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Augsburg
Der Bundestag ist zu groß
Kein Parlament der Welt braucht 709 Abgeordnete – das wissen auch die Abgeordneten selbst. Trotzdem kommt die Reform des Wahlrechts nicht voran
Derzeit sitzen über 700 Abgeordnete im Parlament.
Foto: Kay Nietfeld, dpa | Derzeit sitzen über 700 Abgeordnete im Parlament.
Rudi Wais
Rudi Wais
 |  aktualisiert: 29.01.2020 02:10 Uhr

Der Politiker, der sich selbst abschafft, muss erst noch gewählt werden. 709 Abgeordnete sitzen in dieser Legislatur im Bundestag - so viele wie noch nie. Über alle Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg sind sich diese 709 Abgeordneten sogar darin einig, dass kein Land der Welt ein derart aufgeblähtes Parlament benötigt. In dem Moment jedoch, in dem es an das eigene Mandat geht, sind die Beharrungskräfte stärker als die Kraft der Vernunft. So tückisch die schon mehrfach versprochene Reform des Wahlrechts mit seinem komplizierten System aus Überhang- und Ausgleichsmandaten in der Sache sein mag: Der größte Widerstand gegen eine Verkleinerung des Bundestages kommt bislang aus dem Bundestag selbst.

Jeder ist sich selbst der Nächste. Die CSU will auf keinen Fall die Wahlkreise vergrößern, weil sie in Bayern alle Wahlkreise direkt gewonnen hat und jeder Wahlkreis weniger auch einen CSU-Sitz im Bundestag kosten könnte. Liberale, Grüne und Linke wiederum würden die Zahl der Wahlkreise und damit die Zahl der direkt gewählten Abgeordneten gerne von 299 auf 250 reduzieren - sie haben allerdings auch leicht reden, weil sie selbst, wenn überhaupt, kaum Parlamentarier mit einem Direktmandat haben und damit auch keine Mandate verlieren können.

Die Lösung liegt vermutlich irgendwo dazwischen

Die Lösung liegt vermutlich, wie so oft, irgendwo dazwischen - wenn diese Lösung aber nicht bald Gesetz wird, kann der nächste Bundestag sogar auf mehr als 800 Abgeordnete anwachsen. Ab Juni dürfen in den Wahlkreisen die Kandidaten für die Wahl im Herbst 2021 nominiert werden, bis dahin muss also klar sein, ob es bei den alten Wahlkreisen bleibt oder ob Deutschland völlig neu aufgeteilt wird - in etwas weniger und dafür entsprechend größere Wahlkreise.

Es ist eine Operation, die großes Fingerspitzengefühl erfordert. Im Prinzip hat sich die gegenwärtige Praxis ja bewährt: Eine Hälfte der Abgeordneten wird direkt gewählt, die andere zieht über die Parteilisten in den Bundestag ein - alles zusammen 598 Abgeordnete. Vor allem die direkt gewählten Parlamentarier sind häufig die ersten Ansprechpartner vor Ort, sie wissen, wo die Menschen in ihrer Region der Schuh drückt. Jedes Direktmandat weniger bedeutet damit auch einen Verlust an Bürgernähe.

Der gegenwärtige Zustand kann nicht von Dauer sein

Andererseits jedoch kann der gegenwärtige Zustand auch kein Dauerzustand sein, in dem mehr als 100 Überhang- und Ausgleichsmandate das Wahlergebnis in einer erodierenden Parteienlandschaft zwar bis auf das letzte Zehntelprozent genau abbilden, das Parlament dabei aber gleichzeitig immer teurer und ineffizienter machen.

Diskutiert wird über eine Änderung des Wahlrechts bereits seit einigen Jahren, passiert ist bislang nichts. Gerade jetzt jedoch, in einer Zeit zunehmender Politikverdrossenheit, stünde dem Bundestag eine kritische Überprüfung seiner selbst gut zu Gesicht. 111 Abgeordnete mehr als nötig - das bedeutet auch Hunderte von Mitarbeitern mehr, Hunderte von zusätzlichen Büros, mehr Dienstreisen, mehr Spesen, Diäten, Pensionen, kurz: Millionen an Steuergeld. Für die Verkleinerung könnte der Vorschlag von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, die Zahl der Wahlkreise auf 270 zu senken, eine Kompromisslinie sein - ergänzt womöglich um eine Begrenzung der so genannten Ausgleichsmandate. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2012 lässt dem Gesetzgeber hier jedenfalls einen gewissen Spielraum. Das alles noch rechtzeitig zur nächsten Wahl zu regeln, ist schwierig, aber nicht unmöglich. Und selbst wenn dadurch eine Reihe von Abgeordneten ihre Mandate verlieren wird: der Bundestag selbst kann nur gewinnen.

 
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