Es ist eine Szene, die im Gedächtnis bleibt: Der mächtigste Mann der Welt steht auf der Bühne, wirkt überfordert. Seine Ehefrau neben ihm lobt ihn überschwänglich: „Joe, du hast so einen großartigen Job gemacht. Du hast alle Fragen beantwortet. Du kanntest alle Fakten.” Der US-Präsident verharrt regungslos. Joe Biden ist wohl in diesem Moment selbst schon klar, dass sein Auftritt bei der TV-Debatte gegen seinen republikanischen Herausforderer Donald Trump kein so großartiger Job war. Nur kurz vor dieser Szene in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia hatte der 81-Jährige bei dem TV-Spektakel vor einem Millionenpublikum einen desaströsen Auftritt abgeliefert. Nun lobt ihn seine Ehefrau dafür - fast wie einen Schuljungen.
Die Bidens sind seit fast einem halben Jahrhundert verheiratet, die 73-jährige Jill gilt als die engste Vertraute des US-Präsidenten. Nach dem Tod von Bidens erster Ehefrau und seiner Tochter bei einem Autounfall wurde sie zur Mutterfigur für Bidens Söhne, die das Unglück überlebten. Das Paar hat noch eine gemeinsame Tochter. Seit dem TV-Duell ist in den USA eine Debatte darüber entbrannt, ob Joe Biden wirklich der richtige Kandidat für die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten ist - oder er besser Platz für eine jüngere Alternative machen sollte. Und dabei ist auch Jill Biden in den Fokus gerückt.
Große Erwartungen an die First Lady
„Es ist an der Zeit, dass Jill Biden ein schwieriges Gespräch mit ihrem Mann führt”, schrieb etwa die „Washington Post”. Es sei nun Zeit für den „beschissenen Teil” einer Ehe. „Der Teil, in dem die Unterstützung des Ehepartners bedeutet, ihm sehr, sehr harte Dinge zu sagen.” Doch die Lehrerin lässt zumindest öffentlich keinerlei Zweifel an ihrem Ehemann aufkommen. Ihre eiserne Unterstützung sorgte in den vergangenen Tagen für viel Häme. „Jill Biden weigert sich, aus dem Rennen um die Präsidentschaft auszusteigen”, spottete die christlich-konservative Satire-Webseite „The Babylon Bee” und macht sie zur eigentlichen Kandidatin. Jill Biden habe angekündigt, ihren Ehemann bis nach der Wahl in eine Art Schlaf zu versetzen und in der Zwischenzeit das Land selbst weiterzuführen.
Jill, die Frau mit den Fäden in der Hand? Die Tochter des 2018 gestorbenen republikanischen Senators John McCain, Meghan McCain, fand bitterböse Worte. „Jill Biden wird in der amerikanischen Geschichte nicht in guter Erinnerung bleiben”, schrieb die konservative Publizistin im Internet. Auf der Plattform X trendete bei Trump-Anhängern der Hashtag #elderabuse - also Missbrauch älterer Menschen.
Hochglanzfoto auf dem Cover der „Vogue”
Am Montag machte dann der neue Titel des Modemagazins „Vogue” Schlagzeilen. Die First Lady ist darauf in einem weißen Outfit des Designers Ralph Lauren zu sehen. Auf dem Cover wird sie zitiert mit den Worten: „Wir werden über unsere Zukunft entscheiden.” Ob das gutes oder schlechtes Timing ist - darüber lässt sich streiten. Die Fotos wurden bereits vor einiger Zeit gemacht, der freundlich gesonnene Text beschreibt Jill Bidens Unterstützung für ihren Ehemann während des Wahlkampfs. Vor dem Erscheinen hakte die „Vogue” noch einmal bei Jill Biden nach und fragte nach dem TV-Debakel. Die machte unmissverständlich klar, dass man nicht zulassen werde, dass „diese 90 Minuten” die vier Jahre von Bidens Präsidentschaft bestimmten. „Wir werden weiter kämpfen.”
Natürlich weiß niemand, was hinter den Kulissen bei den Bidens läuft. Der US-Präsident hatte sich nach dem Auftritt mit seiner Familie zurückgezogen. Das Treffen war schon länger geplant. Das Weiße Haus legte Wert darauf, dass die Zusammenkunft keine kurzfristig angesetzte Krisensitzung sei. Doch zumindest nach außen hin versucht Jill Biden den verpatzten Auftritt kleinzureden. „Es gibt niemanden, den ich im Moment lieber im Oval Office sitzen hätte als meinen Mann”, sagte sie am Freitag bei einem gemeinsamen Auftritt. Gekleidet war sie in einem auffälligen Kleid, auf dem in weißen Lettern „Vote” stand - auf Deutsch sinngemäß: „Geh wählen.”
Debatte nicht frei von Sexismus
Je häufiger Jill Biden in den vergangenen Tagen auftrat oder sich äußerte, desto größer wurde der Spott im Netz. Die Vorwürfe, ihr würde es nur um ihre eigene Macht gehen, triefen vor Sexismus. Dennoch fragen sich viele, warum die First Lady ihrem Mann offenbar nicht ins Gewissen redet. „Es ist nicht Jill Bidens Job, den Präsidenten in den heikelsten Angelegenheiten und bei schwierigen Entscheidungen zu beraten. Sie wurde nicht dafür gewählt. Sie wurde nicht gewählt, Punkt”, urteilt die „New York Times” in einem Meinungsstück. Sich auf Jill Biden zu konzentrieren entlasse Joe Biden aus seiner Verantwortung. „Es liegt an ihm, die nötige Selbstreflexion und den Charakter zu beweisen, um die richtige Entscheidung zu treffen.”