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ANKARA
Anschlag in der Türkei: Der Terror ist zurück in Istanbul
Explosion in Istanbul - Tote und Verletzte       -  Polizistinnen und Polizisten riegeln den Bereich um die beliebte Fußgängerzone Istiklal in der Istanbuler Innenstadt ab. Dort gab es eine Explosion mit Toten und Dutzenden Verletzten.
Foto: Francisco Seco/AP/dpa | Polizistinnen und Polizisten riegeln den Bereich um die beliebte Fußgängerzone Istiklal in der Istanbuler Innenstadt ab. Dort gab es eine Explosion mit Toten und Dutzenden Verletzten.
Susanne Güsten       -  Susanne Güsten war Korrespondentin in der Türkei.
Susanne Güsten
 |  aktualisiert: 14.11.2022 20:18 Uhr

Der Alptraum ist wieder da. Sirenengeheul und das Knattern der Polizei-Hubschrauber erfüllen die Luft über dem Taksim-Platz im Herzen von Istanbul, mit rotierenden Blaulichtern warten reihenweise Rettungswagen am Eingang zur Flaniermeile auf dem Istiklal-Boulevard, auf der eine Stunde zuvor noch Tausende fröhlich bummelten. „Geht weg, geht auseinander, geht fort von hier“, schreit ein Uniformierter in die Menge, die hinter den Absperrungen auf Nachricht von Vermissten wartet. „Je mehr Menschen beieinanderstehen, desto gefährlicher für alle – die niederträchtigen Täter könnten noch einmal zuschlagen.“

Weinende, schreiende und verstörte Menschen werden von Zivilpolizisten aus der Fußgängerzone herausgeführt. „Sie ist in Stücke gerissen worden“, ruft eine junge Frau. Fünf Jahre lang ist Istanbul verschont geblieben von Anschlägen, doch nun ist der Terror wieder da.

Vor der Explosion wurde eine Tasche auf einer Bank abgestellt

Zehntausende Menschen schieben sich an sonnigen Nachmittagen wie diesem den Istiklal-Boulevard entlang, wo die Geschäfte, Cafés und Restaurants auch sonntags geöffnet sind. Schulter an Schulter drängen sich Einheimische und Touristen in der Fußgängerzone, um Straßenmusikanten und Eisverkäufer bilden sich dichte Trauben von Passanten, und wenn die altmodische Bimmelbahn vorbeifährt, müssen alle noch etwas enger zusammenrücken.

Um 16.20 Uhr Ortszeit (14.20 Uhr MEZ) geht mitten in dieser Menge eine Bombe hoch. In Medienberichten ist von einer schwarz gekleideten Person in einer Kapuzenjacke die Rede, die vor der Explosion eine Tasche auf einer der Bänke abgestellt habe, auf denen sich Passanten auf dem Istiklal-Boulevard ausruhen können. Bilder von Überwachungskameras im Internet zeigen, wie Menschen an der Bank vorbeiströmen, auch die Tasche ist zu sehen. Dann folgt die Explosion. Ein Handy-Video auf Twitter, das einige Hundert Meter vom Explosionsort entfernt aufgenommen wird, zeichnet einen rot-orangenen Feuerball auf, der aus der Menschenmenge hochschießt. Passanten auf der Istiklal laufen schreiend davon. Auf dem Pflaster liegen Tote und Verletzte.

Präsident Recep Tayyip Erdogan spricht von einem „hinterhältigen Anschlag“. Einem Bombenanschlag, an dem nach ersten Erkenntnissen eine Frau beteiligt gewesen sei. Drei spanische Touristinnen, die den Anschlag miterlebten, halten sich aneinander fest und schluchzen, während sie von der Polizei aus der Fußgängerzone begleitet werden. Eine türkische Frau fragt an der Polizeiabsperrung verzweifelt, wo sie etwas über einen vermissten Bekannten erfahren kann.

Erst in letzter Zeit war der Istiklal-Boulevard wieder aufgelebt. Schon lange vor der Pandemie war es hier still geworden – seit dem blutigen Terrorjahr von 2016, das die 16-Millionen-Stadt in Blut und Tränen badete. Zwölf deutsche Touristen starben damals schon im Januar bei einem Selbstmordanschlag vor der Blauen Moschee; ein weiterer Anschlag mit mehreren Toten und vielen Verletzten folgte im März auf dem Istiklal-Boulevard – nur ein paar Meter vom jetzigen Tatort entfernt.

Im Juni desselben Jahres starben zwölf Menschen bei einem Anschlag auf einen Polizeibus, und kurz darauf wurden fast 50 Menschen bei einem Terrorangriff auf den Flughafen getötet; Hunderte wurden verletzt. Ein Anschlag vor dem Fußballstadion von Besiktas kostete im Dezember 2016 fast 50 Menschen das Leben, und in der letzten Nacht des Jahres erschoss ein Terrorist in einem Nachtclub am Bosporus fast 40 Menschen, die dort ins neue Jahr feierten.

Die türkische Rundfunkaufsicht erlässt eine Nachrichtensperre

Die Stadt versank damals in Angst und Schrecken. Jede Fahrt mit der U-Bahn erschien lebensgefährlich, Bars und Restaurants leerten sich, die Touristen blieben aus, und die Einheimischen mieden überfüllte Einkaufsstraßen wie den Istiklal-Boulevard.

Damals gingen einige Anschläge auf das Konto des Islamischen Staates (IS), zu anderen bekannte sich die kurdische Splittergruppe TAK. Seitdem hat Erdogans Regierung die Terrorgefahr nach eigenen Angaben mit militärischen, geheimdienstlichen und juristischen Mitteln eingedämmt. Kritiker hatten dem Präsidenten in der Vergangenheit vorgeworfen, die Gewalt aus wahltaktischen Gründen zeitweise geduldet zu haben. Eine ähnliche Debatte will die Regierung diesmal wohl vermeiden: Die türkische Rundfunkaufsicht erließ eine Nachrichtensperre, während die Staatsanwaltschaft erste Ermittlungen wegen „schädlicher“ Kommentare in den Sozialen Medien einleitete.

 
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