Täglich werden fünf Menschen in Unterfranken Opfer von Gewalt ihrer Ehe- oder Lebenspartner. Meist sind es Frauen. Sie werden gedemütigt, geschlagen, bedroht, beleidigt oder gestalkt. In jedem dritten Fall erleben Kinder, was ihre Mütter Tag für Tag aushalten und wie Gewalt den Alltag ihres Familienlebens bestimmt. Drei starke Frauen berichten, wie sie den Opfern helfen. Und dies seit mehr als 20 Jahren. Die drei haben es geschafft, die Polizeistrukturen nachhaltig umzukrempeln, so dass Opfer heute in ganz Bayern angemessene Hilfe erhalten.
Opfer wurden nicht ernst genommen
Eine von ihnen ist Margit Endres, 1988 die einzige Frau bei der Kriminalpolizei in Würzburg. Zwölf Jahre lang war sie unterfränkische Ansprechpartnerin für Frauen und Kinder, die Opfer eines Verbrechens geworden waren. „Doch es haben sich immer mehr Opfer häuslicher Gewalt bei mir gemeldet“, sagt die Kommissarin. „Die Kollegen, die nachts oder am Wochenende rausfuhren, um die Familienstreitigkeiten, so nannte man es damals, zu schlichten, eilten kurz darauf zum nächsten Verkehrsunfall. Für mehr blieb keine Zeit.“ Nach der Nachtschicht hatten sie zwei Tage frei. Zurück blieb das Opfer: ohne Rückendeckung, ohne Unterstützung und meist mutterseelenallein.
„Vor 20 Jahren wurden Frauen, die von ihren Ehemännern geschlagen wurden, nicht ernst genommen. Kaum eine Frau rief von sich aus die Polizei“, sagt Gertrud Schätzlein, die Leiterin des Frauenhauses Main-Rhön. In Politik und Gesellschaft habe man das Thema nicht haben wollen. Das sei Privatsache. „Die Polizei ist nicht für Rosenkriege zuständig“, hieß es. Margit Endres blies ein starker Wind entgegen, als sie 1998 mit dem Arbeitskreis „Häusliche Gewalt“ unter der Leitung der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Schweinfurt einen Modellversuch ins Leben rief. Eine Schwerpunktsachbearbeiterin sollte sich tagsüber aller Fälle häuslicher Gewalt annehmen und ein Netzwerk zu Opferschutzorganisationen knüpfen, um den Frauen auch langfristig zu helfen.
„Die Polizisten, die nachts kamen, waren oft überfordert. Von nun an hatten wir eine Ansprechpartnerin, die sich Zeit für die Opfer nahm. Das war eine wahnsinnige Verbesserung“, sagt Gertrud Schätzlein. Das Modell überzeugte das Innenministerium. Im Jahr 2000 wurde es auf Unterfranken, seit 2001 auf ganz Bayern ausgeweitet. Bei der Staatsanwaltschaft wurde ein Sonderdezernent für Familiengewalt eingeführt. Heute hat jede Polizeidienststelle mindestens einen Sachbearbeiter für häusliche Gewalt.
Auch in der teuren Villa wird geschlagen
Daran hat vor allem Kommissarin Karolina Heimgärtner ihren Anteil, die sich als erste und damals noch einzige Polizistin in Schweinfurt der Fälle annahm – und dies bis heute tut. Für sie war es ein Sprung ins kalte Wasser. Statt harter Polizeiarbeit wurde sie plötzlich mit Emotionen konfrontiert, führte Vernehmungen von bis zu drei Stunden, lernte, den Opfern zuzuhören, sie zu unterstützen und am Ende nicht zu verzweifeln, wenn eine geschlagene Frau mit ihren Kindern doch wieder zum Täter zurückkehrte. „Irgendwann schafft sie es, konsequent zu bleiben.“
Viele anfängliche Vorurteile widerlegte die Praxis: dass es immer die selben einkommensschwachen Familien seien, dass stets Alkohol im Spiel und dass Gewalt lediglich ein Ausrutscher im Affekt sei. 1998 wie heute sind die meisten Familien, in denen häusliche Gewalt zur Anzeige kommt, der Polizei vorher nicht bekannt. Während zwar viele Täter unter Alkoholeinfluss stehen, ist es bei den Opfern äußerst selten. Und wohingegen Familiengewalt bei sozial schwachen Schichten, die oft in hellhörigen Hochhäusern wohnen, schneller an die Öffentlichkeit dringt, ist das Phänomen in den besten Wohngegenden verbreitet. „Bei einer schönen Villa mit Garten drumherum bekommt das niemand mit. Doch da ist es oft viel gravierender“, sagt Heimgärtner.
So betreute sie einmal eine Ärztin, die mit der Zahnbürste das Bad putzen musste, eine Chefsekretärin, die mit dem Ochsenziemer gezüchtigt wurde oder die Frau eines Bankdirektors, der stets Heizung und Warmwasser abstellte sowie den Kühlschrank verriegelte, wenn er seine Frau zuhause alleine ließ. Oft seien es gebildete Männer mit einem Hang zum Narzissmus und zur Machtbestätigung, in deren Abhängigkeit sich Frauen begeben. Oft hätten Betroffene als Kind selbst Gewalt erlebt.
Wie das neue PAG Opfern helfen kann
Was die Kommissarin erschreckt: „Obwohl die Emanzipation voranschreitet, nehmen die Fallzahlen nicht ab.“ Selbstbewusste junge, im Beruf stehende Frauen lebten genauso in einer Gewaltbeziehung wie eine 80-Jährige, die sich kürzlich ins Frauenhaus flüchtete. „Prävention? – Fehlanzeige“, sagt Heimgärtner. „Wir müssten im Kindergarten beginnen.“ Während die Kommissarin in ihrer Anfangszeit noch die Zeit hatte, auch mal Nachbarn zu befragen, wertet sie heute oft stundenlang Whatsapp-Nachrichten aus. „Der Mensch kommt manchmal zu kurz.“
Das Personal ist knapp. Trotzdem hat sich für Opfer vieles verbessert. Darin sind sich die drei Frauen einig. Heute ist die Schwelle, dass Frauen ihren gewalttätigen Partner anzeigen, niedriger. Das Bewusstsein ist ein anderes. „Wir hatten noch nie so viele Möglichkeiten wie heute, einem Opfer zu helfen“, sagt Heimgärtner. Nicht zuletzt wegen des neuen Polizeiaufgabengesetzes mit dem umstrittenen Begriff der drohenden Gefahr. „Wir können zum ersten Mal einer Frau, die sich von ihrem Mann bedroht fühlt, helfen, bevor etwas passiert: Zum Beispiel mit einem polizeilichen Kontaktverbot, bevor der Streit eskaliert.“
Fälle häuslicher Gewalt in Unterfranken
Häusliche Gewalt umfasst alle Fälle physischer und psychischer Gewalt zwischen (Ex-) Ehe- und Lebenspartnern. Darunter fallen Nötigung, Bedrohung, Körperverletzung und Stalking.
Kinder, die Gewalt in der Familie erleben, leiden als so genannte „Sekundäropfer“ besonders. Sie verinnerlichen, dass Gewalt als legitimes Mittel zur Konfliktlösung eingesetzt wird und übernehmen diese Verhaltensweisen oft später in ihrer eigenen Familie. Gewalt hat überdies Auswirkungen auf Großeltern, Bekannte und Freunde des Paares.
In Unterfranken wurden 1957 Fälle im Jahr 2017 angezeigt. Seit 2013 liegt die Zahl der Anzeigen bei etwa 2000 pro Jahr. Die Dunkelziffer ist hoch. In den der Polizei bekannten Fällen kam es 1080 Mal zu einer Körperverletzung, 288 Mal wurde das Opfer bedroht. In acht Fällen lag Mord/Totschlag oder ein Versuch vor. 83 Prozent der Tatverdächtigen sind männlich. In 35 Prozent der Fälle waren Kinder anwesend.
Hilfe finden Betroffene bei allen Frauenhäusern, bei der Ehe- und Familienberatung, bei Jugendämtern und allen Polizeidienststellen. (akl)