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BERLIN/ERFURT
Ein Faschist verhilft zur Macht
Ministerpräsidentenwahl Thüringen       -  Björn Höcke (rechts), Fraktionsvorsitzender der AfD, gratuliert Thomas Kemmerich, dem neuen Thüringer Ministerpräsidenten.
Foto: Martin Schutt, DPA | Björn Höcke (rechts), Fraktionsvorsitzender der AfD, gratuliert Thomas Kemmerich, dem neuen Thüringer Ministerpräsidenten.
Bernhard Junginger
 und  Christian Grimm
 |  aktualisiert: 10.02.2020 02:10 Uhr

Dammbruch. Das ist das Wort der Stunde, wenn es um den neuen Ministerpräsidenten Thüringens geht. Thomas Kemmerich von der FDP löst seinen Vorgänger Bodo Ramelow von der Linken ab. Der Coup von Erfurt gelang mit den Stimmen der AfD. Die Rechtsausleger werden in Thüringen von Björn Höcke geführt, dem Chef des radikalen Flügels der Partei. Laut einem Gerichtsurteil darf er als Faschist bezeichnet werden.

Kemmerichs bitterer Erfolg sendet Schockwellen durch ganz Deutschland. In Thüringen ist das passiert, was wegen der deutschen Geschichte nie wieder passieren sollte. Nicht einmal von der eigenen Partei bekam der 54-Jährige die volle Rückendeckung. FDP-Chef Christian Lindner wälzte die gesamte Verantwortung auf die Landes-FDP ab. Sie war bei den Landtagswahlen im Oktober nur hauchdünn in den Landtag eingezogen, hievte sich mit 73 Wählerstimmen über die Fünf-Prozent-Hürde. Die schwächste Fraktion stellt nun völlig überraschend den Ministerpräsidenten. „Die FDP verhandelt und kooperiert mit der AfD nicht“, versuchte ein sichtlich angefasster Lindner zu erklären, was nicht sein darf. Seine kurze Erklärung schloss er mit dem Verweis auf Neuwahlen.

Schneller Rückzug

Dabei hatten die Liberalen Stunden zuvor das erste Mal seit Beginn der 50er Jahre eine Staatskanzlei erobert. Nach dreieinhalb Minuten zog sich der FDP-Chef zurück, ohne Nachfragen zu beantworten. Für Lindner ist das außergewöhnlich. Genauso hielt es CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak. „Das Beste für Thüringen wären Neuwahlen“, sagte er und verschwand. Außergewöhnlich war nicht nur die fehlende Weitschweifigkeit der Spitzen, sondern auch die kurze Regierungserklärung Kemmerichs. Sie dauerte kaum fünf Minuten und statt eine politische Vision auszubreiten, wurde der schwer um Souveränität ringende Ministerpräsident aus dem Saal als Heuchler beschimpft. „Es geht um Thüringen. Die Arbeit beginnt jetzt“, sagte Kemmerich trotzig und blickte streng auf sein Pult. Die anschließende Aussprache wurde vertagt.

Die Mehrheit dafür kam wieder mit den Stimmen von CDU und AfD zustande. Wohin Kemmerich mit dem Land im Herzen Deutschlands will, scheint er selbst nicht zu wissen. Fakt ist, dass er kein Gesetz ohne Unterstützung von AfD oder Linkspartei durch den Landtag bringen kann. Auf Letztere kann er nicht setzen. Vor seiner Antrittsrede hatte ihm die Landesvorsitzende der Thüringer Linken, Susanne Hennig-Wellsow, nicht etwa gratuliert, sondern den obligatorischen Blumenstrauß vor die Füße geworfen. Auch das ist außergewöhnlich in der deutschen Parlamentsgeschichte.

Kemmerich hat der Partei ihren einzigen Ministerpräsidenten entrissen. Bodo Ramelow hatte in Thüringen seit 2014 amtiert. Die Linke des beliebten Landesvaters war aus den Landtagswahlen im vergangenen Oktober mit 31 Prozent der Stimmen als klarer Sieger hervorgegangen. Die AfD landete bei 23,4 Prozent, die CDU bei 21,7 Prozent.

Neuer Koalitionsvertrag

Doch wegen der Schwäche seiner Koalitionspartner SPD und Grüne reichte es für Ramelow nicht für eine Fortsetzung seines Bündnisses. Weil die Thüringer CDU um Landeschef Mike Mohring auch auf Druck aus Berlin nicht mit den Linken zusammenarbeiten will – und mit der AfD schon gar nicht – schien aber keine andere Regierung möglich. Unverdrossen unterschrieben Ramelows Linke mit SPD und Grünen einen neuen Koalitionsvertrag – obwohl die Truppe im 90 Sitze zählenden Landtag nur auf 42 Sitze kommt. 46 aber wären für eine absolute Mehrheit nötig.

Vor der Wahl des Ministerpräsidenten hieß das: Ramelow braucht vier zusätzliche Stimmen. Doch in beiden Durchgängen erreichte weder er noch der AfD-Kandidat Christoph Kindervater die nötige Mehrheit. Im dritten Wahlgang genügte eine einfache Mehrheit. In diesem Moment warf Kemmerich den Hut in den Ring. Er war sich also bewusst, dass ihn die AfD an die Macht bringen könnte. Als die Stimmzettel ausgezählt waren, war die Sensation perfekt. Ramelow verließ mit hängenden Schultern den Plenarsaal.

 
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