Bescheidenheit zählte von Beginn an nicht zu den herausstechenden Charaktereigenschaften der AfD-Führung. Als die Parteimitbegründerin Frauke Petry nach ihren Zielen gefragt wurde, antwortete sie mit zwei Sätzen, die damals verwegen klangen. „Wir sind die Alternative zur Euro-Politik von Frau Merkel. (...) Wir haben das Potenzial zu einer echten Volkspartei“, sagte Petry – es war Februar 2013, die AfD war gerade aus der Taufe gehoben worden. Es ging um die Eurokrise, die Rettungspakete für Griechenland. „Unser Vorbild ist nicht Jörg Haider, sondern Ludwig Erhard“, sagte Petry. Sie ist inzwischen im politischen Nirwana verschwunden, von Ludwig Erhard keine Rede mehr – und die AfD erlebt bei Wahlen einen Höhenflug nach dem nächsten.
Immer mehr Menschen sympathisieren mit einer zum Populismus neigenden Partei
Die Partei reiht sich ein in ein politisches Spektrum, das weltweit den rechten Populismus als Mittel der Wählerbindung für sich entdeckt hat. Die Plattform „The New Populism“ hat errechnet, dass der Anteil der Wähler in Europa, die mit einer zum Populismus neigenden Partei sympathisieren, vom Jahr 1990 bis zum Jahr 2018 von sieben auf 25 Prozent gestiegen ist.
Donald Trump in den USA, Jair Bolsonaro in Brasilien, Viktor Orban in Ungarn: Sie alle verbindet der Gedanke, dass sich Gesellschaften in Lager teilen lassen. Dort die verkommene Elite, hier der brave Bürger. Dort der kriminelle Zuwanderer, hier der ehrenwerte Einheimische. „Eine populistische Partei oder ein populistischer Anführer neigt dazu, ein Land zu polarisieren, weil das politische Projekt auf dem Gegensatz ,wir gegen sie, Gut gegen Böse, Licht gegen Dunkelheit‘ beruht“, sagt der amerikanische Politikwissenschaftler Thomas Carothers.
Der französische Front National gehört zu den Pionieren
Pioniere dieses Rechtspopulismus seien die Köpfe des französische Front National gewesen, erklärt Cas Mudde: „Der Front National, das waren die ersten, die mit dem Slogan kamen, ,Wir sagen, was ihr denkt.‘“ Der Niederländer ist einer der renommiertesten Forscher zum Thema Rechtsextremismus. Seine Diagnose: „Der Mainstream hat sich nach rechts entwickelt“, sagt Cas Mudde in einem Interview mit dem „Spiegel“.
Doch wie konnte es sein, dass Parteien mit diesem Konzept Erfolg haben? „Unter Rechten ist die Überzeugung verbreitet, die Demokratie sei defekt“, erklärt Mudde. Viele Bürger hätten zudem das Gefühl, in einer Zeit der permanenten Krisen zu leben, derer die etablierten Parteien nicht mehr Herr werden.
„Es begann mit dem 11. September 2001, damals entstand das Feindbild Islam. 2008 brach die Finanzkrise über Europa und die USA herein. Sie zerstörte den Konsens darüber, dass Europa vereint und die Märkte weltweit offen sein sollten. Und dann kam noch die sogenannte Flüchtlingskrise 2015 hinzu. Diese Krisen haben ein tiefes Gefühl von Unsicherheit hinterlassen“, sagt der Politik-Experte. Die Säulen des Demokratieverständnisses sind damit ins Wanken geraten, die Sehnsucht nach einer starken Führungsfigur gewachsen.
Populisten fanden schneller Worte als die etablierte Politik
Und das ausgerechnet 30 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Damals schien es so klar zu sein: Das Demokratiemodell wird sich seinen Weg bahnen. Angela Merkel, die deutsche Bundeskanzlerin, wurde im Jahr 2015 zur Person des Jahres gekürt. Zu einer Zeit, in der ihr Nimbus im eigenen Land längst Schaden genommen hatte. Die Flüchtlingskrise verlangte nach Antworten, die die etablierte Politik nicht geben wollte. Die Populisten fanden die Worte deutlich schneller. Mit einer „Wutpolitik“ bedienten sie den „Wutbürger“, gaben sich als mutige Rebellen, die den müden Zeitgeist aufrütteln wollten. Sie trafen einen Nerv, indem sie sich nicht als Volksvertreter, sondern als Volksversteher inszenierten.
Die vergangene Dekade hat in der Folge auch die anderen Parteien verändert: Die Versuchung, Populismus mit Populismus zu bekämpfen, reicht inzwischen hinein bis in die Volksparteien. „Die Grenzen zwischen Konservativen und Rechtsradikalen verschwimmen“, sagt Cas Mudde. In Österreich wurde eine rechtspopulistische Partei (FPÖ) gar regierungsfähig, genauso in Dänemark (Dänische Volkspartei). Dabei sind beide Länder wirtschaftlich weich gebettet.
Es geht im Grunde um Fragen der Identität
Überhaupt wird Populismus nur zu Teilen von sozialen Ungleichheiten bestärkt: Sowohl die Wähler der AfD als auch die Anhänger des US-Präsidenten Donald Trump zählen nicht zwangsläufig zum Prekariat, sondern finden sich in einer Gesellschaftsschicht, die dem Zeitenlauf gerne einen eigenen Stempel aufdrücken würde. Die Lehre daraus lautet wohl: Selbst wenn Debatten ökonomisch aufgeladen werden (Ausländer nehmen uns die Arbeit weg; die faulen Griechen sollen ihre Schulden selbst bezahlen), geht es in Wahrheit um Fragen der Identität, um Gefühliges – um Moralisierendes.
Nicht umsonst erlebte der Begriff des Postfaktischen in den vergangenen zehn Jahren eine steile Karriere: Um Wahlen zu gewinnen reicht es, die halbe Wahrheit zu sagen. Auch, wenn die am Ende nicht besser ist als eine gut getarnte Lüge. Das gelingt längst nicht mehr nur in Ländern wie den USA, in denen Show ein traditioneller Teil von Politik ist. Auch Deutschland, ein Land, das sich lange Jahre viel auf seinen pragmatischen Umgang mit Politik eingebildet hat, hat mit der AfD eine rechtspopulistische Partei im Bundestag.
Der Trend wird in den Sozialen Medien befeuert
Zwar nicht ausgelöst, aber doch befeuert wird der Trend zum rechten Populismus von den Sozialen Medien, die in den vergangenen zehn Jahren wie ein Tsunami durch die Festplatten dieses Planeten fegten. Längst sind Facebook und Co nicht mehr die Medien der Jugend, sondern die Plattform für jene, die ihre Meinung per Turbo-Booster hinausblasen wollen. Der Hass wird geschürt, als ob es die zugefrorene Hölle zu befeuern gelte, die Grenzen des Schreib- und dadurch auch des Sagbaren verschieben sich.
Schwierig ist diese Entwicklung vor allem für die Mitte der Gesellschaft. Denn während sich die ideologischen Lager links und rechts mit Verve bekämpfen, sehnt sich ein großer Teil der Wählerschaft nach Konsenspolitik. Ein Beispiel: Erst als die CSU zu ihrer Politik der gefühlten Harmonie zurückkehrte, stiegen auch die Umfragewerte der Partei wieder.