zurück
Die SPD nimmt das Land in Haft, um sich zu heilen
Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken       -  Mit Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken deutet sich ein Linksruck bei der SPD an.
Foto: Jörg Carstensen/dpa | Mit Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken deutet sich ein Linksruck bei der SPD an.
Christian Grimm
Christian Grimm
 |  aktualisiert: 05.10.2021 02:31 Uhr

Die SPD hat sich wieder einmal einen Aufbruch verordnet. „In die neue Zeit“ soll er weisen. Dass die zerstrittene Partei tatsächlich die nötige Zeit dafür findet, ist völlig unwahrscheinlich. Denn sie kreist weiter nur um sich. Der Parteitag hat gezeigt, wie tief die Wunden sind, die sich die Genossen in den vergangenen 20 Jahren seit der Einführung von Hartz-IV geschlagen haben. Das unerwartet starke Ergebnis für die neuen Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken deckt die Gräben nur lose zu.

Wer genau hinhörte, für den war die unter den Einheitsparolen verborgene Spaltung offenbar. Denn die SPD-Minister und viele Abgeordnete halten an der Großen Koalition fest. Sie fürchten um den Verlust von Amt und Mandat. Und sie können zu Recht darauf verweisen, dass der Bruch des Bündnisses mit der Union die Sozialdemokraten noch mehr Wähler kosten wird als sie ohnehin schon verloren haben. Im Moment durchgesetzt haben sich Gegner der GroKo, die mit Esken und Walter-Borjans zwei der Ihren an die Spitze befördert haben. Die Scholzianer aber, also die Anhänger von Olaf Scholz, halten beide für Amateure, die der Größe der Aufgabe nicht gewachsen sind.

Die Selbstbespiegelung der Sozialdemokraten geht weiter

Und so blüht der Spaltpilz weiter in den Tiefen der Partei. Die Selbstbespiegelung hält an. Nun wollen die Sozialdemokraten den Koalitionsvertrag nachverhandeln, so haben sie es in Berlin beschlossen.

Die Bundesregierung wird dadurch über Wochen gelähmt sein, vielleicht zerbricht sie danach. Im Herzen ist es das, was das Führungsduo und der Juso-Chef wollen. Dann erst, so sind sie überzeugt, wird sich die SPD aus der Misere erheben. Deshalb sind die Forderungen an die Union haushoch. CDU und CSU können ihnen nicht nachgeben. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer würde ansonsten einen Aufstand im eigenen Laden riskieren.

Die SPD nimmt das Land also in Haft, um sich selbst zu heilen. Vergangenes Jahr ließ sie sich noch in die Pflicht nehmen, um eine Regierungskrise zu verhindern. Jetzt provoziert sie eine solche. Sie würde damit nicht nur Deutschland paralysieren, sondern auch Europa. Fällt Berlin aus, gibt es keinen Fortschritt in der EU in den großen Fragen.

Der bevorstehende Zoff wird allen Koalitionsparteien schaden

Die Bundesrepublik wird im zweiten Halbjahr nächsten Jahres die Ratspräsidentschaft übernehmen. Für den Staatenbund sollen in diesem Zeitfenster wichtige Weichenstellungen vorgenommen werden. Mit Ursula von der Leyen sitzt eine langjährige Ministerin auf dem Chefsessel der EU-Kommission. Es böte sich eine einmalige Chance bei Fragen wie der europäischen Verteidigung und der Migration voranzukommen. Viel mehr als deutsche Führung fürchten die kleinen EU-Partner den Stillstand im mächtigsten Mitgliedsland. Genau den riskiert die SPD. Dabei will sie eine Europartei sein.

Der bevorstehende Zoff mit CDU und CSU wird allen drei Parteien schaden. Wenn es eine politische Lektion gibt der vergangenen Jahre, dann die, dass die Wähler keine sich zankenden Parteien mögen. Der Preis ist also hoch, den die Genossen für den Zeitgewinn von einem Jahr bezahlen würden. Mehr würden sie kaum gewinnen, denn nicht einmal Kevin Kühnert will die SPD über Nacht aus der Koalition abziehen. Zuvor müssen noch Gründe aufgebaut werden, die in langen Vermittlungsrunden intensiv diskutiert werden. Im Sommer 2020 könnte dann Schluss sein. Im Herbst 2021 würde regulär gewählt. Als Koalitionsbrecher in den Wahlkampf zu gehen, wäre eine schwere Bürde für die Partei. Für Deutschland und Europa wäre die Bürde allerdings noch schwerer.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Christian Grimm
Annegret Kramp-Karrenbauer
CDU
CSU
Europäische Kommission
Europäische Union
Große Koalition
Hartz-IV
Juso-Chefs
Kevin Kühnert
Koalitionsparteien
Minister
Norbert Walter-Borjans
Olaf Scholz
Parteitage
Regierungseinrichtungen der Bundesrepublik Deutschland
Regierungskrisen
SPD
Saskia Esken
Sozialdemokraten
Ursula von der Leyen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen