Über die 250 Meter lange Stadtbrücke kann man von Frankfurt an der Oder innerhalb von wenigen Minuten zum polnischen Nachbarn S³ubice schlendern oder fahren. Die Oder bildet die Grenze zwischen beiden Ländern. Ein paar Meter vor der Brücke sitzt Sabrina Ludwig (36) mit Kaffee und Kuchen in der Sonne. Seit 2009 lebt sie in der 60 000-Einwohner-Stadt Frankfurt. Für ihre Ausbildung bei der Telekom kam sie in die Stadt – und blieb dort. „Ich liebe die Stadt. Sie ist nicht zu groß, nicht zu klein. Man kann shoppen, hat aber auch ruhige Orte.“
Tagsüber geht es in der im 13. Jahrhundert gegründeten Stadt ruhig zu. Vereinzelt sitzen Menschen vor Cafés, schlendern durch die Straßen oder warten an der Bushaltestelle. Ansonsten wirkt die Stadt überraschend leer.
Ein Freund der AfD sei Ludwig nicht. „Ich mag allgemein keine Ungleichheiten oder wenn man Leute über einen Kamm schert. Klar sollte man hier manche Orte abends besser meiden, weil dort aggressive Jugendliche sind, die teilweise auch nicht gerade wertschätzend gegenüber Frauen sind.“ Diese gebe es aber nicht nur unter Ausländern. „Ich glaube, diesmal waren viele dabei, die sonst nicht wählen gehen, sich gar nicht wirklich mit Politik befassen und immer nur das Negative sehen.“
Reinhard Jahn (64) kommt gerade mit seiner Frau, Tochter und Enkelkind von einem Ausflug nach S³ubice zurück nach Frankfurt. Er wohnt schon immer hier und findet, dass sich die Stadt seit Jahren zurückentwickelt: „Es gibt immer weniger Radwege, kaum Spielplätze, keine Trinkbrunnen, so gut wie gar keine öffentlichen Toiletten oder Aschenbecher. Aber wehe, man uriniert dann mal hinter einen Busch oder tritt seine Zigarette auf der Straße aus.“ Den großen Zuspruch der AfD findet er nicht gut, aber verständlich: „Ich denke, die wenigsten Menschen wollen diese Partei an der Macht sehen. Aber man will eben, dass die Politik mal einen Dämpfer bekommt und versteht, dass sie handeln muss.“
Die Stadt hat einen radikalen Schrumpfkurs hinter sich. Hatte sie 1990 noch 86 000 Einwohner leben heute noch 58 000 in Frankfurt. Obwohl Tausende Menschen ihrer Stadt den Rücken kehrten, ist die Arbeitslosenquote erst 2017 zum ersten Mal seit Anfang der 90er-Jahre unter die Marke von zehn Prozent gefallen. Frankfurt/Oder war ein Synonym für Abstieg.
In der Mitte der Brücke angekommen, springt den Passanten die Forderung „Brandenburg zuerst!“ von den AfD-Plakaten entgegen. Die 25-jährige Marta Czaplicke aus S³ubice liest diesen Spruch zwar täglich, bekommt von dieser Einstellung unter den Frankfurtern aber wenig mit: „Die Stadt ist einfach wunderschön und herzlich. Ich mache sehr gerne Ausflüge nach Frankfurt.“ Warum so viele Leute die AfD gewählt haben, versteht sie nicht. „Denn durch den täglichen Austausch zwischen Deutschen und Polen müssten die Leute hier ja etwas internationaler eingestellt sein.“
Auf der polnischen Seite angekommen, reihen sich zunächst einmal vor allem Tabakläden und Friseurgeschäfte aneinander. Dazwischen laufen Noah Elsner und Maja Burkert in Richtung Stadtbrücke. Die beiden 17-Jährigen sind in Frankfurt aufgewachsen, gehen regelmäßig zum Essen oder Einkaufen zu den polnischen Nachbarn. Sie mögen ihre Stadt, sehen aber einige Probleme: „Da es hier recht viele ältere Leute gibt, scheint vieles vor allem auf Rentner ausgelegt zu sein. Die Geschäfte öffnen erst um zehn Uhr, jedes zweite ist ein Deko-Laden. Für junge Leute gibt es echt wenig“, sagt Burkert. Das Durchschnittsalter liegt bei 47 Jahren.
„Junge, ambitionierte Leute aus besseren Verhältnissen ziehen oft zum Studieren weg und kommen nicht wieder zurück“, sagt Elsner. Der Wahlerfolg der AfD erschreckt ihn besonders im Hinblick auf die Wählerschaft: „Ich habe gehört, dass bei den 25- bis 44-Jährigen 30 Prozent die AfD gewählt haben.“ Den Grund dafür versteht er nicht: „Viele Leute sagen, Ausländer verschandeln das Stadtbild. Aber wirklich viele Ausländer sieht man hier nicht einmal.“ Der Ausländeranteil liegt bei knapp zehn Prozent. Elsner ergänzt: „An jeder Ecke sieht man Erwachsene mit einer Bierflasche herumsitzen. Die verschandeln doch viel mehr das Stadtbild.“
Erwachsene mit Bierflasche sieht Jakub Proczka vor allem abends. „Leute aus S³ubice gehen zum Einkaufen rüber nach Frankfurt, die Leute von dort kommen abends auf ein Bierchen rüber. Ich finde es sehr schön, dass hier so viel Austausch ist.“ Der 45-Jährige ist Anfang des Jahres für die Arbeit aus der polnischen Stadt Posen nach S³ubice gezogen. Vorurteile hat er bisher von keiner der beiden Seiten mitbekommen. „Einmal habe ich einen Streit zwischen deutschen und polnischen Wohnungsnachbarn erlebt. Aber ob da jetzt ein alter Nationalitätenkonflikt im Spiel war oder ob es ein normaler Nachbarschaftsstreit war, das weiß ich nicht.“
Warum so viele Leute die AfD gewählt haben, versteht Proczka nicht. „In Polen ist aber mit der PiS-Partei auch eine Politik an der Regierung, die eher autoritär und extrem als demokratisch ist.“