
Die Erwartungen an diese beiden deutschen Politikerinnen sind hoch: Ursula von der Leyen muss als Kommissionspräsidentin den Aufbruch in eine CO2-freie Zukunft organisieren und durchsetzen. Angela Merkel soll für die künftige Finanzierung der Gemeinschaft sorgen. Denn Deutschland übernimmt im zweiten Halbjahr die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union, die alle sechs Monate rotiert.
Beide wissen: Die Zeit der vollmundigen Versprechungen und der hochfliegenden Träume ist vorbei. Jetzt müssen Ergebnisse und Beschlüsse her, damit die EU planen und arbeiten kann. Denn die Wunschliste der 27 Regierungen ist lang:
Der Green Deal wird ohne finanzielle Unterstützung aus Brüssel für viele nicht zu schaffen sein. Außerdem müssen zusätzliche Herausforderungen gestemmt werden: der Ausbau der Grenzschutzagentur Frontex, die künftig mit zehntausend Fachleuten von der Polizei bis zum Verwaltungsexperten dort helfen soll, wo einzelne Mitgliedstaaten überfordert sind. Für das Jugend-Austauschprogramm Erasmus+ steht eine Ausweitung an. In der Forschung will Europa seine Anstrengungen verstärken, die digitale Zukunft braucht Impulse.
Niemand will mehr als bisher in die Gemeinschaftskasse zahlen
All das ist mit dem bisherigen Finanzrahmen nicht zu schaffen, der ohnehin durch den Wegfall der britischen Zahlungen zusammenschmilzt. Aber nicht einmal Deutschland ist bereit, mehr in die Gemeinschaftskasse einzuzahlen. Wie das funktionieren soll, wenn man doch gerne noch weitere Pläne wie ein zusätzliches Euro-Zonen-Budget verwirklichen soll, steht in den Sternen. Zumal bereits in den vergangenen Jahren alle Versuche, über Einsparungen zum Beispiel bei der Landwirtschaft oder den Hilfen für die Infrastruktur zu reden, mit der Androhung von Vetos und Blockaden abgewehrt wurden.
Die EU steht also wieder einmal mit dem Rücken an der Wand, zerrissen zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Jeder hätte gerne mehr, aber keiner ist bereit, mehr zu geben. Ursula von der Leyen und Angela Merkel müssen Kompromisse schmieden, wo derzeit kein Spielraum möglich scheint.
Nicht einmal der Green Deal, von dem die Zukunft des Planeten abhängt, ist unumstritten. Die Kommissionspräsidentin muss die Skeptiker in den eigenen Reihen der Christdemokraten erst noch überzeugen, dass die ökologische Revolution zugleich auch ein Konjunkturprogramm ist – wie übrigens alle Gelder aus den Brüsseler Kassen. Das wird schwer. Die Konservativen fürchten nichts mehr als eine Welle von Demonstrationen der Beschäftigten jener Industriebranchen, die von der CO2-neutralen Zukunft besonders betroffen sind und Jobs abbauen – wie schon jetzt die Automobil-Industrie. Solche Bedenken räumt man nicht mit Appellen und vagen Zusagen aus.
Deshalb werden von der Leyen wie Merkel einmal mehr den Mitgliedstaaten klarmachen müssen, dass Beitragszahlungen kein verlorenes Geld, sondern die Grundlage für höhere Subventionen aus den EU-Töpfen sind. Außerdem braucht man neue Finanzierungsmodelle wie den einstigen Juncker-Fonds, der mit Hilfe öffentlicher Zuschüsse privates Kapital in lange nicht für möglich gehaltenen Dimensionen mobilisiert hat – in der vergangenen Legislaturperiode kamen immerhin knapp 500 Milliarden Euro zusammen.
Europa wird dennoch nicht ohne höhere Beiträge auskommen, sich aber zugleich viel konsequenter über die effiziente Vergabe der Mittel klar werden müssen. Es ist sinnfrei, Finanzen bereitzustellen, die dann aber nicht abgerufen werden können, wie dies in den zurückliegenden Jahren immer wieder der Fall war, weil die begünstigten Regierungen den Eigenanteil nicht aufbringen konnten.
Es muss hinterfragt werden, ob die Gelder nachhaltig eingesetzt werden
Der Ruf nach mehr (oder wenigstens nicht weniger) Geld ist allerdings auch ein Ritual, das die Europäische Kommission durchbrechen sollte. Denn das oft versprochene Abklopfen der Aufgaben auf ihre Effizienz hin wurde immer wieder übergangen. Es macht aber keinen Sinn, nur die Einzahlungen zu erhöhen, um die Zuwendungen nicht senken zu müssen, so lange niemand konsequent hinterfragt, ob die Gelder eigentlich nachhaltig eingesetzt werden.
Im Zusammenhang mit dem Green Deal gab es berechtigte Forderungen aus dem EU-Parlament, vor dem Erlass einer Regelung zu prüfen, ob die in sie gesetzten Erwartungen bezüglich des Klimaschutzes realistisch sind. Kostspielige, aber nicht sicher wirksame Vorhaben mögen das Gewissen beruhigen, aber sie helfen weder dem Klima noch der Wirtschaft. Als von der Leyen ihr Bekenntnis zu einer CO2-neutralen Ökonomie abgelegt hat, wiederholte sie genau genommen, was Merkel schon 2007 – damals ebenfalls als EU-Ratspräsidentin – nutzte, um die Skeptiker unter den Staats- und Regierungschefs zu überzeugen: Eine effiziente und deswegen konsequente Klimaschutzpolitik nutzt der Umwelt und der Wirtschaft.
Wenn es den beiden gelingt, diesen Zusammenhang deutlich zu machen und entsprechende Gesetze zu formulieren, wird die EU am Ende des nächsten Jahres Probleme zwar nicht gelöst, sich aber das Rüstzeug gegeben haben, um die Lösungen anzugehen.