter den Vorzeichen eines Generationenprojekts angetreten: Die junge Generation ist gegen die älteren, die ihrer Eltern und Großeltern angetreten und wirft ihnen vor, ihre Zukunft zu verspielen.“ Und junge Akteure seien nun einmal emotional und begeisterungsfähig. Während die Politik unter einem massiven Glaubwürdigkeitsproblem leide, sei Greta durch ihre Entschiedenheit und ihre eigene Umweltmoral ein Vorbild. Und doch glaubt auch Kraushaar, dass Greta Thunberg mit ihrem Auftritt in New York überzogen haben könnte, „weil ihre darin verborgene erpresserische Seite nun unverkennbar geworden ist“. Sie wolle mit rhetorischen Mitteln auf einer Art Weltbühne ein von ihr als unverzichtbar angesehenes politisches Handeln geradezu erzwingen. Doch das sei schlicht undemokratisch.