Kurz vor einer möglichen Waffenruhe im Libanon haben Israels Militär und die Hisbollah-Miliz ihre gegenseitigen Attacken fortgesetzt. Israels Luftwaffe flog schwere Angriffe auf Ziele im Herzen der Hauptstadt Beirut sowie in Vororten. Auch die Hisbollah-Miliz feuerte vom Libanon aus weiter Raketen auf Israel. Nach mehr als einem Jahr Krieg wurde für den Abend erwartet, dass das israelische Kabinett eine 60-tägige Waffenruhe billigen könnte.
Ein israelischer Beamter sprach in der „Times of Israel” von der Möglichkeit. Die Deutsche Presse-Agentur erfuhr aus Regierungskreisen, die Zustimmung des Kabinetts zu der unter US-Vermittlung ausgehandelten Vereinbarung sei „wahrscheinlich”. Auch libanesische Regierungsquellen in Beirut äußerten sich optimistisch. Die Entscheidung liege bei Israel.
Israels Angriffe in Beirut: Mindestens sieben Tote
Zuvor intensivierte die israelische Luftwaffe aber ihre Attacken. Sie sollen nach Armeeangaben vor allem die Fähigkeit der Hisbollah schwächen, sich von den Schlägen der vergangenen Monate zu erholen, erneut zu bewaffnen und neu zu organisieren.
Im Zentrum Beiruts wurde ein Gebäude angegriffen, wie Augenzeugen und Sicherheitskreise berichteten. Laut Gesundheitsministerium wurden mindestens sieben Menschen getötet und mindestens 37 verletzt. Eine Warnung hatte Israels Militär vorher nicht veröffentlicht.
In den als Dahija bekannten Vororten, einer Hochburg der Hisbollah-Miliz, griff Israel massiv an. Augenzeugen berichteten von einer der schwersten Angriffswellen seit der kriegerischen Eskalation zwischen der Hisbollah und Israel. Teile der Vororte standen in Flammen. Ein israelischer Militärsprecher hatte Warnungen für rund 20 Gebäude in Dahija veröffentlicht.
Die israelische Armee teilte mit, es seien 20 „Terror-Ziele” im Gebiet von Beirut angegriffen worden, darunter 13 in Dahija. Dabei seien ein Luftabwehrzentrum der Hisbollah, Kommando- und Geheimdienstzentren, Munitionslager und Finanzeinrichtungen der proiranischen Miliz.
Einigung über Waffenruhe für 60 Tage erwartet
Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby, hatte zuvor gesagt, man sei nahe dran an einer Einigung über eine Waffenruhe. Es gehe in die richtige Richtung. „Aber es ist noch nicht geschafft”, sagte Kirby. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sah einen Waffenstillstand in „greifbarer Nähe”, wie sie beim Treffen der G7-Außenminister in Italien sagte. Die Bundesregierung habe mit „eng abgestimmter Pendeldiplomatie” intensiv daran mitgearbeitet.
Die vorliegende Vereinbarung sehe einen 60-tägigen Umsetzungszeitraum vor, der es Israels Militär ermöglichen solle, sich zurückzuziehen, berichtete derweil das „Wall Street Journal” unter Berufung auf libanesische Beamte. Die libanesische Armee solle zugleich im Grenzgebiet zu Israel stationiert werden, um zu verhindern, dass Kämpfer der Hisbollah dort wieder Fuß fassen. Eine internationale Kommission solle mit der schon seit Jahren im Libanon stationierten UN-Friedenstruppe Unifil die Einhaltung der Vereinbarung überwachen, hieß es.
Minister: Verstöße gegen Waffenruhe würden hart geahndet
Auch nach einer Waffenruhe will Israel im Fall von Verstößen der Miliz hart vorgehen. „Wir werden gegen jede Bedrohung vorgehen, jederzeit und überall”, sagte Verteidigungsminister Israel Katz nach Angaben seines Büros bei einem Treffen mit der UN-Sonderkoordinatorin für den Libanon, Jeanine Hennis-Plasschaert: gegen jedes Haus, das neu zu einer Terrorbasis ausgebaut werde, gegen jede Wiederaufrüstung der Hisbollah und gegen jeden Versuch des Waffenschmuggels.
Israelische Bodentruppen erreichten bei ihrem Vorstoß im Süden des Libanons nach Militärangaben den symbolträchtigen Litani-Fluss. Im Rahmen der erwarteten Waffenruhe will Israel erreichen, dass sich die Hisbollah dauerhaft hinter den 30 Kilometer von der Grenze entfernten Fluss zurückzieht - so wie es die UN-Resolution 1701 vorsieht, die das Ende des vergangenen Krieges von 2006 markierte.
Hisbollah-Angriffe in Israel: Mindestens ein Haus getroffen
Die Hisbollah-Miliz schoss erneut Raketen auf Israel ab. Im Norden Israels wurden die Sicherheitsvorschriften verschärft, in einigen Gebieten sollten die Schulen geschlossen bleiben, weil verstärkter Raketenbeschuss befürchtet wurde. Im grenznahen Kiriat Schmona wurde ein Haus direkt getroffen und beschädigt, wie israelische Medien meldeten. Es gab zunächst keine Berichte zu Verletzten.
Die vom Iran finanzierte Hisbollah wollte nach eigenen Angaben mit den Angriffen ein Ende der israelischen Offensive gegen die islamistische Terrorgruppe Hamas im Gazastreifen erzwingen. Die Hamas und verbündete Gruppen hatten am 7. Oktober 2023 Massaker in Israel verübt, bei denen rund 1.200 Menschen getötet und 250 weitere als Geiseln verschleppt wurden. Der Angriff löste den seit mehr als einem Jahr andauernden Gaza-Krieg aus. Seither hat die mit der Hamas verbündete Hisbollah mehr als 17.000 Raketen auf Israel abgefeuert, wie die Armee auf Anfrage mitteilte.
Im selben Zeitraum habe Israels Militär rund 12.000 Terrorziele im Libanon angegriffen, hieß es. Ein Großteil der Hisbollah-Anführer wurde getötet. Insgesamt starben im Libanon durch Israels Gegenangriffe mehr als 3.000 Menschen.
In beiden Ländern warten Zehntausende Menschen darauf, nach einem Ende der Kämpfe in ihre Wohnorte zurückkehren zu können.