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MÜNCHEN
Die Richter glaubten Beate Zschäpe kein Wort
Roland Englisch
 |  aktualisiert: 02.04.2019 10:52 Uhr

Als Manfred Götzl zu seinem Urteilsspruch ansetzt, vibriert seine Stimme leicht. Selbst Götzl, der mehr als fünf Jahre lang im Fokus der Öffentlichkeit gestanden, der gegen Beate Zschäpe und ihre vier Mitangeklagten verhandelt hat, souverän und kühl, selbst er spürt die Macht des Augenblicks, ist in diesem Moment nervös. An der Schärfe seines Urteils freilich ändert das nichts. Es dauert eine gute Minute, bis er alle Taten aufgeführt hat, für die er Beate Zschäpe schuldig spricht. Zehnfacher Mord, besonders schwerer Raub, Mitglied einer terroristischen Vereinigung, schwere Brandstiftung, Mordversuch, alles mehrfach, alles in Tatmehrheit – der Staatsschutzsenat am Münchener Oberlandesgericht klammert nicht einen Vorwurf aus der Anklage aus. Gut 50 sind es am Ende – es ist eine volle Breitseite. Mehr geht nicht. Beate Zschäpe wirkt gefasst, vielleicht sogar darauf vorbereitet. Sie steht den Schuldspruch samt Strafmaß unbewegt durch, sitzt danach an ihrem Platz, die Finger ineinander verschränkt. Auch ihre fünf Anwälte reagieren kaum, zucken nicht, schütteln nicht den Kopf. Sie wissen, dass Götzl bekannt ist für seine harten Urteile.

Beate Zschäpe ist ganz in schwarz gekleidet – womöglich ein letztes öffentliches Statement vor der endlosen Haft. Lebenslang mit besonderer Schwere der Schuld hält das Gericht für tatangemessen. Nach frühestens 25 Jahren kann Zschäpe um Begnadigung, um eine vorzeitige Haftentlassung bitten. Weil die U-Haft angerechnet wird, wäre die heute 43-Jährige dann 62 Jahre alt. Hinter Zschäpe sitzen ihre Mitangeklagten.

Die Urteile, sagt Alexander Seifert, seien angemessen. Seifert und seine Kanzlei vertreten Kerem Yasar, Sohn des NSU-Opfers Ismail Yasar. Kerem Yasar ist extra nach München gefahren; er wollte dabei sein, in die Gesichter der Angeklagten sehen in dem Moment, in dem das Gericht endlich auch jene Tat sühnt, die ihm am 9. Juni 2005 den Vater genommen hat. Am Ende fehlen ihm die Worte für den Schmerz, den er spürt und die Wut über die Urteile, die er als zu milde empfindet und seinen Zorn über die Neonazis oben im Publikum. Die Mitangeklagten André E. und Ralf Wohlleben haben sich nie von der Szene distanziert, im Gegenteil. E. hat seinen Anwalt erklären lassen, er sei „Nationalsozialist mit Haut und Haaren“; Wohlleben hat sich drei Szene-Anwälte geholt, die ihr Plädoyer mit Zitaten von Adolf Hitler bis Joseph Goebbels gespickt hatten. Als das Gericht sein Urteil verkündet, steht ein gutes Dutzend Rechtsextremer auf der Zuschauertribüne und klatscht, weil E. mit zwei Jahren und sechs Monaten überraschend gut wegkommt.

Auch Wohlleben halten die Rechtsextremen die Treue. In ihren Kreisen gilt der Ex-NPD-Funktionär als Märtyrer und Held. Die oben auf der Tribüne und die unten im Saal kennen sich. Sie winken sich zu, lächeln, lachen, ganz so, als ob es nicht um eine der grausamsten Mordserien in der Bundesrepublik ginge.

Manfred Götzl hat da längst seine alte Stimmlage wiedergefunden. Das Vibrato ist seinem mittelfränkischen Dialekt gewichen und seinem stets etwas monotonen Vortrag. Seite um Seite liest er die Urteilsbegründung ab, arbeitet er sich durch die Chronologie des NSU, von seinen Anfängen in den 90er Jahren in den Jenaer Plattenbauten Winzerla, als sich Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe kennen und lieben gelernt hatten. Bis zum Ende des NSU 2011 in Eisenach mit dem Selbstmord der Männer.

Es ist auch die Geschichte dreier junger Menschen in der Nachwendezeit in einem Umfeld, das sich zunehmend radikalisiert hat, denen die Sozialarbeiter, die Behörden, die Polizei hilflos entgegen getreten war. Götzl allerdings vertieft das nicht; die Umstände sind für sein Urteil nicht erheblich. Für ihn ist entscheidend, dass die drei sich gekannt, dass sie eine Einheit gebildet haben. Er zeichnet nur oberflächlich nach, wie sich ihre rechtsextreme Haltung festigte, wie sie sich zunächst erfolglos am Bombenbau versuchten, wie sie mit ersten, kleineren Aktionen auf sich aufmerksam gemacht hatten.

Götzl hakt die Fälle ab. Er zählt jeden Verletzten auf, vor allem aber jeden Ermordeten, holt sie noch einmal aus der Anonymität der Akten. Beschreibt, wie sie starben. Er fügt stets hinzu, dass Böhnhardt und Mundlos ihre Opfer erschossen haben „in bewusstem und gewollten Zusammenwirken mit Frau Zschäpe“. Er sagt, die drei hätten früh ihre Terrorpläne entwickelt. Ihnen sei wichtig gewesen, dass sie anonym bleiben, damit sie weiter morden können. Dass sie zudem nicht jedes einzelne Verbrechen als rechtsextremen Mord erkennbar machten, sondern erst am Ende als eine Serie. Das, sei ihr Kalkül gewesen, werde „deutlich destabilisierender“ wirken auf ihr Ziel, auf Menschen mit ausländischen Wurzeln.

Terror also, durchtrieben und heimtückisch, weil die Opfer zwangsläufig arglos gewesen waren, den Zusammenhang nicht erkannten und nicht die Gefahr für sich. Götzl und seine vier Kollegen sind sicher, dass die drei genau wussten, was sie taten. Sie glauben Zschäpe kein Wort, die erklärt hatte, sie habe stets erst hinterher von den Taten erfahren und sie immer verurteilt. Dass sie aber abhängig gewesen sei von Böhnhardt und Mundlos.

Es ist ein faktischer Vortrag, einer, wie er einem Gericht angemessen ist. Den Schmerz der Angehörigen erfasst er nicht einmal ansatzweise. Ismail Yosgat, Vater des jüngsten türkischen NSU-Opfers Halit, sitzt im Saal, hört die Worte des Richters. Dann reißt es ihn hoch. „Es gibt keinen Gott außer Gott!“, ruft er unter Tränen immer wieder in Richtung der Angeklagten. Die wirken überrascht, aber nicht betroffen. Götzl unterbricht ihn, sagt, er solle schweigen. „Ich möchte keine weitere Störung haben. Sonst muss ich Maßnahmen gegen Sie ergreifen, was ich nicht möchte.“

Und jetzt? Jetzt hat das Gericht gut 90 Wochen Zeit, bis es sein Urteil auch ausführlich und schriftlich begründet haben muss. Doch es wird schneller gehen. Im Juni kommenden Jahres geht Manfred Götzl mit dann 65 in den Ruhestand. Dass er, der das Verfahren praktisch im Alleingang geführt hat, einen anderen das Urteil unterschreiben ließe, erwartet niemand.

 
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