Es ist kaum noch vorstellbar, dass Bundestagswahlen einmal ohne die sozialen Medienplattformen stattgefunden haben. Heute wird fleißig gepostet und getwittert, geliked und geteilt. Flankierend werden E-Mails verschickt und Blog-Beiträge verfasst. Zentral für die mediale Parteienwerbung im Internet aber sind die Sozialen Medien, allen voran Twitter und Facebook. Youtube spielt demgegenüber so gut wie keine Rolle.
Auch wenn alle Parteien über eigene Youtube-Kanäle verfügen und zahlreiche politische Videos vorhanden sind, so sind die Abonnentenzahlen der Parteien nach wie vor sehr gering. Die meisten Abonnenten mit gut 11 500 hat aktuell die Linke bei gut 1000 Videos. Die
CDU hält zwar fast 1400 Videos auf ihrem eigenen Youtube-Kanal bereit, weist aber keine Abonnentenzahlen aus, ähnlich wie die AfD mit aktuell zwölf Videos. Von den Spitzenkandidaten hat aktuell nur Katja Suding von der FDP einen eigenen Youtube-Kanal mit gerade einmal 50 Abonnenten.
„Bundeskanzlerin“ klar führend
Auch Instagram ist aktuell noch unbedeutend. Angela Merkel beispielsweise verfügt unter der Bezeichnung „Bundeskanzlerin“ über 378 000 Follower und ist damit klar führend. An zweiter Stelle folgt Christian Lindner mit 37 800 Followern. Martin Schulz erreicht mit 21 600 Followern nur Platz drei.
Deutlich höher sind die Fanzahlen auf Facebook. Im Schnitt haben die Parteien 217 000 Fans. Kurios bei AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland ist, dass er über keine eigene Fanseite verfügt, dafür aber über eine eigene Gruppe mit knapp 380 Mitgliedern, wohingegen Alice Weidel fast 98 000 Fans zählt.
Beim Spitzentrio steht Sahra Wagenknecht mit knapp 400 000 Fans auf Platz drei. Platz zwei nimmt Martin Schulz mit 450 000 Fans ein. Angela Merkel führt klar mit 2,5 Millionen Facebook-Fans.
Demgegenüber ist Angela Merkel auf Twitter, genauso wie Horst Seehofer und Alexander Gauland, nicht unter ihrem eigenen Namen aktiv. Es existiert nur eine Reihe namensgleicher Konten. Führend bei Twitter ist Martin Schulz mit 525 000 Followern, gefolgt von Sigmar Gabriel (205 000), Sahra Wagenknecht (191 000) und Christian Lindner (179 000). Alle übrigen Spitzenkandidaten haben weniger als 100 000 Follower oder sind, wie gesagt, auf Twitter gar nicht aktiv.
Fans am linken und rechten Rand
Die größte Follower-Basis haben die Parteien bei Twitter mit durchschnittlich 229 000 Followern. Die meisten Follower mit 360 000 besitzen die Grünen, dicht gefolgt von der SPD mit 326 000. Die CDU hat 224 000 Follower, die CSU 168 000 und damit die Union in Summe 392 000. Klar abgeschlagen bei Twitter ist die AfD mit nur 76 600 Followern. Die anderen drei kleinen Parteien haben durchweg mehr als 200 000 Twitter-Follower.
Am stärksten die Polarisierung der politischen Parteien widerzuspiegeln scheint Facebook. Im weltgrößten Sozialen Netzwerk finden sich die meisten Fans am linken und rechten Parteienrand. Die Linke verfügt über 224 000 Fans, die AfD sogar über 365 000. Einzig die Union aus CDU und CSU kommt mit zusammen 345 000 auf ähnlich hohe Fanzahlen wie die AfD. Damit zeigt sich deutlich, dass vor allem Facebook den politisch polarisierenden Parteien als mediale Plattform dient.
Interessant ist auch das Verhältnis von Followern bei Twitter bzw. Fans bei Facebook zur Anzahl der Parteimitglieder. Während bei Twitter im Schnitt 2,7-mal so viele Partei-Follower wie Parteimitglieder zu finden sind, sind es bei Facebook sogar 3,5-mal so viele.
Das höchste Twitter-Mitglieder-Verhältnis haben die Grünen mit 5,8, dicht gefolgt von der FDP mit 4,6, der Linken mit 3,4 und der AfD mit 2,9. Bei den großen Parteien erreicht einzig die CSU mit 1,2 einen Wert über 1,0, wohingegen die SPD mit 0,8 und die CDU mit 0,5 über Twitter weniger Personen organisch erreichen (das bedeutet unbezahlte Verbreitung, Anm. der Red.), als sie Parteimitglieder haben.
Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Facebook. Auch hier verfügen die kleinen Parteien durchweg über eine vielfache organische Reichweite über Facebook, wohingegen die CSU nur 1,4-mal so viele Fans wie Mitglieder hat. Bei CDU und SPD liegt der Wert bei jeweils 0,4.
Da es naheliegt, dass viele Parteimitglieder auch Fans und Follower sind, erreichen somit beide großen Parteien organisch – und damit ohne Werbegelder – nicht einmal alle ihre Parteimitglieder, wohingegen die Linke 3,8-mal so viele potenzielle Wähler organisch erreichen kann, wie sie Mitglieder hat, die AfD sogar 13,8-mal so viele.
Insbesondere die großen Parteien verfügen über eine geringe organische Reichweite und müssen deshalb relativ mehr in gesponserte Posts bei Facebook investieren. Neben „gesponserten Posts“ tragen auch gut gemachte Posts zu einer höheren Reichweite bei, da sie häufiger geliked, kommentiert und geteilt werden. Ähnliches gilt für Tweets auf Twitter, die bei Gefallen ein Like (Herzsymbol) erhalten, auf die geantwortet wird oder die zu einem Retweet führen.
Kurz vor der Wahl nehmen die Interaktionen zu
Betrachtet man die Social-Media-Aktivitäten der sechs Wochen vom 31. Juli bis 10. September, so zeigt sich deutlich, dass die Anzahl der wöchentlichen Interaktionen (insbesondere gefällt, geteilt, kommentiert) auf Twitter, Facebook und Instagram bei allen Parteien deutlich zugelegt hat, am meisten und vor allem in den letzten drei Wochen bei SPD und AfD.
In Kalenderwoche 36 (4. bis 10. September) lagen beide Parteien einer Auswertung von Storyclash zufolge mit gut 400 000 Interaktionen fast gleichauf an der Spitze. CDU/CSU folgten an dritter Stelle mit knapp 300 000 Interaktionen. Platz vier teilten sich die FDP und die Linke mit je 200 000 Interaktionen. Klar abgeschlagen landeten die Grünen mit unter 100 000 Interaktionen auf dem letzten Platz.
Während die Interaktionshöhe lediglich deutlich macht, dass über eine Partei und ihre politischen Positionen zum Teil heftig diskutiert wird, was durch entsprechende Werbebudgets forciert werden kann, sind die Fan- und Follower-Zahlen ein guter Indikator für die politische Präferenz von in den Sozialen Medien aktiven Menschen, darunter viele wahlberechtigte Deutsche.
Legt man die Zahl der Parteianhänger auf Twitter, Facebook und Instagram zugrunde, so würde sich bei einer social-media-basierten Stimmverteilung im Bundestag folgende Verteilung ergeben: CDU/CSU kämen nur auf 25 Prozent, gefolgt von den Grünen mit 17 Prozent, der SPD mit 16 Prozent, der AfD mit 15 Prozent, den Linken mit 14 Prozent und der FDP mit 13 Prozent. Die Große Koalition käme mit ihren Fan-und-Follower-Zahlen nur noch auf 41 Prozent, eine Linksregierung auf 48 Prozent. Nur die Deutschland-Koalition, bestehend aus SPD, CDU/CSU und FDP mit 54 Prozent, sowie die Jamaika-Koalition, bestehend aus Grünen, CDU/CSU und FDP mit 55 Prozent, würden, auf Basis der Social-Media-Fan- und Follower-Zahlen, eine Mehrheit im Bundestag erreichen.
Im nächsten Bundestag dürfte das noch anders aussehen, vor allem, weil die Sozialen Medien nach wie vor stärker von jüngeren Wählern aktiv genutzt werden. Damit liefert die Social-Media-Verteilung aber zugleich einen Ausblick auf eine mögliche politische Parteienlandschaft nach 2020. Im nächsten Bundestag werden allen Prognosen zufolge CDU/CSU und SPD noch klar die beiden stärksten Parteien sein. Noch.
Karsten Kilian ist Professor für Internationales Management und Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Der 45-Jährige leitet den Masterstudiengang Marken- und Medienmanagement und ist Gründer von Deutschlands größtem Markenportal: markenlexikon.com