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BERLIN
Friedrich Merz will Asylrecht einschränken – oder doch nicht?
Von Simon Kaminski
 |  aktualisiert: 11.12.2019 21:38 Uhr

Im Wettstreit um den CDU-Vorsitz hat der Bewerber Friedrich Merz mit Aussagen zum Grundrecht auf Asyl massive Kritik auf sich gezogen. Doch aus juristischer Sicht begibt er sich damit offensichtlich auf dünnes Eis. Bei der CDU-Regionalkonferenz im thüringischen Seebach hatte Merz Zweifel geäußert, ob das im Grundgesetz festgeschriebene Individualrecht auf Asyl „in dieser Form fortbestehen“ könne. Merz hatte gesagt, dass Deutschland das einzige Land der Welt sei, das ein Individualrecht auf Asyl in der Verfassung stehen habe. Er sei seit langem der Meinung, dass offen darüber geredet werden müsse, ob dieses Asylgrundrecht „in dieser Form fortbestehen“ könne, wenn eine europäische Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik ernsthaft gewollt sei. „Wir müssen irgendwann einmal eine große öffentliche Debatte darüber führen, ob man einen gesetzlichen Vorbehalt ins Grundgesetz schreibt.“

Merz ist bemüht, die Wogen zu glätten

Doch Merz, offensichtlich überrascht von der Wucht der Kritik an seinen Äußerungen, war bemüht, die Wogen zu glätten. „Ich stelle das Grundrecht auf Asyl selbstverständlich nicht in Frage, weil wir Politik aus christlicher Verantwortung und vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte machen“, teilte er mit. Er sei sich natürlich sicher, dass „die Themen Einwanderung, Migration und Asyl nur in einem europäischen Kontext“ zu lösen seien.

Der Experte für Verfassungs- und Völkerrecht, Lukas Mitsch, wertet den Vorstoß von Merz dennoch kritisch: „Der Vorschlag von Merz würde letztendlich nichts ändern, weil das EU-Recht weiterhin Bestand haben würde und dieses eine individuelle Prüfung von Asylanträgen vorsieht.“ Und: „Man darf auch nicht vergessen, dass das Asylgrundrecht bereits 1993 bis zur Unkenntlichkeit eingeschränkt worden ist und heute daher kaum noch praktische Relevanz besitzt.“

Die Kritik aus der Opposition, aber auch aus den eigenen Reihen, kam postwendend: Seine Konkurrenten im Kampf um den CDU-Vorsitz, Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Gesundheitsminister Jens Spahn, grenzten sich ab. „AKK“ warnte auf bild.de davor, leichtfertig am Grundgesetz herumzuschrauben. „Die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl oder eine Einschränkung in einer Art und Weise, dass es de facto dieses Grundrecht so nicht mehr gibt (...) halte ich mit dem Wesenskern der CDU und im übrigen auch mit dem Erbe etwa von Helmut Kohl für nicht vereinbar.“

Was ein Rechtswissenschaftler sagt

Spahn betonte: „Das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte ist vor dem Hintergrund zweier Weltkriege, von großem Leid und Vertreibungen eine große Errungenschaft unseres Grundgesetzes.“ Er sagte aber auch: „Um Akzeptanz für dieses wichtige Grundrecht zu erhalten, müssen wir zuallererst unsere EU-Außengrenze wirksam schützen und unsere Asylverfahren beschleunigen.“

Unter Fachleuten sorgte indessen die These, dass das individuelle Asylrecht in Deutschland singulär sei, für Kopfschütteln. Schließlich steht das Recht auf Asyl unter anderem in Frankreich in der Verfassung. Dem Rechtswissenschaftler Steve Meili von der Universität im US-amerikanischen Minnesota zufolge ist das allein innerhalb der EU in zwölf Staaten der Fall. Mit Individualrecht ist gemeint, „dass jeder, der Asyl beantragt hat, gegen eine ablehnende Entscheidung klagen kann“, sagt der Europarechtler Thomas Groß von der Universität Osnabrück. Auch die Behauptung von Merz, dass „das Individualgrundrecht auf Asyl sich an alle Menschen auf der Welt richte, die nach Deutschland kommen wollen und einen Asylgrund vortragen“, ist zumindest irreführend. Denn Asylanträge kann man nicht irgendwo auf der Welt stellen, man muss es erst einmal nach Deutschland schaffen.

Es gibt sogar ganz explizit Länder, deren Bürger kein Asyl beantragen können. Das sind alle EU-Staaten sowie Norwegen und die Schweiz, weil diese Länder die Genfer Flüchtlingskonvention umsetzen.

Grundrecht auf Asyl

Das verbürgte Grundrecht auf Asyl ist in Artikel 16a des Grundgesetzes verankert. Wörtlich heißt es da: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Gemeint sind Menschen, die wegen ihrer Nationalität, ihrer Rasse, ihrer politischen oder religiösen Überzeugung oder ihrer sexuellen Orientierung mit schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen rechnen müssen, wenn sie in ihr Herkunftsland zurückkehren. Asyl wird dabei nur gewährt, wenn die jeweilige Verfolgung der Person vom Staat ausgeht. Armut, Bürgerkrieg oder Naturkatastrophen sind also keine Gründe. Der Artikel 16a wurde zuletzt 1993 reformiert – und dabei eingeschränkt: Wer aus einem EU-Land oder einem anderen sicheren Drittstaat einreist, kann keinen Schutz nach dem Grundgesetz bekommen; wer aus einem als sicher eingestuften Herkunftsland kommt, muss die grundlegende Vermutung entkräften, dass er dort nicht politisch verfolgt wird. Asyl nach Artikel 16a des Grundgesetzes wird entsprechend selten gewährt: Im ersten Halbjahr 2018 war dies in 1,3 Prozent aller Asylanträge der Fall, im gesamten Jahr 2017 in 0,7 Prozent der Fälle. AZ/dpa
 
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