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Tel Aviv/Teheran-  
Iran und Israel nach Direktschlag am Rande des Abgrunds
Nach dem massiven iranischen Vergeltungsangriff auf Israel ist die Gefahr eines offenen Kriegs zwischen beiden Ländern so groß wie nie zuvor. Gibt es noch Hoffnung auf Diplomatie?
Israel       -  Ein Surfer wartet auf eine Welle, während ein israelisches Marineschiff im Mittelmeer vor der Küste von Hadera patrouilliert.
Foto: Ariel Schalit/AP | Ein Surfer wartet auf eine Welle, während ein israelisches Marineschiff im Mittelmeer vor der Küste von Hadera patrouilliert.
Arne Bänsch und Sara Lemel, dpa
 |  aktualisiert: 17.04.2024 02:48 Uhr

Es ist eine Nacht voller Angst und Schrecken. Fast in allen Teilen Israels heulen die Warnsirenen, unheimliche Feuerschweife überziehen den Himmel. Videos zeigen Raketen auch über dem Himmel Jerusalems. Nach Stunden des bangen Wartens auf den Beginn des iranischen Großangriffs rennen Menschen teilweise in Panik in Schutzräume. 

Raketen, Marschflugkörper und Drohnenschwärme fliegen in der Nacht zum Sonntag vom Westen des Irans in Richtung des mehr als 1000 Kilometer entfernten Israel. Weit über 300 Flugobjekte zählte Israels Militär, von denen die Luftabwehr und die Verbündeten 99 Prozent abfingen. 

Erstmals in ihrer Geschichte hat die Führung der Islamischen Republik einen Angriff direkt vom eigenen Territorium auf den jüdischen Erzfeind befohlen. Nach diesen bislang beispiellosen iranischen Vergeltungsschlägen auf Israel wächst die Sorge vor einem neuen großen Krieg in Nahost.

Seit Tagen drohte dieser Militärschlag, nachdem Irans Staatsführung Rache für die Tötung hochrangiger Offiziere angekündigt hatte. Am 1. April wurden bei einem mutmaßlich israelischen Luftangriff auf Irans Botschaftsgelände in der syrischen Hauptstadt Damaskus zwei Brigadegeneräle getötet. Nun erfolgte mit der Operation „Aufrichtiges Versprechen” der mit Sorge erwartete iranische Vergeltungsschlag. Die Militärführung in Teheran sprach von einer erfolgreichen Operation, Irans UN-Mission erklärte den Angriff für beendet und warnte vor Gegenschlägen - wohl wissend um das große Eskalationspotenzial.

Schlägt Israel jetzt hart zurück?

Wie wird Israel jetzt auf den Angriff des Irans reagieren? Das hängt davon ab, ob die politischen Falken - die einen harten Gegenschlag fordern - oder die Tauben - die sich für Besonnenheit aussprechen - die Oberhand behalten. 

Israel hat als Ergebnis des iranischen Angriffs ein Stück weit die Solidarität seiner Verbündeten zurückgewonnen. Diese war wegen des harten israelischen Vorgehens und der vielen zivilen Opfer im Gaza-Krieg erheblich geschrumpft. Ein militärischer Alleingang gegen den Iran könnte dieses neue diplomatische Kapital aber wieder aufs Spiel setzen. 

Der Experte Eldad Schavit von dem israelischen Institut für Nationale Sicherheit (INSS) sagte am Sonntag: „US-Präsident Biden bevorzugt eine koordinierte diplomatische Reaktion der G7-Führer gegen den Iran und hat Regierungschef (Benjamin) Netanjahu klargemacht, dass die USA an Israels Seite stehen, aber gegen eine Gegenattacke sind und an einer solchen sicherlich nicht teilnehmen würden.”

Die rechtsextremen Partner Netanjahus, von denen sein politisches Überleben abhängt, fordern dagegen eine harte Antwort auf den Angriff. „Die Verteidigung ist bisher beeindruckend - jetzt brauchen wir eine vernichtende Attacke”, schrieb Polizeiminister Itamar Ben-Gvir bei X, vormals Twitter. Es gibt allerdings auch moderatere Israelis, die einen Gegenschlag als notwendig ansehen, um die seit dem Terroranschlag vom 7. Oktober geschwächte Abschreckung Israels in der Region wiederherzustellen. 

Langjähriger Konflikt tritt aus dem Schatten

In den vergangenen Monaten nach Beginn des Gaza-Kriegs hat sich der Jahrzehnte alte Konflikt zwischen Israel und der Islamischen Republik Iran dramatisch zugespitzt. Der jüdische Staat sieht sich nach Angriffen von Milizen, die mit dem Iran verbündet sind, an mehreren Fronten unter Beschuss. Seit der Revolution von 1979 gelten die USA und Israel als Erzfeinde der Islamischen Republik. Netanjahu bezeichnete den Iran in der Vergangenheit ebenfalls als „wichtigsten Feind”.

„Wir stehen offen gesagt am Rande eines gefährlichen Abgrunds”, sagte die Nahost-Expertin Maha Yahya von der Denkfabrik Carnegie dem Sender CNN. „Vieles hängt davon ab, wie Israel reagiert und ob es einen Gegenschlag, einen weiteren Angriff auf iranisches Territorium, durchführen wird.” Ihrer Einschätzung nach war sich der Iran bewusst, dass ein Großteil der Raketen abgefangen werden würde. Der Angriff sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein „im Vergleich zu dem, was wirklich passieren könnte, wenn die Situation zu einem umfassenden regionalen Krieg eskaliert”, sagte die Expertin.

Der israelische Militärsprecher Daniel Hagari hat die Idee, der Angriff des Irans auf Israel könnte eine Art geplanter Show ohne echte Schadensabsicht gewesen sein, vehement zurückgewiesen. „Ich glaube, der Iran wollte Ergebnisse erzielen, und dies ist ihm nicht gelungen”, sagte Hagari am Sonntag. Israel habe in der Abwehr militärische Überlegenheit gezeigt. Er sprach von einem „sehr bedeutsamen strategischen Erfolg”.

Jordanien eilt Israel zu Hilfe

Aus der arabischen Welt kam teils Militärhilfe, um Irans Attacke abzuwehren. Die Streitkräfte des US-Verbündeten Jordanien schossen mehrere der Flugkörper ab. Das Land hat vor 30 Jahren Frieden mit Nachbar Israel geschlossen. Abgewehrt wurden die iranischen Angriffe auch von US-Kräften im Nahen Osten, wobei unklar ist, ob dabei Truppen etwa an US-Militärstützpunkten in den Vereinigten Arabischen Emiraten, im Irak, in Bahrain, Katar oder Saudi-Arabien beteiligt waren. Die Emirate und Bahrain haben die Beziehungen zu Israel normalisiert, Saudi-Arabien führte vor Beginn des Gaza-Kriegs Gespräche darüber. 

Auch wenn einige arabische Länder eine Koexistenz mit Israel anstreben, hat der Gaza-Krieg mögliche Verhandlungen dazu etwa mit den Golfstaaten auf absehbare Zeit erst einmal gestoppt. Israels militärisches Vorgehen im Gazastreifen nach dem Terrorangriff der islamistischen Hamas am 7. Oktober hatte zuletzt international viel Kritik ausgelöst. In Ländern wie Syrien, Irak, Jemen und dem Libanon wirken weiter mächtige Milizen und Bewegungen, die sich zur „Achse des Widerstands” gegen Israel zählen.

Israel fühlt sich in seiner Existenz bedroht

Mit Sorge blicken israelische Politiker seit Jahren auf bedrohliche Töne der Staatsführung in Teheran, die dem jüdischen Staat das Existenzrecht abspricht. Erst kurz vor dem Überfall der Hamas vor sechs Monaten hatte Irans Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Chamenei alte Drohungen gegen Israel bekräftigt und den Staat als Krebsgeschwür bezeichnet. 

Neben der Bedrohung durch ein massives Raketen- und Drohnenarsenal fürchtet Israel auch das umstrittene Atomprogramm des Irans. Die USA haben Teheran immer wieder unterstellt, nach Nuklearwaffen zu streben. Der Iran bestreitet die Vorwürfe und beteuert, sein Atomprogramm rein zivil zu nutzen. Ein religiöses Rechtsgutachten durch Chamenei hatte zudem Massenvernichtungswaffen als unvereinbar mit dem Islam verboten.

Großteil der Iraner will keinen Krieg

Kurz nach dem Angriff auf Israel versammelten sich Regierungsanhänger im Zentrum der Hauptstadt Teheran, um die Vergeltungsschläge zu feiern. „Iran musste reagieren, um seine Stärke zu demonstrieren”, sagte ein Bewohner dann am Sonntag in der Millionenmetropole. Ein Großteil der Bevölkerung sieht die Raketenschläge jedoch mit Sorge. Irans Staatsführung ist so unbeliebt wie lange nicht mehr. Vor allem die junge Generation hatte bei Protestwellen der vergangenen Jahre offen den Sturz des islamischen Herrschaftssystems gefordert. 

Anders als in der arabischen Welt beteiligten sich im Iran seit Beginn des Gaza-Kriegs keine Massen an den Solidaritätsdemonstrationen für die Palästinenser. Desillusioniert von fehlenden Zukunftschancen und einer repressiven Regierung dürften sich viele Iranerinnen und Iraner nicht dem Kurs ihrer politischen und religiösen Führung anschließen. Kurz nach dem Angriff stürzte die Landeswährung Rial auf ein Rekordtief. „Mit diesem Krieg wird sich die Situation der Menschen verschlechtern, alles wird teurer”, sagte eine 60 Jahre alte Frau. 

 
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