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Berlin
Entlastung für Pflegende und ihre Eltern kommt
Bundestag bringt neues Gesetz auf den Weg.  Aber Verbraucherschützer und DGB fordern mehr.
Künftig sollen Sozialämter  erst das Einkommen von unterhaltspflichtigen Kindern zurückgreifen, wenn das Jahreseinkommen je unterhaltsverpflichteter Person über 100.000 Euro liegt.
Foto: Uwe Anspach, dpa | Künftig sollen Sozialämter  erst das Einkommen von unterhaltspflichtigen Kindern zurückgreifen, wenn das Jahreseinkommen je unterhaltsverpflichteter Person über 100.000 Euro liegt.
Stefan Lange (51) ist neuer Leiter des Hauptstadtbüros unserer Zeitung. Zuvor arbeitete er als Teamleiter Politik im Berliner Büro von Dow Jones Newswires und dem Wall Street Journal. Lange ist seit 2001 in Berlin und hat dort unter anderem bei verschiedenen Nachrichtenagenturen gearbeitet. Davor war der gebürtige Friese zwölf Jahre lang als Volontär und Redakteur bei einer Tageszeitung in Jever beschäftigt.
Stefan Lange
 |  aktualisiert: 03.12.2019 11:38 Uhr

Tausende Angehörige von Pflegebedürftigen in Deutschland können aufatmen: Die Bundesregierung hat das „Gesetz zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe“ auf den Weg gebracht. Hinter dem sperrigen Titel verbirgt sich vor allem eine massive finanzielle Entlastung. Künftig soll auf das Einkommen der Kinder von pflegebedürftigen Eltern erst dann zurückgegriffen werden, wenn sie mehr als 100.000 Euro im Jahr verdienen. Kritikern geht dieser Schritt von Schwarz-Rot allerdings nicht weit genug.

Genaue Zahlen gibt es nicht, aber Schätzungen gehen von mindestens 250.000 Pflegenden aus, für die sich die finanzielle Lage damit entscheidend ändern dürfte. Darüber hinaus müssen sich Eltern, die beispielsweise in ein Pflegeheim müssen, nun keine Gedanken mehr darüber machen, dass sie ihren Kindern über Gebühr auf der Tasche liegen.

„Die Pflege ist eine der großen gesellschaftliche Fragen und sie ist Thema in allen Familien“, betonte die parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Arbeit und Soziales, Kerstin Griese (SPD), in der Parlamentsdebatte. Die Art und Weise, wie ältere Menschen gepflegt würden, entscheide darüber, „wie menschlich unsere Gesellschaft bleibt“. Politik könne den Menschen die Pflege an sich nicht abnehmen, „aber wir können dafür sorgen, dass dazu nicht auch noch große finanzielle Sorgen kommen.“

Zuständig für die Berechnung des Eigenanteils sind grundsätzlich die Sozialämter. Sie sind bisher dazu verpflichtet, ausgelegte Pflegekosten unter bestimmten Bedingungen bei den Angehörigen zurückzuverlangen. Künftig werden sie erst das Einkommen von unterhaltspflichtigen Kindern und Eltern zurückgreifen, wenn das individuelle Jahreseinkommen je unterhaltsverpflichteter Person über 100.000 Euro liegt. Zum Einkommen zählen laut Gesetzentwurf auch Einnahmen aus Vermietung und Wertpapierhandel. Wer geringfügig mehr verdient, sollte darüber nachdenken, die Arbeitszeit zu reduzieren. Denn die Kosten können teilweise erheblich sein.

So verwies der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) am Freitag darauf, dass der Eigenanteil, den Pflegebedürftige in stationären Pflegeeinrichtungen zahlen, bundesweit mittlerweile bei mehr als 1.900 Euro liegt. VZBV-Chef Klaus Müller forderte die Bundesregierung deshalb auf, schnell zu handeln und das Gesetz zügig zu beschließen. Gleichzeitig machte Müller deutlich, dass weitere Schritte zur Entlastung der Angehörigen folgen müssen. Die immer weiter steigenden Pflegeausgaben würden allein den Pflegebedürftigen aufgebürdet, kritisierte er. Es sei deshalb dringend erforderlich, die Leistungen der Pflegeversicherung im Fall von Pflegebedürftigkeit zu erhöhen und an die Realität angepasst werden. „Dabei müssen sie sich an der Inflationsrate und den Personalkosten orientieren“, forderte Müller.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund schlug in die gleiche Kerbe. „Die Pflegeversicherung deckt derzeit nur einen Teil der Kosten bei Pflegebedürftigkeit ab“, erklärte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach und schlug Alarm: Die immer weiter steigenden Zuzahlungen stellen demnach für viele pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen ein erhebliches Armutsrisiko dar.

Buntenbach verwies auf eine am Freitag vorgestellte Studie der Hans-Böckler-Stiftung (HBS), wonach eine „Pflegevollversicherung“ dieses Risiko deutlich senken würde. Die Studie rechnet vor, dass eine volle Absicherung der pflegerischen Leistungen bei nur geringfügig steigenden Beitragssätzen um 0,25 Prozentpunkte bis zum Jahr 2060 durchaus bezahlbar wäre.

Seit Oktober 2018 ist die Eigenbeteiligung im Bundesdurchschnitt der Studie zufolge um mehr als 110 Euro auf nunmehr fast 1.930 Euro im Monat gestiegen. Mehr als 30 Prozent aller im Heim untergebrachten Pflegebedürftigen müssen Hilfen zur Pflege (Sozialhilfe) in Anspruch nehmen. „Dieser Trend wird sich angesichts der Kosten für die dringend benötigten Reformen weiter rasant verschärfen. So kann es nicht weitergehen“, warnte Buntenbach.

Das vom Bundestag auf den Weg gebrachte Gesetz bringt darüber hinaus auch Verbesserungen für Eltern mit behinderten volljährigen Kindern. Wer ein behindertes Kind hat, muss künftig keine Zuzahlung zur Eingliederungshilfe mehr leisten. Dieser Beitrag wird dem Gesetzentwurf zufolge komplett gestrichen.

 
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