Donald Tusk hatte schon eine ganz andere Twitter-Meldung vorbereitet. Der EU-Ratspräsident wollte am Freitag die Verhandlungen um einen Brexit-Deal öffentlich für gescheitert erklären und feststellen, dass Großbritannien „keine brauchbaren Vorschläge“ eingebracht habe. Tusk schilderte den Vorgang selbst, erkennbar froh, dass er diese Nachricht wieder löschen und stattdessen von „vielversprechenden Signalen“ aus Irland sprechen konnte. „Selbst die kleinste Chance muss genutzt werden“, ergänzte er.
Weiter Ringen um einen Deal
Auch Michel Barnier, der Chefunterhändler der EU, klang am Freitag nach einem Gespräch mit dem Brexit-Beauftragten aus London, Stephen Barclay, ganz anders. Man habe ein „konstruktives Gespräch“ geführt, beschrieb er den Botschaftern der EU-Mitgliedstaaten das Ergebnis. Die berichteten postwendend ihren Regierungschefs von der „neuen Lage“, die zu dem Beschluss führte, dass Großbritannien und die EU weiter um einen Deal für den Austritt des Vereinigten Königreiches am 31. Oktober ringen wollen.
Die Wende kam offenbar am Donnerstag zustande. In der Nähe von Liverpool waren der irische Regierungschef Leo Varadkar und Premierminister Boris Johnson zusammengekommen. Zwei Stunden redete man miteinander. Am Ende hieß es in einer Presseerklärung seltsam verklausuliert: „Sie waren sich einig, dass sie einen Weg zu einem möglichen Deal sehen könnten.“ Man habe sich geeinigt, über „die gemeinsame Diskussion noch einmal nachzudenken“.
Details oder gar ein Grund für den überraschenden Optimismus in letzter Minute waren zunächst nicht zu erfahren. Offenbar ging es aber um eine neue Formel für die irische Grenzfrage, von der bisher niemand eine Vorstellung hat, wie sie gelöst werden soll. Denn die EU will sicherstellen, dass es zu keiner festen Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland kommt und der Binnenmarkt geschützt bleibt. Johnson wiederum hat den dafür erfundenen Notfallmechanismus namens Backstop stets strikt abgelehnt. Immerhin müssen die Nachrichten aus Liverpool so vielversprechend gewesen sein, dass die 27 EU-Botschafter der Mitgliedstaaten am Freitag – wie betont wurde: einstimmig – Ja zu neuen Verhandlungen sagten.
In Brüssel hieß es daraufhin, man könne die Frist für eine Einigung bis zum Mittwoch verlängern. Dann würden die Staats- und Regierungschefs am Donnerstag bei ihrem Gipfeltreffen entscheiden. Johnson wiederum hätte die Möglichkeit, das Unterhaus am Samstag (19. Oktober) zu einer Sondersitzung zusammenzutrommeln, um einen Deal absegnen zu lassen. Dass auf europäischer Seite auch das Parlament eine Einigung ratifizieren muss, sei „eher kein Problem“, sagte am Freitag ein Mitglied der Abgeordnetenvertretung gegenüber dieser Redaktion. „Da würden die Juristen schon einen gangbaren Weg finden, damit ein Durchbruch nicht an Formalien scheitert.“ Doch so weit ist es noch nicht.
Der Ire als Schlüsselfigur
Tatsächlich scheint der irische Premierminister Leo Varadkar zu einer Schlüsselfigur bei der Suche nach einem Kompromiss geworden zu sein. Zwar betont der Ire stets, dass er jeden Schritt „in enger Abstimmung“ mit der EU-Kommission in Brüssel und deren Chefunterhändler Barnier unternehme. Hinzu kommt aber wohl auch, dass den Mann aus Dublin eine tiefe Angst umtreibt: Er befürchtet, dass die EU um des lieben Friedens Willen in letzter Minute auf Forderungen Londons eingehen könnte, die Irland anschließend ausbaden müsste – vor allem, wenn es doch zu einer wie auch immer gearteten Grenze zwischen Nordirland und der Republik kommen würde.