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Berlin
Das soll alles ins Klimapaket
Am Freitag versucht die Bundesregierung, das Klima zu retten. Ob der große Wurf gelingt, ist allerdings fraglich.
So rissig und ausgetrocknet war der Boden am Rheinufer im Juli.
Foto: Federico Gambarini, dpa | So rissig und ausgetrocknet war der Boden am Rheinufer im Juli.
Christian Grimm
,  Bernhard Junginger
 und  Stefan Lange
 |  aktualisiert: 23.09.2019 02:10 Uhr

Hunderttausende Kehlen wollen am Freitag den Klimaschutz herbeischreien. Hören sollen diesen Schrei die Kanzlerin und zahlreiche Minister, die sich am Freitag im Klimakabinett zusammensetzen und für dieses Land die wichtigste Weiche der nächsten Jahrzehnte stellen wollen. Die Erhitzung des Planeten zwingt die Regierung zu einer drastischen Reaktion, deren Folgen noch nicht überschaubar sind. Fest steht nur: Deutschland muss weniger Treibhausgas ausstoßen.

Deutschland ist am rasanten Klimawandel als altes Industrieland schwer mitschuldig. Pro Kopf gerechnet gehören die Deutschen nach wie vor zu den größten Klimasündern der Welt, obwohl die Energiewende hier erfunden wurde. Am Freitag und beim Vortreffen am Abend zuvor wird sich die Regierung also daran machen, die Welt zu retten. Und gleichzeitig sich selbst. Deutschland soll der Welt zeigen, wie ein reiches Land mit starker Industrie CO2-frei wird.

Union und SPD haben unterschiedliche Vorstellungen über die Rettungswege und es ist noch nicht ausgemacht, dass sie sich einigen werden. Gelingt das nicht, platzt mit ziemlicher Sicherheit die Koalition. Es soll also ein großer Wurf werden, und für den setzt sich der Koalitionsausschuss bereits am Donnerstagabend zusammen. Es wird mit einer Sitzung bis in den frühen Freitagmorgen gerechnet. Anschließend soll das Klimakabinett tagen und bis etwa Freitagnachmittag die finale Einigung formulieren.

Selbst wenn das gelingt und am Ende ein kluges Konzept herauskommt, wird es brutal schwierig werden, die Worte in Wirklichkeit zu verwandeln. Bei der aktuellen Lebensweise wird beinahe überall Kohlendioxid freigesetzt - bei der Erzeugung des Stromes, beim Heizen der Häuser, bei der Fahrt zur Arbeit, beim Essen einer Bratwurst. Es steckt viel Wunschdenken darin, das Leben grundlegend umkrempeln zu können.

Beispiel Verkehr: Im Jahr 2030 sollen hierzulande mindestens sieben Millionen Elektro- und Hybridwagen herumfahren. Derzeit sind es rund eine halbe Million. Viel mehr Menschen als bisher sollen auf die Bahn umsteigen. Doch das Unternehmen steckt in einer schweren Krise. In der Bilanz klafft ein Loch von drei Milliarden. Bis die neuen Züge geliefert werden, dauert es mehrere Jahre. Der Bau neuer Strecken noch länger.

Beispiel Gebäude: Pünktlich zu den Beratungen hat die Immobilienwirtschaft (Zentraler Immobilien Ausschuss ZIA) eine neue Studie vorgelegt. Immerhin 15 Prozent des CO2-Ausstoßes entstehen beim Heizen und im Sommer beim Kühlen von Gebäuden. Laut der Untersuchung lohnt sich eine außerplanmäßige Sanierung selbst mit Förderprogrammen für moderne Heizungen und einer CO2-Abgabe wirtschaftlich nicht. Verschärft wird das Problem durch das Dilemma, dass sich der Einbau einer neuen Heizung in einem Mietshaus nur für die Mieter auszahlt, weil die Nebenkosten sinken. Der Vermieter hat davon erst einmal nichts, außer Kosten und einem guten Gewissen.

Beispiel Energiewirtschaft: Spätestens im Jahr 2038 soll das letzte Kohlekraftwerke in Deutschland vom Netz gehen. Das kann aber nur gelingen, wenn in den nächsten Jahren tausende neue Windräder errichtet werden und tausende Kilometer zusätzliche Stromleitungen gezogen werden. Doch dort, wo es konkret wird mit der Energiewende, kämpfen Bürgerinitiativen vehement dagegen und haben Erfolg. Der Ausbau der Windkraft ist beinahe zum Erliegen gekommen, bei den Leitungen ist ein jahrelanger Rückstand aufgelaufen. Klimaschutz ja, aber nicht in meinem Vorgarten.

Größtes Hindernis für den Klima-Masterplan ist der Streit innerhalb der Großen Koalition, wie der Ausstoß von Kohlendioxid verteuert werden soll. Einen solchen Preis für die Verursacher wollen Union wie SPD. CDU und CSU plädieren für einen Handel mit Zertifikaten: Unternehmen kaufen solche Zertifikate für eine bestimmte Menge CO2 und können diese wieder verkaufen, wenn sie weniger Treibhausgas produzieren. Die SPD hingegen will eine CO2-Steuer. Beiden Modell gemeinsam ist, dass der Ausstoß von C02 in Zukunft Geld kosten wird. Es wird deshalb erwartet, dass sich Schwarz und Rot hier einigen werden. Offen ist lediglich, welchen Namen die Abgabe am Ende bekommt.

Für die CDU haben sich die Abgeordneten Andreas Jung (CDU) und Georg Nüßlein (CSU) in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe zwar auf den Zertifikatehandel festgelegt und die CDU-Spitze ist diesem Vorschlag auch gefolgt. In Regierungskreisen wird aber darauf verwiesen, dass Jung und Nüßlein dem Klimakabinett nicht angehören. Mit anderen Worten: Ihre Vorschläge können durchaus noch abgeändert werden. Viel wichtiger dürfte, so ist aus Regierungskreisen weiter zu hören, die Frage werden, wohin das Geld aus der CO2-Bepreisung fließt.

Eine zweite wichtige Frage für die Verhandlungspartner ist, wie die Fläche von den angedachten Förderprogrammen zum Klimaschutz profitiert. Hier steht vor allem der Verkehrssektor im Mittelpunkt, denn über E-Autos und einen besser ausgebauten ÖPNV, über vergünstige Bahntickets und andere Maßnahmen ließe sich viel CO2 einsparen. Doch den drei Parteien ist klar, dass sich solche Ideen in den Ballungszentren relativ einfach umsetzen lassen, es auf dem Land mit mehr Ladestationen oder einer höheren Bus-Taktung hingegen schwierig wird.

Die Defizite sind so groß, dass schon jetzt klar ist, dass die erwarteten Klimaschutzmaßnahmen der Regierung nicht alle überzeugen werden. Bei führenden Grünen-Politikern etwa herrscht gewaltige Skepsis. Lisa Badum, die klimapolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, sagte unserer Redaktion: „Man kann nicht die Glasur anrühren, ohne den Kuchen zu backen. Wir sehen aktuell nur Beiwerk und Einzelmaßnahmen, aber keinen Willen zur strukturellen Veränderung, wie ein umfassendes Klimaschutzgesetz, das gar nicht mehr auftaucht.“

Stattdessen solle die Last unfairerweise bei den Verbrauchern liegen, kritisiert Badum. Besser wäre es, die Unternehmen zum Schutz der Bevölkerung zu zwingen, endlich selbst Verantwortung übernehmen. Als Beispiel nennt Badum das „Ende des Verbrenners bis 2030“.

In der Grünen-Bundestagsfraktion wird in vertraulichen Gesprächen aber auch die Angst laut, ein scheinbar großer Wurf der Bundesregierung in Sachen Klimaschutz könnte ihrer Partei schaden. Wenn das grüne Ur-Thema Klimaschutz in der Bevölkerung als erledigt gilt, wäre das ein Nachteil bei den nächsten Wahlen.

 
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