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Der dritte Papst
Vatikan: Georg Gänswein diente gleichzeitig Benedikt XVI. und Papst Franziskus, spielte aber auch sein eigenes Spiel. Zum Schluss rieb sich der Erzbischof zwischen den Fronten auf.
Erzbischof Georg Gänswein       -  _
Foto: Alessandra Tarantino (AP)
Julius Müller-Meiningen
 |  aktualisiert: 23.02.2020 02:10 Uhr

Es war ein Montag, als Georg Gänswein zuletzt bei einem offiziellen Termin im Vatikan gesehen wurde. Eine Delegation des Simon-Wiesenthal-Zentrums war am Vormittag des 20. Januar bei Papst Franziskus zur Audienz. Die Vertreter der Menschenrechtsorganisation begegneten dem Papst im Konsistorien-Saal des Vatikans. Im selben Raum hatte Benedikt XVI. im Februar 2013 den versammelten Kardinälen auf Latein seinen Rücktritt angekündigt. Wenn man so will, dann beginnt und endet die Geschichte des Mannes, der zwei Päpsten diente, in ein und demselben Raum.

Die schweren Vorhänge in der dritten Loggia des Apostolischen Palastes lassen nicht besonders viel Licht in den Saal. Aber der Hof-Fotograf des Papstes hat den vorerst letzten Auftritt des Präfekten des Päpstlichen Hauses und Erzbischofs aus dem Schwarzwald auf zahlreichen Bildern festgehalten. Man kann sie im vatikanischen Photoarchiv studieren. Während die Gäste Franziskus die Hände schütteln, steht Gänswein in schwarzer Soutane lächelnd im Abseits. Geschäftsmäßig, professionell, undurchschaubar wie immer. Neben ihm Kardinal Kurt Koch, der Ökumene-Minister. Ob der Erzbischof da bereits wusste, dass es vorbei ist mit den Auftritten im Rampenlicht?

Der heimliche Herrscher im Apostolischen Palast

Zwei Tage später, bei der Generalaudienz in der Aula Paul VI. im Westflügel des Vatikans ist keine Spur mehr von ihm. Der Italiener Leonardo Sapienza, Gänsweins Stellvertreter als Präfekt des Päpstlichen Hauses, hat seine Rolle übernommen. Sapienza wird von nun an die Dienste des Protokollchefs für Franziskus ausfüllen. Der Präfekt ist für die offiziellen Amtstermine des Papstes zuständig, für Staatsbesuche und Audienzen. Gänswein war der heimliche Herrscher im Apostolischen Palast, hier diente er Benedikt XVI. seit dessen Wahl zum Papst im Frühjahr 2005. Seit 2013 organisierte er den offiziellen Terminplan von Franziskus. Gänswein war die personifizierte Kontinuität im Vatikan. Der 63-Jährige pendelte zwischen den Päpsten, kannte jeden Winkel, jeden Mitarbeiter, jeden Geheimgang im Palazzo. Wenn man hier unterwegs war, konnte es sein, dass plötzlich ein grauhaariger Prälat mit dem iPhone in der Hand in größter Eile und Diskretion aus einer der Tapetenwände trat, um die nächste Mission im Dienste Seiner Heiligkeit zu erfüllen: Georg Gänswein.

An ihm führte kein Weg vorbei, wenn man auf Tuchfühlung mit dem Oberhaupt von 1,3 Milliarden Katholiken gehen wollte. Als zwei Tage später Mike Pence, der Vizepräsident der Vereinigten Staaten im Vatikan vorstellig wurde, hatten Vatikan-Kenner keinen Zweifel mehr. Gänswein, der seit seiner Ernennung zum Präfekten im Dezember 2012 mit strahlendem Lächeln jeden Staatsgast im Damasus-Hof des Vatikans beim Aussteigen aus der Limousine im Namen des Papstes begrüßte, war endgültig von der Bildfläche verschwunden. Sapienza hieß Pence willkommen. Erzbischof Gänswein? „Desaparecido“, verschwunden, raunten die Südamerikaner um Papst Franziskus, die seit sieben Jahren im Vatikan das Sagen haben.

Zehn Tage später wird durch einen Zeitungsbericht bestätigt, was die Spatzen in Rom bereits von den Dächern pfiffen. Papst Franziskus hat die Geduld mit Gänswein verloren und ihn auf unbestimmte Zeit als Präfekt beurlaubt. Der Tropfen oder besser gesagt die Flutwelle, die das Fass zum Überlaufen brachte, war die Veröffentlichung des Buches „Aus der Tiefe unserer Herzen“, ein flammendes Plädoyer zur Beibehaltung des Priesterzölibats. Der Titel erschien zunächst auf Französisch, das änderte aber nichts an der Wucht der Publikation. Verfasst hatten sie der ultrakonservative Präfekt der Gottesdienstkongregation, Robert Kardinal Sarah und Benedikt XVI. Ja, Joseph Ratzinger hatte sich trotz seines Gelöbnisses, nach dem Rücktritt 2013 „für die Welt verborgen“ zu leben, zu der derzeit heikelsten Frage des Katholizismus geäußert. In einer Phase, in der vom Amtsinhaber Franziskus nach der Amazonien-Synode im Oktober ein Machtwort zu derselben Thematik erwartet wurde. Von einem Versuch der Einflussnahme zu sprechen, ist da noch milde formuliert.

Der Ärger des amtierenden Papstes richtete sich nicht auf den 92-jährigen Benedikt, der kaum noch laufen und sprechen, aber immer noch fließend formulieren kann. Nein, Franziskus machte dessen Alter Ego für den Fauxpas verantwortlich. Gänswein, Privatsekretär Benedikts XVI., ist der Ansprechpartner für alle diejenigen, die noch mit dem Papa emeritus zu tun haben wollen. Mit ihm und vier Haushälterinnen lebt Gänswein seit dem traumatischen Auszug aus dem Apostolischen Palast im Vatikan-Kloster Mater Ecclesiae hinter dem Petersdom. Die beiden Männer feiern morgens die Frühmesse zusammen, besprechen die wichtigsten Dinge. Dann lief der Erzbischof hinüber in sein vornehmes Büro im Apostolischen Palast mit Blick auf die Kolonnaden des Petersplatzes und machte die Agenda für Franziskus. Nach dem Mittagessen beten Gänswein und Benedikt XVI. in den Vatikangärten den Rosenkranz, abends kehrte der Erzbischof in sein Büro zurück und blieb dort bis spät nachts. 2017 erlitt Gänswein einen Hörsturz. Es gibt Menschen im Vatikan, die sagen, er habe zu vielen Herren gehorchen wollen.

Zeitschriften schwärmten vom „schönen Giorgio“

In einem offiziellen Vatikan-Statement von Anfang Februar heißt es, die Abwesenheit Gänsweins sei „einer gewöhnlichen Umverteilung der verschiedenen Aufgaben und Funktionen des Präfekten des Päpstlichen Hauses geschuldet“. Der Erzbischof werde sich künftig mehr um den emeritierten Papst kümmern. Von einer Beurlaubung oder gar Entlassung ist offiziell nicht die Rede, doch die Reibungen waren zu viel geworden. In Santa Marta, dem Gästehaus, in dem Franziskus wohnt und privaten Besuch empfängt, sprach man schon länger von Gänswein als einer Art „dritten Papst“. Sekretär des Alt-Papstes, Organisator der Audienzen des Amtsinhabers, ein Diener zweier Herren, der zuletzt ein gefährliches Solo spielte.

Wie hoch wollte der vor 63 Jahren in Riedern am Wald im Südschwarzwald zur Welt gekommene Prälat hinaus? Gänswein, seit 1995 im Vatikan tätig, war freundlich im Umgang, aber ehrgeizig und knallhart in der Substanz. Während die Klatschzeitschriften früher vom „schönen Giorgio“ schwärmten, war die interne Fama des Ratzinger-Vertrauten eine ganz andere. „Mister No“ wurde der Privatsekretär auf den Vatikan-Korridoren abschätzig genannt, weil er oft akribisch, manchmal fast manisch den früheren Papst vor Anfragen, Überflüssigem, Belästigungen bewahren wollte. Ein päpstlicher Privatsekretär agiert als Filter, der für seinen Chef die Spreu vom Weizen trennt. Doch wer kontrolliert den Kontrolleur? Gänswein hatte viel Macht angehäuft. Schon bald umgaben ihn im Vatikan mehr Neider als Bewunderer.

Es begann mit seiner Berufung zum persönlichen Sekretär des damaligen Chefs der Glaubenskongregation Joseph Ratzinger 2003. Seither wurde der gnadenlos disziplinierte Gänswein mit viel Skepsis im Vatikan beäugt, er war einer der wenigen mit ganz viel Einfluss. Die eigentliche Zielscheibe des späteren Vatileaks-Skandals war nicht etwa Benedikt XVI., sondern sein Privatsekretär. Von Gänsweins Schreibtisch klaute der Kammerdiener Paolo Gabriele die Dokumente und gab sie an die Öffentlichkeit. Eine Seilschaft selbst ernannter Ratzinger-Freunde hatte den Privatsekretär im Visier.

Dies alles hilft, um das jähe, vorläufige Ende der Laufbahn des Karriere-Prälaten und die jüngste Affäre zu verstehen. Dabei arbeitete Gänswein durchaus mit an der nun eingetretenen Zäsur. Er war es schließlich, der die fragwürdige Zweisamkeit von Amtsinhaber und Emeritus, den Petrusdienst mit einem „aktiven und einem kontemplativen Teilhaber“ postulierte. Gänswein verhinderte auch nicht, dass Benedikt XVI. im vergangenen Jahr auf dem Gipfel der Missbrauchsdebatte einen umstrittenen Aufsatz veröffentlichte, in dem er die Lockerung der Sexualmoral nach 1968 für die Missbrauchsfälle im Klerus verantwortlich machte.

Es gibt Stimmen, die behaupten, es steckte System hinter den zahlreichen Querschlägern Benedikts, ein System namens Gänswein. Es ist kein Geheimnis, dass dieser mit allerlei Franziskus-Opponenten vernetzt und regelmäßig bei entsprechenden Veranstaltungen als Hauptgast eingeladen war, bei denen Franziskus alles andere als gut wegkommt. Und so, wie sich Gänswein als Diener zweier sehr unterschiedlicher Herren mäandernd aufrieb, so ging sein Doppeldienst auch zu Ende. Am Vorabend der Veröffentlichung von „Aus der Tiefe unserer Herzen“ am 15. Januar, versuchte er offenbar die Reißleine zu ziehen. Benedikt XVI. habe nie ein Buch „zu vier Händen“ autorisiert, bei der Veröffentlichung unter seinem Namen handelte es sich um ein „Missverständnis“, diktierte der Privatsekretär den Presse-Agenturen. Es war der untaugliche Versuch, den Affront gegenüber Franziskus abzuschwächen.

Gänswein als Zielscheibe des Vatileaks-Skandals

Am Tag darauf, Gänswein begleitete Franziskus an diesem Tag ein letztes Mal zur Generalaudienz, telefonierten die beiden Buchautoren. Benedikt XVI. und Kardinal Sarah versicherten sich offenbar tränenreich ihrer gegenseitigen Solidarität und setzten gemeinsam eine nie veröffentlichte Erklärung auf. So rekonstruierte der ausgezeichnete Vatikan-Kenner Sandro Magister die entscheidenden Stunden. Es gab kein Missverständnis, man war sich einig bis ins Detail. Hier der immer noch viel beachtete Ex-Papst und Verteidiger des Zölibats, dort der Amtsinhaber, dem bei der Thematik die Hände gebunden waren.

Gänswein stand zwischen allen Fronten: Benedikt XVI. war von seiner Darstellung abgerückt, Kardinal Sarah erbost und Franziskus angesichts der offenbar unwahren Erklärungen des Sekretärs zusätzlich vor den Kopf gestoßen. Am Ende war der Mann, der die gerissenen Fäden zwischen den Päpsten in den Händen hielt, alleine und isoliert. Dem konservativen Bewahrer Benedikt XVI. und dem zaghaften Reformer Papst Franziskus gleichzeitig zu dienen, ist von extremer Schwierigkeit. Sich selbst dabei auch noch treu zu bleiben, ein Ding der Unmöglichkeit.

Georg Gänswein

In Freiburg und Rom studierte Gänswein Theologie. 1984 wurde er zum Priester geweiht. Der damalige Freiburger Erzbischof Oskar Saier schickte ihn für eine Doktorarbeit nach München, die er 1993 mit der Bestnote abschloss.

In Freiburg arbeitete Gänswein als persönlicher Referent des Erzbischofs, bevor er an die Gottesdienst-Kongregation im Vatikan wechselte. 1996 kam er in die Glaubenskongregation und wurde 2003 Privatsekretär von deren Leiter Joseph Ratzinger. Dieser bestätigte ihn auch nach seiner Papstwahl 2005 als engsten Mitarbeiter.

Als Präfekt des Päpstlichen Hauses begleitete der 63-Jährige den Papst bei den wöchentlichen Generalaudienzen. Zudem koordinierte er die Privataudienzen. Mit dieser Aufgabe hatte Papst Benedikt XVI. seinen langjährigen Vertrauten im Dezember 2012 betraut. Franziskus bestätigte Gänswein in diesem Amt. (kna)

 
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