Sie nannten ihn den „Schutzengel des Papstes“. Domenico Giani war 13 Jahre lang erster Leibwächter des römischen Pontifex und Kommandant der Vatikan-Gendarmerie. Am Montag erklärte der 57 Jahre alte Chefpolizist des Kirchenstaates seinen Rücktritt. Der warf zahlreiche Fragen auf. Giani stammt aus Arezzo in der Toskana und trat bereits 1999 in den Dienst der Vatikan-Polizei ein. Unter seiner Führung wurde die seit jeher mit der Gendarmerie konkurrierende Schweizer Garde zu einem besseren Wachdienst degradiert. Die Koordination sämtlicher Sicherheitsfragen im Vatikan übernahm die Gendarmerie, also Giani persönlich.
Sein offensichtlich erzwungener Rücktritt am Montag hatte beinahe groteske Züge. Der Vatikan bemühte sich nicht nur um eine ungewöhnliche, seitenlange Presseerklärung anlässlich des abrupten Dienstendes des Kommandanten. Die am Vatikan akkreditierten Journalisten bekamen zudem ein ausführliches Interview der Vatikanmedien mit Giani geliefert, als müsse dringend dafür gesorgt werden, dass der Abgang besonders sanft vonstatten geht.
In der Erklärung wurde der zweifache Familienvater vehement für seine „20-jährige, unzweifelhafte Treue und Loyalität“ gelobt. Der Papst persönlich habe sich beim Kommandanten für seine „hohe Kompetenz“ und „unzweifelhafte Professionalität“ bedankt. Gleichzeitig gab der Vatikan jedoch bekannt, Giani übernehme die Verantwortung für die von ihm persönlich angeblich nicht verursachte Verbreitung einer Anfang Oktober weitergegebenen internen Dienstanweisung an italienische Medien. In Folge einer von Giani geleiteten Hausdurchsuchung in den Räumen des vatikanischen Staatssekretariats, der Regierungszentrale des Papstes, hatte der Kommandant ein Hausverbot für fünf Kurienmitarbeiter erlassen. Die im Stile eines Fahndungsplakates gehaltene Anordnung war von Giani unterschrieben worden. Auf diese Weise sollte dem Verdacht auf Veruntreuung päpstlicher Gelder nachgegangen werden.
Dass dieser Vorgang der einzige Grund der De-Facto-Entlassung Gianis ist, darf bezweifelt werden. In Rom pfiffen die Spatzen von den Dächern, dass der frühere Finanzpolizist und Mitarbeiter des italienischen Geheimdienstes aufgrund seiner Ermittlungstätigkeiten besonders viele Vatikan-Geheimnisse hütete und dieses Potential für sich zu nutzen wusste. Giani, der Sozialpsychologie studierte, hatte sich seinen Einfluss Stück für Stück erarbeitet. 1999 wurde er Vize-Inspektor der Gendarmerie. In Folge der Terror-Attacken des 11. Novembers 2001 baute der Italiener die Vatikan-Gendarmerie zu einem Sicherheitsapparat aus, Giani schuf eine schnelle Eingreiftruppe, eine Anti-Sabotageeinheit, einen Bereich für Cyber Security und ließ seine Männer unter anderem vom US-amerikanischen Federal Bureau of Investigation (FBI) schulen.
Als Kommandant begleitete er drei Päpste auf knapp 70 Auslandsreisen, auch in Rom klebte der glatzköpfige Giani wie ein Schatten an den Stellvertretern Petri. Als eine verwirrte Frau 2009 Benedikt XVI. bei der Christmette im Petersdom zu Fall bringen wollte, verhinderte der Kommandant Schlimmeres. In den „Vatileaks“ genannten Affären um an die Presse gespielte Papst-Dokumente, die interne Machtkämpfe im Vatikan verschleierten, leitete Giani die Ermittlungen und nahm auch den Kammerdiener Paolo Gabriele fest. Im Fall der 1983 verschwundenen, damals 15-jährigen Vatikan-Bürgerin Emanuela Orlandi leitete Giani jüngst die Öffnung mehrerer Gräber im Schatten des Petersdoms.
Es ist keine Übertreibung zu behaupten, dass der Gendarmerie-Chef über die meisten Vatikan-Geheimnisse informiert war und damit über ein okkultes Macht-Potential verfügte, das für einige Kirchenfürsten immer schwerer ertragbar wurde. Nun ist Giani zumindest vorübergehend ruhig gestellt. Seinen Wissensschatz über Vatikan-Interna nimmt der ehemalige vatikanische Chefpolizist allerdings mit.